Der Fall Calmund:Versteckte Fouls im Strafraum

Es geht um viel Geld, mögliche Spielmanipulationen und alte Rechnungen: Wie der schillernde Fußball-Manager und Publikumsliebling vom eigenen Schatten eingeholt wird.

Hans Leyendecker und Johannes Nitschmann

Es gibt wenige Selbsteinschätzungen, die der ehemalige Fußball-Manager Reiner Calmund, 57, seiner Umgebung erspart hat. Dass er ein "Drecksack", ein "Schlitzohr", ein "abgewichstes Kerlchen" sei, hat er so oft gesagt, dass auf seiner Visitenkarte stehen könnte: "Der Drecksack". Vermutlich wüsste sogar der Postbote im heimischen Odenthal, nahe Köln, wer gemeint ist, wenn als Anschrift nur der Ort und das böse Wort auftauchten.

Reiner Calmund

Kann wieder lachen: Reiner Calmund.

(Foto: Foto: dpa)

Während die meisten seiner Kollegen stets Wert auf eine tadellose Fassade legten, verkündete Calmund früh ungerührt: "Lügen sind im Fußballgeschäft legitim wie beim Pokern" (1993). Am "Rande der Legalität" würden die ganz großen Geschäfte gemacht (1998). "Bargeld lacht" (1979-2006). Er, der Schlaumeier, weiß ganz genau, "wie es in der Welt zugeht". Er, der Pfiffikus, will, koste es, was es wolle, witzig sein: "Unter den Blinden ist der Dreibeinige König."

Über die Frage, ob Calmund in seinen 16 Jahren als Manager bei Bayer 04 Leverkusen das Gefühl für Größenordnungen und Machbarkeit, für die Unterscheidung von richtig und falsch, völlig abhanden gekommen ist, denkt in diesen Tagen der Kölner Staatsanwalt Norbert Reifferscheidt nach. Er ermittelt gegen Calmund und den Spielerberater Volker Graul wegen Verdachts der Untreue "in einem besonders schweren Fall".

"Zu 95 Prozent sauber"

Vordergründig geht es um den Verbleib von 580000 Euro aus der Bayer-Vereinskasse, die Calmund an Graul für Kaufoptionen auf ausländische Jugend-Nationalspieler bezahlt haben will. Ein Teil des Geldes soll für Operationen in Serbien und Kroatien ausgegeben worden sein. Calmunds Anwalt Stefan Seitz vermutet, Graul werde seine Hintermänner bei der Staatsanwaltschaft nicht nennen können. "Das wäre für ihn auf dem Balkan das sichere Todesurteil."

Fast sieben Stunden hat Strafverfolger Reifferscheidt den Beschuldigten Calmund am Montag vernommen. Hinterher zeigte sich Calmund erleichtert wie nach einem schweren Auswärtsspiel. "Das war ein Befreiungsschlag." Mit dem Kölner Arbeitsrechtler Seitz und dem Düsseldorfer Strafverteidiger Sven Thomas hat der selbst ernannte "XXL-Manager" zwei hochkarätige Anwälte verpflichtet, die ihm juristischen Flankenschutz geben. "Wir wollten Champions-League", sagt Calmund über seine teure Advokatenriege, "sonst stehste am Ende alleine gegen so einen Konzern doof da."

Es geht ja auch um eine ganze Menge: Immerhin hat der Ermittler Reifferscheidt den "Anfangsverdacht", dass in der Bundesliga-Saison 2002/2003 mehrere Spiele von Bayer Leverkusen manipuliert worden sein könnten. Demnach soll Calmund mit den 580000 Euro für die damals abstiegsbedrohten Leverkusener den Klassenerhalt erkauft haben. Diese schlimme Vermutung wurde und wird, erstaunlicherweise, von Bayer-Verantwortlichen genährt, deren Verein, wenn der Verdacht zuträfe, härteste Sanktionen befürchten müsste - bis zum Bundesliga-Lizenzentzug.

Das alles ist nur schwer zu verstehen und liefert dennoch einen seltenen Einblick in ein Milieu, das Fußballbetrieb genannt wird. "Der Fußball ist zu 95 Prozent sauber", sagt Bayer-04-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser. Das heißt im Umkehrschluss, dass fünf Prozent unsauber sind, was jährlich einen hohen schmutzigen zweistelligen Millionenbetrag ausmachen würde. Aber welche fünf Prozent sind verseucht?

Bei Bayer jedenfalls stinkt es gewaltig. Vom Hexenkessel eines Vereins wird der Deckel gehoben und üble Dämpfe steigen auf. Der Fall Calmund ist ein seltsamer Fall. Es gibt ungewöhnliche Durchstechereien, alte Rechnungen werden beglichen und fortwährend treten Leute aus jenem Panoptikum auf, in dem das dicke Auto den schlechten Leumund kompensieren hilft. Kein roter Faden ist zu erkennen, der durchs Labyrinth führt - statt dessen gibt es viel Widersprüchliches und zahlreiche Ungereimtheiten.

Welches Motiv könnten, wenn sie es denn waren, Verantwortliche der Bayer AG gehabt haben, den Fall Calmund heimlich loszutreten? Weiß der Schlaumeier Calmund eigentlich, was er so erzählt? Oder ist das nur eine gigantische Fiktion, in der alles etwas anderes bedeutet, als es besagt? Alles nicht wahr. Ein Scherz. Karneval. Hat Calmund, im Branchenjargon der "Pate von Leverkusen", gegen das elfte Gebot verstoßen? Du sollst dich nicht erwischen lassen. Er selbst nennt alle Vorwürfe "totalen Blödsinn." Er versichert: "Ich habe nie in meinem Leben ein Spiel gekauft."

Versteckte Fouls im Strafraum

In der Fußball-Welt gelten eigene Regeln, und die Usancen in Leverkusen sind besonders komplex. Jede Stadt hat, trotz ihrer Vielfalt, ein eigenes Gesicht. Wenn man Hamburg sagt, denkt man an Elbluft und steifen Hanseatengeist. Wenn man Köln sagt, riecht man etwas Katholisches, wenn man Leverkusen sagt, denkt man an Tiefgaragen, die über der Erde Stadtmitte heißen. Hier wurde eine Stadt um eine Fabrik gebaut. Es gibt ein Bayer-Kaufhaus, ein Bayer-Erholungshaus, ein Bayer-Kasino und einen Bayer-Sportverein, dessen bekannteste Abteilung der Fußball-Klub ist.

Reiner Calmund

Bezeichnete sich selbst als "Drecksau": Reiner Calmund.

(Foto: Foto: dpa)

"Als ich kam, war das ein Kaninchenstall", sagt Calmund etwas salopp. Der gelernte Außenhandelskaufmann und Außenverteidiger wurde 1976 bei Bayer04 Jugendleiter, Personalkoordinator und Stadionsprecher. Dann machte er aus dem Plastik- und Pillenclub, der biederen Beamtenfußball spielte, einen richtigen Verein.

Er holte den holländischen Meistertrainer Rinus Michels, importierte junge afrikanische Ballartisten, kaufte DDR-Nationalkicker und brasilianische Stars - und immer floss das Bargeld. Selbst in Brasilien wurde Calmund zur Berühmtheit. "Kleines, dickes Bandito", nannte der Fußball-Profi Tita den massigen Bayer-Manager. Ein größeres Kompliment hätte er ihm nicht machen können. Calmund - ein Gassenjunge, einer von der Straße - wie die Brasilianer.

Als er noch talentierte Spieler für die Jugendmannschaften von Leverkusen anheuerte, stellte er schon mal einen Fuß in die Tür, wenn ihn die Eltern nicht reinlassen wollten. Calmund machte Karriere: "Der Verein ist mir", sagte er bald, was die Eigentumsverhältnisse nicht ganz korrekt wiedergab. Aber er hatte den Bayer-Vorstandschef Jürgen Schneider auf seiner Seite und den damaligen Sportbeauftragten der Bayer AG, Jürgen von Einem, auch.

Der Mann, den seine Frau zärtlich "Moby" nennt und der etwa 150 Kilogramm schwer ist, inszenierte sich gern als "absoluten Stressfresser" und stellte sich als Angehöriger der "Blutgruppe positiv bekloppt" vor. Ex-Bayer-Vorstand Günter W. Becker rühmt Calmund heute noch als "kleines Genie, das nicht immer genau war". Unter seriösen Geschäftspartnern schwadronierte er über die "Banco di Hoppsassa" und ähnliches.

Ein Unikum, das die Fans und die Reporter mochten. Den ganz großen Erfolg aber hat er nie feiern können. Bayer 04 wurde 1988 Uefa-Cup-Sieger, gewann 1993 den deutschen Pokal und wurde viermal Vize-Meister. Keine schlechte, aber auch keine berauschende Bilanz. Calmunds Entfremdung vom Mutterkonzern begann mit der Kokain-Affäre des damaligen Trainers Christoph Daum. Die Konzernführung bat Anwälte von draußen, sich um den Hergang der merkwürdigen Haarprobe zu kümmern. "Zehn Wichtigtuer von der AG" hätten Fragen gestellt, sagte Calmund. "Die haben gesagt, spring' in die Scheiße und sorge dafür, dass wir keine Spritzer abkriegen."

Calmund machte den dicken Maxe. Den designierten AG-Chef Werner Wenning fragte er in großer Runde, ob dieser denn jetzt der Nachfolger von Schneider werde. Das macht man nicht in den feineren Kreisen. Später vertraute er Wenning an, dass der neue vierköpfige Gesellschafterausschuss der Bayer-Fußball-Abteilung "die komprimierte Ahnungslosigkeit auf vier Sitzen" sei. So was hört niemand gern.

Die Fans feiern weiter

Über den neuen Sportbeauftragten Meinolf Sprink verbreitete Calmund den Spruch, der junge Mann sei keiner der "üblichen Wendehälse", sondern habe "ein Kugellager im Kopf". Das war auch nicht nett. Mit seinem Mitgeschäftsführer Wolfgang Holzhäuser, der 1998 nach Leverkusen gekommen war, verband ihn herzlichste Abneigung. "Holzi", der mal Ligasekretär des DFB war, sei ein Dilettant, sagte Calmund früh. Ein Flop.

Ein Niemand. Als Holzhäuser am 10. März von den Kölner Ermittlern zu Calmund befragt wurde, sagte er, in der Fußball-Abteilung von Bayer habe es einen "1A- und einen 1B-Geschäftsführer" gegeben. 1A war der andere, Calmund. Im Sommer 2004 trennten sich Calmund und Bayer. Holzhäuser blieb alleiniger Geschäftsführer. Viele Fans hat er seither nicht gewonnen. Lieber mit Calmund trauern, als mit Holzhäuser feiern, ist ein Spruch, der in der BayArena kursiert.

Versteckte Fouls im Strafraum

Günther Fred

Versucht den Fall aufzuklären: Oberstaatsanwalt Günther Fred.

(Foto: Foto: ddp)

Dass die alten Geschichten und Rivalitäten nicht vergessen sind, machte eine Veröffentlichung im Spiegel Anfang März deutlich. Das Nachrichten-Magazin behauptete, Calmund habe seinen Job bei Bayer Leverkusen nicht freiwillig aufgegeben. Vielmehr habe den Fußball-Manager der unklare Verbleib von 580 000 Euro seinen Job gekostet.

Transparent machte der Spiegel seine eigene Rolle in dieser Geschichte nicht. Die Vorermittlungen begannen Anfang des Jahres. Am 4. Januar traf sich der Kriminalbeamte Karl-Heinz Wallmeier mit einem Spiegel-Journalisten in einem Bielefelder Cafe.

Danach notierte der Beamte: "Durch einen Hinweisgeber wurde bekannt, dass in der Ligasaison 2002/2003 ein oder mehrere Spiele" möglicherweise durch einen Beauftragten von Bayer Leverkusen oder durch Reiner Calmund gekauft worden seien. Der "Hinweisgeber" sei der Spiegel-Mann, der sich am Vortag bei dem Beamten telefonisch gemeldet und erklärt habe, dass er sich mit ihm über "einen Sachverhalt unterhalten wolle, der für die Polizei und die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit Sicherheit von großem Interesse sei".

Wallmeier begann mit Vorermittlungen. Die Entstehungsgeschichte der Affäre ist so ungewöhnlich wie die mutmaßliche Quelle. Nicht nur Calmund vermutet sie bei Bayer. Irgendwo haben alle Affären-Geschichten ihren Ursprung, aber es wäre schon interessant, festzustellen, wer wen warum jagt.

Geldsummen für den lieben Reiner

Im November 2004 schickte Bayer 04 einen Münchner Wirtschaftsanwalt nach Florida. Der sollte dort auskundschaften, ob es von dem Spielervermittler Juan Figer Schmiergeldzahlungen ("Kickback") an Calmund gegeben hat. Der Uruguayer Figer hat eine Art Monopol für die Auslands-Transfers auf dem brasilianischen Fußballermarkt.

Calmund und Figer haben viele Millionen-Geschäfte gemacht. Am 8. November 2004 traf sich der Bayer-Anwalt im feinen Ritz-Charlton-Hotel in Naples/Florida mit Gerrit Niehaus. Der ist finanzkräftiger Bayer-Mäzen und ein Calmund-Spezi. Niehaus schrieb am 10. November 2004 an den "lieben Reiner", der Anwalt habe ihm "eine größere Geldsumme" geboten, wenn er Angaben über Kickback-Geschäfte und Schwarzgeldkonten Calmunds machen könne. Niehaus will das Gespräch entrüstet abgebrochen haben.

Dass sich die Chefetage der Bayer AG für Calmunds heikle Fußballgeschäfte interessierte, muss diesem spätestens am 26. Mai 2004, wenige Wochen vor seinem Ausscheiden, klar geworden sein. An diesem Tag hatte ihn der Chefsyndikus des Konzerns, Roland Hartwig, einbestellt. Flankiert von drei weiteren Juristen sprach Hartwig den Bayer-04-Manager auf angebliche Spielmanipulationen an. Laut Protokoll soll sich Calmund dazu kryptisch eingelassen haben. "Wer meint, dass im Fußballgeschäft alles sauber läuft, der ist auf dem Holzweg."

Die Bayer-Juristen konfrontierten Calmund mit dessen dubiosen Andeutungen. Beim 3:0-Sieg über 1860 München am vorletzten Spieltag der Saison 2002/2003 soll der Sprücheklopfer auf der Tribüne über den 1860er-Torwart gemunkelt haben: "Meint ihr, der hält immer so schlecht?" Später habe er einen leistungsschwachen Löwen-Spieler als "unseren Lebensretter" gelobt. Indizien, dass in diesem Abstiegskampf "etwas gelaufen" ist, wie die Bayer-Juristen Calmunds Aussagen verstanden haben wollen? Oder nur "das übliche Thekengeschwätz", wie der Beschuldigte behauptet?

Gebeichtet wird im Dom

In Leverkusen herrscht ein Klima nervöser Gereiztheit. Der Ton ist bitter und voller Vorwürfe. "In welch furchtbare Geschichten reitet uns Calmund rein?", fragt ein Bayer-Verantwortlicher. Calmund hat nur eine ungefähre Ahnung, wo der Feind sitzt. Bei Bayer, das ist für ihn zumindest klar, "aber wo ist das Motiv, wer legt die Bomben?", fragt er.

Wenn er über die Affäre spricht, arbeitet es in ihm. Er verschränkt die Arme, will damit nichts zu tun haben. Schnell verfällt er dem Sog seiner eigenen, in sich geschlossenen Redeweise. Ein unfrohes Lachen hat sich verselbständigt. "Ohren steif, Stahlhelm auf und durch die Scheiße durchmarschiert", solche Sätze sagt er. Er wirkt nicht souverän. Die Verletzungen sind sichtbar. Gegen fahrige Handbewegungen hilft er sich, indem er seine Finger knetet. Sein Gesicht erscheint maskenhaft, als werde es nicht richtig durchblutet. Früher habe er "geschlafen wie ein Bär", seit Wochen muss er Schlaftabletten nehmen.

Einst wollte er am Mittelkreis in der BayArena begraben werden. Jetzt will er das Stadion nie mehr betreten. Als beim letzten Heimspiel die Fans Holzhäuser anpöbelten und Calmund hochleben ließen, saß er vor dem Fernseher und weinte vor Glück, Zorn und Trauer. Der Zuspruch der Fans sei wichtig für seine Kinder gewesen, sagt er und weint wieder. Ist das alles eine Inszenierung, ein Bluff, ein Schwank wie bei Millowitsch?

Schließlich spielt die Geschichte im Schlagschatten des Kölner Doms, und da gibt es den "Grielächer". Das ist jene Person, deren Hand einmal wäscht, einmal gewaschen wird, die nie etwas ernst nimmt, was ernst genommen zu werden verdient.

Wird Calmund da draußen richtig verstanden? Wenn er das Karnevalslied summt "Ich bin ene Räuber", meint er vermutlich etwas anderes, als die Zuhörer im Süden oder Norden der Republik. Es gibt eine Kölner Redensart, die heißt: "Der muss im Dom beichten gehen." Das drückt die Ehrfurcht aus, die Gelegenheitskriminelle dem Herrgott entgegenbringen. Und Calmund ist oft im Dom gewesen.

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