Debatte um Geste bei der Fußball-EM:Wie Paul Pogba Frankreich erzürnt

EURO 2016 - Paul Pogba

Eine Geste von Frankreichs Paul Pogba im Spiel gegen Albanien wirft Fragen auf.

(Foto: Peter Powell/dpa)

Von Claudio Catuogno, Paris

Der Staatspräsident, der im schwarzen Anzug auf der Tribüne sitzt, hat sich offenbar nicht gewundert über die unflätige Geste. Ein bras d'honneur? "Das ist doch die normale Art, wie die Leute mir salutieren", sagt François Hollande - und winkt Paul Pogba freundlich zurück. Die Karikatur ist der Beitrag des Zeichners Thibaut Soulcié zu einer Affäre, die man dem deutschen Publikum wohl als "Stinkefinger"-Affäre erklären muss - selbst wenn Finger gar nicht zu sehen sind. Andere Länder, andere Gesten: "Le bras d'honneur", das ist in Frankreich die gereckte Faust, während die andere Hand in die Armbeuge greift. Aber ob mit oder ohne Finger: Freundlich ist auch der bras d'honneur, der "Arm der Ehre", nicht gemeint.

Pogbas Arm hat schon fast den Rang einer Staatsaffäre

Thibaut Soulcié hat es also mal wieder geschafft, gleich zwei Botschaften in eine Zeichnung zu packen. Die erste: Der Präsident Hollande ist, auch wenn er jetzt immer auf der Ehrentribüne sitzt, weiterhin sehr, sehr unbeliebt im Land. Die zweite: Der Mittelfeldspieler Pogba hat es mit einer einzigen Geste, zu der er sich beim Jubeln über das 2:0 der Franzosen gegen Albanien hinreißen ließ, fast schon in den Rang einer Staatsaffäre geschafft.

Jedenfalls, wenn man die Aufregung zum Maßstab nimmt, die nicht zuletzt die Sportzeitung L'Équipe in der Angelegenheit schürt. Ironiefrei - abgesehen von Soulciés Karikatur auf einer der hinteren Seiten. Galt Pogbas Gruß etwa der Pressetribüne? Hat er mit der Handbewegung die Sportjournalisten gemeint? Dann gehört er selbstverständlich gefedert, geteert und, wenn er Pech hat, auch noch auf die Bank gesetzt. Finden jetzt viele Sportjournalisten. Dabei weiß niemand genau, was im Kopf des exzentrischen 23-Jährigen von Juventus Turin vorgegangen ist, nachdem Dimitri Payet am Mittwoch in Marseille mit seinem Treffer in der Nachspielzeit die Qualifikation der Franzosen fürs Achtelfinale klar gemacht hatte. Le Monde weist immerhin darauf hin, dass die Geste "zweideutig" zu interpretieren sein könnte.

In jedem Fall ist die Affäre Pogba jetzt das nächste Thema, das dem Nationaltrainer Didier Deschamps nicht gefällt - nachdem er rund um seine Kadernominierung schon eine Rassismus-Debatte aufgedrängt bekam von dem aus Disziplin-Gründen nicht berufenen Stürmer Karim Benzema. Deschamps ist beim Verband FFF ja nicht nur als Trainer angestellt, sondern auch als eine Art Sozialpädagoge, zuständig für eine traditionell schwer erziehbare Gruppe. Die Franzosen erinnern sich noch gut an die "Schmach von Knysna", die Verwerfungen im WM-Quartier 2010 in Südafrika. Deschamps' Ziel bei diesem Heim-Turnier ist es deshalb nicht nur, möglichst weit zu kommen, sondern auch, das auf möglichst anständige Weise zu tun und die Herzen der Franzosen zurückzugewinnen.

"Ich wollte niemanden angreifen und mich für nichts rächen"

Auch deshalb hat sich das Team einen Verhaltenskodex gegeben, der nun im Hotel in Clairefontaine an der Wand hängt. Aber Bescheidenheit und Demut - das verträgt sich eben nicht recht mit dem Ego des Paul Pogba, der kein Problem damit hat, sich in Interviews als künftigen Weltfußballer vorzustellen. Der aber offenbar schon ein Problem damit hat, dass ihn die Medien dann an den Ankündigungen messen, wenn er, wie im Eröffnungsspiel gegen Rumänien (2:1), eine blasse Vorstellung abgibt. Jedenfalls legt das die eine denkbare Interpretation der Geste nahe.

Pogba sah sich inzwischen gezwungen, über die Nachrichtenagentur AFP ein Kommuniqué herauszugegeben. Und er beharrt auf einer anderen Interpretation. Was auch immer die Deutung sei, die man den Aufnahmen nun zuschreiben wolle, "ich wollte damit niemanden angreifen oder mich für irgendetwas rächen". Er habe sich vielmehr Richtung Tribüne gewandt, um dort Familienangehörige zu grüßen. "Ich habe meinen gewohnten Wirbel gemacht, Hand in die Luft und gereckte Faust, nicht mehr und nicht weniger."

Am Sonntag in Lille gegen die Schweiz geht es für die Franzosen formal nur um den Gruppensieg. Tatsächlich geht es aber längst auch darum, die Deutungshoheit über diese Elf nicht zu verlieren.

Und hinzu kommt nun auch in Frankreich eine Debatte darüber, was warum im Sportfernsehen gezeigt wird und was nicht. So erklärte Florent Houzot, der Redaktionsleiter beim Pay-TV-Sender BeIn Sports, er habe entschieden, die Szene nach dem Spiel nicht zu zeigen, "um nicht für unnötige Polemik zu sorgen". Der Sender verstehe sich schließlich als "Fan der Bleus" und ziehe es vor, "positiv zu bleiben". In einer internen Mail hat Houzot angewiesen, keine Aufnahmen von Pogbas "böser Geste" nach draußen zu geben.

Das war zu dem Zeitpunkt aber schon geschehen, ein BeIN-Mitarbeiter hatte die Sequenz getwittert. Der Film wurde vom belgischen Fernsehen aufgegriffen und fand so seinen Weg zurück in die französische Öffentlichkeit. Und spätestens, als der Sender TF1 die Geste in seinen Hauptnachrichten zeigte, stand Monsieur Houzot ziemlich einsam da mit seinem Bemühen, die Nationalelf vor Polemik schützen zu wollen.

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