DEL:Familienduell

Zum Start der Playoffs meldet das deutsche Eishockey mit Stolz einen Zuschauerrekord - und hat trotzdem ein nationales Reichweitenproblem.

Von Johannes Schnitzler

Patrick Reimer ist ein schlechter Verlierer. Dass man das nun weiß und den Satz einfach so in die Zeitung schreiben kann, ohne eine Verleumdungsklage fürchten zu müssen, hat die Öffentlichkeit einem ebenso kundigen wie unbestechlichen Kronzeugen zu verdanken: Jochen Reimer, Patricks jüngerem Bruder. Bei der "Gala des deutschen Eishockeys" am vergangenen Samstag in Straubing hielt Jochen, Torwart bei den Nürnberg Ice Tigers, die Laudatio auf Patrick, den Kapitän der Nürnberger und der Nationalmannschaft, der als "Stürmer des Jahres" und "Spieler des Jahres" der große Abräumer des Abends war. Und so erfuhr man, dass der kleine Patrick, wenn er beim Mensch ärgere Dich nicht zu verlieren drohte, schon mal Tabula rasa machte: "Da flogen alle Steine", erzählte Jochen Reimer.

Streit und Enttäuschung, das bestätigt die Anekdote aus dem Hause Reimer, gibt es in den besten Familien. Besonders heftig sind die Eruptionen, wenn ein Streit über einen längeren Zeitraum schwelt. Auch in der Eishockey-Szene, die sich, wie am Samstag, gerne als Familie feiert, gab es vor zwei Wochen richtig Krach. Vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) wurde die Klage von zwölf Klubs der Deutschen Eishockey Liga (DEL) gegen Sky Deutschland verhandelt. Gegenstand war die Auslegung einen Lizenzvertrags zwischen den Vereinen und dem Privatsender, vormals Premiere, der zwischen 2007 und 2012 die Rechte an den Übertragungen aus der DEL hielt. Es ging um die Nachzahlung einer Sondervergütung in Höhe von rund 1,2 Millionen Euro, die die DEL-Klubs forderten, weil der Sender seine Abonnentenzahl während der Vertragslaufzeit auf mehr als vier Millionen Direktkunden gesteigert habe. Das Landgericht München I hatte den Klubs im vergangenen Jahr Recht gegeben (Az.: 40 O 28767/13). Das OLG kassierte dieses Urteil nun und wies die Klage der Klubs ab (Az.: 6 U 2726/15). Statt Geld zu bekommen, bleiben die Klubs sogar auf den Prozesskosten sitzen. Laut Gericht ist mit einer sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu rechnen. Der Streit geht in die nächste Runde.

Constantin Braun Interview Servus TV in der Pause power break Fernsehen Sender Medien Eishocke; Eishockey

Hoffen auf mehr Medienpräsenz: Die Deutsche Eishockey Liga will mit ihrem neuen TV-Vertragspartner Telekom Reichweite und Kundenstamm steigern.

(Foto: imago)

Umso euphorischer bejubelten die DEL und ihre Gesellschafter Anfang des Jahres den neuen Fernsehvertrag mit der Telekom, der den Vereinen in den kommenden vier Spielzeiten rund vier Millionen Euro pro Saison garantiert. Wichtiger noch: Eishockey vergrößert dadurch seine Medienpräsenz. So lautet zumindest der Plan. Denn die deutsche Eishockey-Familie hat nicht nur ein Nachwuchsproblem. Sie hat vor allem ein Reichweitenproblem.

Vor dem an diesem Dienstag beginnenden Viertelfinale meldete die DEL mit durchschnittlich 6647 Besuchern pro Partie (2015/16: 6418) den fünften Zuschauerrekord in Serie. Damit liegt Eishockey hinter Fußball (die dritte Liga sehen durchschnittlich 6973 Zuschauer) auf Platz zwei, weit vor Handball (4826) und Basketball (4321). Das diesjährige Winter Game der zweiten Liga steht mit knapp 32 000 Zuschauern an Rang vier der bestbesuchten Ligaspiele in Europa - hinter den DEL-Winter-Games 2013 und 2015. Bei gerade einmal 30 000 Mitgliedern im Deutschen Eishockey-Bund verzeichnet die DEL pro Spieltag rund 46 500 Besucher - eine Mobilisierungsquote, von der die demokratischen Parteien am Wahlsonntag nur träumen können. Zum Vergleich: Bei 6,8 Millionen DFB-Mitgliedern müssten 1,133 Millionen Zuschauer die Fußball-Bundesliga im Stadion schauen - pro Spiel. Kurz: Eishockey boomt. "In den Zuschauerzahlen spiegelt sich die Ausgeglichenheit der Liga wider", sagt DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke. Die beiden Finalisten des Vorjahres, Meister Mannheim und der Zweite Ingolstadt, haben aktuell das Viertelfinale verpasst. Noch nie hatte ein Tabellenerster nach der Vorrunde so wenige Punkte wie München (94), nie ein Schlusslicht so viele Zähler wie Schwenningen (55). Im Fernsehen aber ist Eishockey eine Marginalie.

Zum einen fehlt es an internationalen Erfolgen. Das Nationalteam verpasst seit Jahren die Runde der letzten Acht bei großen Turnieren, die Klubmannschaften spielen in der von Schweden und Finnen dominierten Champions League bislang keine Rolle. Zum anderen fehlt es an Zugnummern, wie Dirk Nowitzki eine über den Basketball hinaus war. Die größten Talente wie Leon Draisaitl (Edmonton), Tobias Rieder (Arizona) oder Tom Kühnhackl (Pittsburgh) wählen den Weg nach Nordamerika oft so früh, dass sie hierzulande nur dem Spartenpublikum bekannt sind. Bundestrainer Marco Sturm, der für die Gala am Samstag extra von seinem Wohnort Florida nach Straubing angereist war, weiß, dass nicht nur seine Zukunft an der Heim-WM 2017 und an der Qualifikation für Olympia 2018 liegt. Immerhin: Draisaitl und Rieder, die mit ihren Teams die NHL-Playoffs verpassen werden, seien "bereit, bei der WM für Deutschland zu spielen", berichtete Sturm.

Vier Siege ins Halbfinale

DEL-Viertelfinale (best of seven)

Dienstag, 15. März (19.30 Uhr)

EHC Red Bull München - Straubing Tigers

Eisbären Berlin - Kölner Haie

Mittwoch, 16. März (19.30 Uhr)

Iserlohn Roosters - Nürnberg Ice Tigers

Grizzlys Wolfsburg - Düsseldorfer EG

In der Liga werden die Zuschauerzahlen in den kommenden Wochen weiter anziehen. Auch bei Servus TV. Die Red-Bull-Tochter hat Eishockey nach 2012 aus der finsteren Bezahlecke wieder ins frei empfangbare Fernsehen gehievt, mit einem Live-Spiel pro Sonntag. Viele Fans hätten es gerne gesehen, wenn ihr Sport dort geblieben wäre. Auch künftig soll es ein Live-Spiel im Free-TV geben (wo, ist noch offen). Darüber hinaus werden alle Liga-Spiele live zu sehen sein - aber nur für Telekom-Kunden kostenfrei. Die Bonner versprechen sich einiges von dem Deal. Für Basketball haben sich 100 000 Kunden registriert, in etwa so viele sehen die Spiele der BBL auch bei Sport1. "Ich finde die Zahl sehr beachtlich", sagt Henning Stiegenroth, Leiter Sportmarketing bei der Telekom. Eishockey sollte, analog zu den Besucherzahlen im Stadion, deutlich mehr Kunden finden. "Wir sind stolz auf diesen Vertrag", sagt Jürgen Arnold, der Aufsichtsratsvorsitzende der DEL. "Ich hoffe, dass wir dadurch noch viel, viel mehr Zuschauer erreichen können." Arnold spricht von einer "neuen Dimension". DEL-Geschäftsführer Tripcke geht von einer "massiven Erhöhung der Reichweite" aus. Dennoch sagt er: "Es ist ein langer Weg zum Massenprodukt. Das wird Eishockey wahrscheinlich nie."

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