"Dem Terror nicht weichen":Anpfiff in Hannover

Das Testspiel der Fußball-Nationalelf in Hannover gegen die Niederlande findet statt. Die Beteiligten wollen ein Zeichen setzen.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Am Tag nach den Anschlägen in Paris rollte in Deutschland der Ball weitgehend programmgemäß. In den Regionalligen wurde der Betrieb nach Terminplan fortgesetzt, in den Junioren-Bundesligen und im Verbandspokal ebenso, und in Gelsenkirchen empfing Gerald Asamoah am Abend mehr als 61 000 Zuschauer zu seinem Abschiedsspiel. "Wir haben uns sehr mit der Frage beschäftigt, ob nach diesen Ereignissen ein solches Spiel überhaupt stattfinden darf", erklärte Schalkes Vereinschef Clemens Tönnies im Namen des Gastgebers Schalke 04 dem Publikum im Stadion. Schließlich habe man sich aber gegen die Absage entschieden, so der Vereinschef: "Diese Terroristen wollen uns einschüchtern, sie wollen nicht nur in Frankreich Angst und Schrecken verbreiten, sie wollen unsere Art zu leben und vor allem unsere Freiheit bekämpfen. Dagegen müssen wir uns wehren, und dagegen müssen wir klare und unmissverständliche Signale setzen."

Mit ähnlichen Argumenten hatten sich bereits am Samstag die beiden kommissarischen DFB-Präsidenten Reinhard Rauball und Rainer Koch für die Austragung des Testspiels der Nationalmannschaft gegen die Niederlande am Dienstag in Hannover ausgesprochen. "Das ist eine sehr sensible Geschichte für die Mannschaft. Aber ich bin der Meinung, dass man dem Terror nicht weichen sollte. Man darf denen, die uns das angetan haben, nicht den Triumph gönnen", sagte Rauball, während Koch erklärte: "Natürlich haben wir die Vorgaben der Sicherheitsbehörden zu beachten. Grundsätzlich sehe ich den DFB und die Nationalmannschaft aber auch in der gesellschaftspolitischen Verantwortung, das klare Zeichen auszusenden, dass unser Rechtsstaat dem Terror nicht weichen darf." Beide setzten jedoch den Vorbehalt, dass man zunächst noch eine Nacht darüber vergehen lassen wolle, bevor man sich endgültig dazu entschließe, das Spiel stattfinden zu lassen - oder doch noch abzusagen. Für den französischen Verband und die französische Nationalmannschaft stand zu diesem Zeitpunkt längst fest, zum Test gegen England am Dienstag im Londoner Wembley-Stadion anzutreten.

"Dem Terror nicht weichen": Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan (von links) am Freitag in Paris in der Partie, die ein Anschlagsziel war.

Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan (von links) am Freitag in Paris in der Partie, die ein Anschlagsziel war.

(Foto: Anke Waelischmiller/Sven Simon)

Bundeskanzlerin Merkel will sich das Spiel im Stadion mit ihrem Kabinett anschauen

Die Deutschen ließen sich mehr Zeit, um Klarheit zu schaffen. Es dauerte bis Sonntagnachmittag um halb vier, ehe der Beschluss aus Frankfurt bekanntgegeben wurde, die Begegnung mit den Niederlanden wie vorgesehen auszutragen. Allerdings hatten die DFB-Spitze und die Leitung der Nationalmannschaft ihre Haltung bereits am Vormittag in einer Telefonkonferenz abgestimmt, wie aus der Verbandszentrale versichert wurde. Beteiligt waren die beiden Interimspräsidenten sowie Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff. "Es wurde nicht diskutiert oder gar gefeilscht", hieß es. Dass es mit der Bestätigung des Termins vergleichsweise lang gedauert hatte, habe an "organisatorischen Umständen" gelegen, "man wollte einfach auch etwas Abstand zu den Geschehnissen in Frankreich gewinnen". Mit den Niederländern hielt derweil Generalsekretär Helmut Sandrock Kontakt, die Kommunikation sei jederzeit "einvernehmlich" gewesen.

Bestätigt ist inzwischen auch, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem kompletten Kabinett das Spiel am Dienstagabend besuchen wird. Die Gegenwart der versammelten Regierung soll noch eindringlicher bezeugen, dass der Sport bei diesem Länderspiel eine untergeordnete Rolle spielt; im Mittelpunkt steht die politische und symbolische Zeichensetzung. Die Absicht ist, eine Geste der Solidarität und der Entschlossenheit auszudrücken. Auch die Verbandsführung und die Teamleitung hätten "einstimmig ein Zeichen für die Freiheit und gegen den Terror" verabredet, teilte der DFB mit. Dass bei den beteiligten Fußballern durchaus gewisse Bedenken bestanden, wird im Umfeld der Mannschaft allerdings keineswegs geleugnet. Manchem Profi, der den Schrecken in Paris miterlebt hat, scheint jetzt nicht nach Fußballspielen zumute zu sein. "Das gesamte Team - Spieler, Trainer und Betreuer - ist immer noch stark betroffen", sagt auch Oliver Bierhoff, "dennoch wissen alle, dass es wichtig ist, ein Zeichen zu setzen und sich als Nationalmannschaft für unsere Werte und Kultur einzusetzen." Bierhoff vergisst dann aber auch nicht hinzuzufügen, dass "unter diesen Gegebenheiten der sportliche Wert des Spiels gegen die Niederlande natürlich niedriger zu bewerten" sei.

"Dem Terror nicht weichen": Sprachen sich früh gegen eine Absage des Spiels gegen die Niederlande aus: die DFB-Interims-Präsidenten Reinhard Rauball (links) und Rainer Koch.

Sprachen sich früh gegen eine Absage des Spiels gegen die Niederlande aus: die DFB-Interims-Präsidenten Reinhard Rauball (links) und Rainer Koch.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Ohnehin stand die Begegnung mit dem Nachbarland schon länger unter Verdacht, dem Anspruch an einen Klassiker nicht standzuhalten. Löw hatte bereits in der vorigen Woche angekündigt, dass er nach der Partie in Paris einigen der besonders viel beschäftigten Stars eine Pause gönnen werde. Aus dem Kader des Freitagsspiels werden nun sechs Spieler fehlen, wenn sich die Übrigen an diesem Montag um halb zwei in der Sportschule Barsinghausen zur Vorbereitung treffen. Manuel Neuer, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski wurden zu Erholungszwecken freigestellt, Jérôme Boateng und Jonas Hector meldeten sich wegen Verletzungen ab, und Leroy Sané wechselt verabredungsgemäß für das Qualifikationsspiel gegen Österreich zu Horst Hrubeschs U21-Team.

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