·:Der vierte Stern für die Squadra Azzurra

Im Endspiel von Berlin besiegt Italien Frankreich 5:3 im Elfmeterschießen - Zidanes Karriere endet mit einem Platzverweis.

Ralf Wiegand

Zum zweiten Mal in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft hat ein Elfmeterschießen das Endspiel entschieden. Zum zweiten Mal nach 1994 war Italien daran beteiligt.

·: Der Beginn einer langen Nacht: Der neue Weltmeister Italien.

Der Beginn einer langen Nacht: Der neue Weltmeister Italien.

(Foto: Foto: dpa)

Aber anders als damals, als Brasilien siegte, gewannen die Italiener diesmal 5:3 im Elfmeterschießen (1:1, 1:1) gegen Franreich, es war ihr vierter Titel, dem im Berliner Olympiastadion ohrenbetäubender Jubel folgte.

Nur ängstliches Raunen

Dabei hatte längst die Stille obsiegt. Ein paar einsame Trötentöne verloren sich in der Verlängerung noch im Olympiastadion, hie und da versuchten die Fans, das Spiel mit einem Schlachtruf wieder in Gang zu bringen, "allez les bleus", "Italia, Italia".

Aber das war schnell wieder vorbei, übrig blieb nur ein ängstliches Raunen. Das Spiel auf dem Rasen, das letzte dieser WM, auf das in vier Wochen alles zugelaufen war, war erstarrt. Nur Zidane hatte eine Chance, ein Kopfball wie einst im Endspiel von Paris 1998, als er Brasilien so besiegte.

Aber Italiens Torwart Buffon hielt, es war die 103. Minute, alles schien seinen Gang zu gehen. Doch dann begegneten sich Marco Materazzi und Zinédine Zidane. Es gab eine unbedeutende Hakelei, sie schienen schon wieder auseinander zu gehen, aber Materazzi sagte etwas zu dem Franzosen, immer wieder rief er ihm nach.

Grosso wieder

Plötzlich drehte sich Zidane um und versetzte Materazzi einen Kopfstoß auf die Brust. Materazzi wurde behandelt, der argentinische Schiedsrichter Elizondo recherchierte bei seinen Assistenten, dann flog Zidane vom Platz. Das Publikum im Stadion, das nichts mitbekommen hatte, schlug sich sofort auf die Seite der Franzosen, besser: auf die Seite des heiligen Zizou. Die Stimmung kippte ins Giftige.

Im Elfmeterschießen musste jeder Italiener durch die Hölle, ein gigantisches Pfeifkonzert begleitete die Schützen der Squadra Azzurra. Pirlo und Materazzi trafen trotzdem, dazwischen Wiltord für Frankreich. Trezeguet schoss an die Latte, de Rossi traf, auch Abidal, dann del Piero. Sagnol glich ein letztes Mal aus. Grossos letzter Treffer machte Italien zum Weltmeister, dann brach infernalischer Jubel los.

Dabei hätte es genug Möglichkeiten gegegeben, wie dieses Finale füher hätte zu Ende gehen können, ohne dass es einer Verlängerung und eines Elfmeterschießens bedurft hätte. Horacio Elizondo, der Schiedsrichter, hätte in der 54. Minute einen Strafstoß für Frankreich geben können, weil Zambrotta im Strafraum Malouda gefoult hatte.

Aber es wäre der zweite Strafstoß für Frankreich gewesen, und welcher Schiedsrichter traut sich das in einem Endspiel? Zidane hätte Frankreich mit einer direkt verwandelten Ecke zum Weltmeister machen können, aber zehn Minuten vor Schluss verhinderte Pirlo per Kopf ein solches Kunsttor.

Bis zur bitteren Neige

Vielleicht hätte auch Andrea Pirlos Freistoß in der 75. Minute nicht knapp neben das Tor gehen müssen, sondern hinein - aber der Kelch musste bis zur bitteren Neige geleert werden.

Solche Skripte wie das, dem das Endspiel von Berlin lange folgte, sind für Endspiele eigentlich nicht vorgesehen. Endspiele drehen sich nicht, sie führen das Publikum nicht in die Irre. Endspiele sind klare Angelegenheiten. Mannschaften, die das letzte Spiel einer Weltmeisterschaft noch erleben, wissen eine Führung zu schätzen.

Ein Tor ist der Spatz in der Hand, den man nicht wieder fliegen lässt. Zuletzt trafen vor 20 Jahren beide Finalisten in einem Endspiel, Argentinien und Deutschland. Das letzte Mal, dass jenes Team das Finale gewann, das nicht das erste Tor schoss, war Deutschland. In Deutschland, 1974. Gegner war Holland, das sehr früh durch einen Elfmeter 1:0 in Führung gegangen war. Deutschland gewann 2:1.

Frankreich ging auch sehr früh per Elfmeter in Führung an diesem schwülen Sonntagabend in Berlin. Die Italiener verstanden von Anfang an keinen Spaß. Fabio Cannavaro, der fabelhafte Cannavaro, fällte in der ersten Minute Henry mit seiner Schulter aus Eisen.

K.o.

Es war nur ein kleiner Bodycheck für Cannavaro, aber ein großer K.o. für Henry, der einer Ohnmacht nahe war. In der 4. Minute sah bereits Gianluca Zambrotta die gelbe Karte, weil er Patrick Vieira umgrätschte. Und in der 6. Minute erlegte Marco Materazzi im Strafraum den französischen Linksaußen Florent Malouda. Schon hier hatte Schiedsrichter Elizondo keine andere Wahl mehr als: Elfmeter.

Irgendwie ist es ja auch die WM von Marco Materazzi. Angereist war er als Ersatzspieler, falls sich einer der gefürchteten Inneverteidiger Cannavaro oder Alessandro Nesta verletzen sollten. Nesta verletzte sich gegen Tschechien und sollte fürs gesamte Turnier ausfallen.

Materazzi schoss noch in diesem Spiel sein ertes Länderspieltor, flog im nächsten gegen Australien vom Platz, kehrte im Halbfinale gegen Deutschland zurück, half dort, Klose/Podolski zu zermürben - und dann dieser Auftritt im Finale.

Unverschämt lässig

Am Elfmeter gab es nichts zur rütteln, Zinédine Zidane verwandelte ihn auf eine unverschämt lässige Art und Weise. Aber Materazzi war noch nicht fertig, und Italien war noch nicht fertig, denn sie hatten Andrea Pirlo. Er war ein wundervoller Gestalter gegen die Deutschen, und gegen Frankreich schoss er Ecken so gefährlich wie tödliche Pässe.

Sie segelten so präzise, als hätte ein Ballistiker die Flugbahn zuvor berechnet, nahe an den Elfmeterpunkt. Das war zu weit draußen für Torwart Barthez, aber nah genug für einen Kopfballspezialisten wie Materazzi, 1,93 Meter groß. Patrick Vieira hatte leine Chance, Materazzi traf zum 1:1 in der 19. Minute.

Aber in Erinnerung bleiben wird Marco Materazzi als jener Mann, der die Karriere von Zinédine Zidane beendete.

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