Der Sport zum Olympia-Boykott:In der eigenen Welt

Der Sport lehnt es ab, in der Tibet-Frage politisch zu denken. DOSB-Chef Thomas Bach verweist darauf, dass Boykotte nie zum Ziel führen würden.

Christian Zaschke

Die Situation in Tibet lässt den Sport nicht unberührt. Kernfrage ist, ob es einen Boykott der Olympischen Spiele geben soll, die am 8. August in Peking beginnen. Der amerikanische Schauspieler und Tibet-Aktivist Richard Gere hatte einen Boykott der Spiele gefordert und damit eine weltweite Diskussion ausgelöst. Viele deutsche Funktionäre und Sportler äußerten sich zum Thema, in der großen Mehrzahl stehen sie einem Boykott ablehnend gegenüber. Die meisten Vertreter aus der Welt des Sports ziehen sich dabei auf den Standpunkt zurück, dass man Sport und Politik trennen müsse.

Der Sport zum Olympia-Boykott: Forderte einen Boykott der Spiele: Richard Gere

Forderte einen Boykott der Spiele: Richard Gere

(Foto: Foto: dpa)

Deutlich äußerte sich zum Beispiel Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB): Man dürfe die Spiele "nicht unnötig politisieren", das hätten die Athleten nicht verdient. Damit liegt Bach auf einer Linie mit dem Sprecher des Pekinger Organisationskomitees Bocog, Sun Weide, der sagte: "Wir lehnen jeden Versuch ab, die Spiele zu politisieren."

Es gibt Stimmen, die die Ansicht vertreten, dass es längst keine Frage von Ansicht oder Ablehnung sei, ob diese Spiele politisch sind. Am vergangenen Wochenende veranstaltete die Akademie für Politische Bildung in Tutzing ein Seminar zum Thema: "Beijing 2008 - die Welt blickt auf China". Einer der Referenten, der Sinologe Christoph Müller-Hofstede, stellte fest: "Die Spiele sind unrettbar politisiert." Es beurteilte sie nicht als reine Sportveranstaltung, sondern als "Coming-Out-Party der Weltmacht China".

Die meisten Sportler wollen das nicht wahrhaben, oder es interessiert sie schlicht nicht, weil sie sich zuerst und teils auch ausschließlich für ihren Sport interessieren. "Wer jetzt Boykott fordert, weiß gar nicht, dass wir vier Jahre für Olympia trainieren", bemerkte die Speerwerferin Steffi Nerius. Der Handball-Nationaltorhüter Henning Fritz sagte: "So schlimm und ungerecht das Ganze ist, aber wir als Sportler können da eh nichts machen, das muss die Politik tun. Ich fokussiere mich derzeit auf den Sport und so blöd es klingt, ich lebe in meiner eigenen Welt, wo ich genug zu tun habe." In dieser Weise äußerten sich viele weitere deutsche Sportler.

In der eigenen Welt

Unterstützung finden die Athleten in dieser Haltung bei den meisten Funktionären, zuerst beim obersten Funktionär, dem Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Jacques Rogge: "Der Boykott würde nichts lösen'', sagte er, "im Gegenteil. Er bestraft nur unschuldige Athleten." Rogges Bild von den unschuldigen Athleten ist wohl etwas arg sportzentristisch geraten, da die Veranstaltung der unschuldigen Sportler zweitrangig erscheint im Vergleich zum Vorgehen des Regimes in Tibet.

Doch auch diesbezüglich ist der Sport um Relativierung bemüht. Thomas Bach sagte: "Wir hoffen auf eine friedliche Lösung durch Dialog und rufen beide Seiten zu einem Gewaltverzicht auf." Was durchaus so klingt, als seien beide Seiten an der Eskalation schuld und es sei nun auch an den Tibetern, sich zu mäßigen. Bach führte aus: "Olympische Spiele taugen nicht als Knüppel der Politik." Das ist, da chinesische Soldaten mit Knüppeln in Tibet aufmarschierten, ein nicht allzu gelungenes Bild.

Der Chef des Nationalen Olympischen Komitees von Tibet (vom IOC nicht anerkannt), Wango Tethong, fand klare Worte für Jacques Rogge: "Ihr feiges Schweigen hat die Chinesen ermutigt, die Unterdrückung in Tibet fortzusetzen", schrieb er an den IOC-Chef.

Einige internationale Sportler fordern vom IOC eine klarere Positionierung. Der holländische Schwimm-Olympiasieger Pieter van den Hoogenband zum Beispiel äußerste sich in seiner Kolumne für die holländische Zeitung De Telegraaf. Im Namen aller Athleten fordert er die IOC-Verantwortlichen auf, eine klare Stellung zur Frage der Menschenrechte in China zu beziehen. "Das würde uns erlauben, auf die Position des IOC zurückzugreifen, wenn wir in diesem heiklen Thema nach unserer Meinung gefragt werden", schreibt van den Hoogenband und führt aus: "Jacques Rogge als pater familias der olympischen Bewegung ist der richtige Mann, um den Athleten eine Stimme zu geben."

Der pater familias und der Rest der Familie betonen, dass sie strikt gegen einen Boykott sind. Bach: "Die Geschichte hat gezeigt, dass Boykotte nie zum Ziel führen." IOC-Mitglied Walther Tröger: "Wir sind 1980 nicht nach Moskau (zu den Olympischen Spielen, d.Red.) gegangen, passiert ist nichts." Ulrich Strombach, Präsident des Deutschen Handball-Bundes: "Dass wir Menschenrechtsverletzungen bedauern, ist klar. Aber wenn wir jedes Mal darauf mit Boykott reagieren, können wir Olympische Spiele und große Meisterschaften ad acta legen." Dass die Boykotte der Vergangenheit nicht "nichts" brachten sondern jeweils weltweit große Aufmerksamkeit, wird gern übersehen. Letztlich gilt den Olympiern, Sportlern wie Funktionären, der Satz ihres ehemaligen Vorsitzenden Avery Brundage als Motto, der 1972 in München sagte: "The games must go on" - Die Spiele müssen weitergehen. Was auch immer passiert.

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