Debatte um Bundestrainer Löw:"Das darf kein Alibi sein"

Im Schatten der Debatten um seine Zukunft bittet Bundestrainer Löw am Mittwoch zum WM-Test gegen Argentinien. Die Spieler erhalten vorher eine Lektion in Krisen-PR.

Christof Kneer

Im ersten Moment fand Joachim Löw dieses Ergebnis nicht besonders nützlich, aber er merkte bald, dass ein tieferer Sinn in ihm steckte. Der Sinn bestand weniger darin, dass ein paar Politiker den für schuldig befundenen Bundestrainer Jürgen Klinsmann umgehend vor den Sportausschuss des Deutschen Bundestages zerren wollten - Politiker, deren Namen man damals zurecht nicht kannte und heute zurecht wieder vergessen hat.

Der Sinn dieser krachenden 1:4-Niederlage in Italien bestand eher darin, "dass die Mannschaft verstanden hat, warum wir in der WM-Vorbereitung so hart arbeiten mussten", sagt Joachim Löw, der damals noch Assistenztrainer war. Vier Jahre ist dieses inzwischen historische 1:4 jetzt her, und Löw findet, dass dieses Spiel ruhig historisch bleiben darf. Er braucht es nicht noch mal. Damals war es offenbar für etwas gut. Heute wäre es eine Katastrophe.

Am kommenden Mittwoch wartet wieder ein prominenter Gegner auf die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, und bis vor kurzem hätte man gedacht, dass die Zeiten nicht mehr so sind wie damals. Damals, im Frühjahr 2006, konnte man den Eindruck gewinnen, als sei die Bundesrepublik ausschließlich erfunden worden, um im folgenden Sommer eine Fußball-WM abzuhalten. Alles war politisch, jede Äußerung, jedes Ergebnis, jeder Heimflug von Jürgen Klinsmann.

Es wirkte wie eine Erholung, als anschließend der zutiefst unpolitische Löw übernahm, ein Mann, der nichts als Sportlehrer sein will. Nun ist ausgerechnet der Sportlehrer in ein Klima hineingeraten, das die Testpartie gegen Argentinien am Mittwoch zu einem hochpolitischen Spiel gemacht hat. Nachdem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit Präsident Theo Zwanziger an der Spitze die vollmundig verkündete Vertragsverlängerung mit dem Bundestrainer brüsk platzen ließ, ist aus Löw in der öffentlichen Wahrnehmung ein Bundestrainer auf Abruf geworden. Ein 1:4 gegen Argentinien würde ihn nicht vor den Sportausschuss bringen, aber es würde eine Debatte befeuern, deren Eigendynamik die WM-Vorbereitung schwer belasten würde.

"Motivation bei hundert Prozent"

Im Schatten der Debatten muss Joachim Löw nun dieses Länderspiel moderieren, und er hat sich fest vorgenommen, wieder den Sportlehrer zu geben. "Für mich spielt die Sache ab sofort keine Rolle mehr", sagt er, "die Geschichte wird mich nicht ablenken, und meine Motivation wird eher noch größer sein." Er macht dann eine kurze Pause und sagt: "Wobei: Die Motivation kann eigentlich gar nicht mehr größer sein. Sie war schon immer bei hundert Prozent."

Solche Sätze zeigen, welche Last der DFB seinem Sportlehrer auf die schmalen Schultern gewuchtet hat. Joachim Löw, der eigentlich nur spielen lassen will, muss jetzt plötzlich jedem seiner Worte hinterherhören. Er muss jetzt dauernd überlegen, ob das, was er sagt, trotzig klingt oder ärgerlich oder gar so, als habe er mit dem Job bereits abgeschlossen. Am vergangenen Wochenende, bei der Terminierung der Qualifikationsspiele für die EM 2012, hat er auf die Frage, ob er dann wohl noch Bundestrainer sei, wahrheitsgemäß geantwortet: "Das weiß ich nicht."

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Worte auf der Goldwaage

Unter normalen Umständen eine Banalität - jetzt sind die Umstände aber so, dass die Banalität umgehend in alle Himmelsrichtungen ausinterpretiert wird. Warum er nicht abgewiegelt und "Ich konzentriere mich nur auf die WM" gesagt hat? "Ich wollte mit dieser Formulierung keine Spekulationen nähren", sagt Löw, "ich hätte das natürlich auch anders ausdrücken können, aber ich möchte nicht, dass ab sofort jedes meiner Worte auf die Goldwaage gelegt wird."

Nun, da das Länderspiel näherrückt, wird erst so recht ersichtlich, wie sehr die an Mutwilligkeit grenzenden Moderationspannen des DFB dem Bundestrainer die Arbeit erschweren. Zwar zielte der rüde Abbruch der Vertragsverhandlungen in erster Linie auf den als zu geschäftstüchtig empfundenen Teammanager Oliver Bierhoff, aber es ist Löw, der die ohnehin knapp bemessene Zeit mit seinen Spielern nun mit fachfremden Debatten füllen muss.

Sorgenkinder à la Hitzlsperger

Es ist dies im Jahr 2010 das erste und gleichzeitig letzte Länderspiel vor der WM-Vorbereitung, und da hätte Löw eigentlich genug zu tun. Er hat ausführliche Einzelgespräche mit seinen Sportlern angekündigt, besonders mit aktuellen Sorgenkindern wie Mittelfeldspieler Thomas Hitzlsperger, der den VfB Stuttgart wegen WM-gefährdenden Reservistentums verließ und stattdessen bei Lazio Rom auf der Ersatzbank gelandet ist.

Löw wird seinen Spielern auch die Nominierungskriterien für den WM-Kader erklären, er wird sie in groben Zügen in den Ablauf der WM-Vorbereitung einweihen, auch von seiner jüngsten Südafrika-Reise wird der Bundestrainer berichten. Ein bisschen trainieren wäre auch nicht schlecht, und so hätte Löw bestimmt gerne auf jenen Programmpunkt verzichtet, der aus aktuellem Anlass ebenfalls auf die Agenda gerückt ist.

"Ich werde den Spielern erklären, dass die Situation für niemanden ein Alibi sein darf", sagt Löw. Er wird die Spieler darauf vorbereiten, dass sie in den anstehenden Pressegesprächen möglicherweise nicht nur nach ihren WM-Perspektiven oder nach dem Lieblingstrick von Lionel Messi gefragt werden, sondern auch nach ihrem Bundestrainer, dessen Vertrag nach dem WM-Turnier ausläuft.

"Ich fühle mich gut"

"Ich werde den Spielern sagen, dass ich mich unverändert gut fühle, dass die Situation für uns überhaupt kein Problem ist, und dass wir sie aufs Spiel und aufs Turnier so vorbereiten wie sonst auch."Da kann der DFB jetzt aber stolz darauf sein: Er hat es geschafft, dass seine Nationalspieler vor einem feierlichen Länderspiel gegen Argentinien eine Lektion in Krisen-PR erhalten müssen.

Ihm gehe es gut, sagt Joachim Löw, er fühle sich "in Ordnung", und wer den Bundestrainer kennt, der traut ihm allemal zu, dass ihm "die absolute Fokussierung auf die WM" gelingt. Er ist so sehr und so radikal Sportlehrer, dass er störende Nebengeräusche ignorieren kann. Für ihn kann nichts bedeutender sein als diese WM, weshalb er beim Länderspiel in München im Sinne der guten Sache appellieren wird, "dass wir jetzt alle nach vorne schauen. Beide Seiten haben Fehler gemacht, dann sind wir aufeinander zugegangen, und jetzt ist die Sache abgehakt".

Er wird auch Michael Ballacks These nicht bestätigen, der kürzlich erklärte, dass es "besonders wichtig ist, gegen Argentinien ein gutes Spiel abzuliefern, damit die Diskussionen nicht endlos weitergehen". Nein, sagt Löw, er könne nicht erkennen, warum dieses Spiel plötzlich wichtiger sein solle als vorher.

Keine Verhandlungen mehr

Joachim Löw hat vergessen, ob er auch vergeben hat, ist eine andere Sache. Wenn man ihn fragt, ob er noch sauer ist auf den DFB, der ihm am 50. Geburtstag ein Vertrags-Ultimatum auf den Gabentisch knallte, dann sagt er nicht: Nein, ich bin nicht mehr sauer. Er sagt: "Es ist mir gelungen, die Sache auszublenden."

Fest steht, dass ein Sieg gegen Argentinien nicht schaden würde, aber selbst ein 4:1 würde die Parteien nicht an den Verhandlungstisch zurückbringen. Nach der geplatzten Vertragsverlängerung hat Löw dem DFB mitgeteilt, "dass ich jetzt nur einen Wunsch habe: mich auf die WM zu konzentrieren". Wie es danach weitergeht, sagt Löw, werde man sehen. Sicher sei nur, dass es vorher keine Vertragsgespräche mehr geben werde, "weil ich das nicht möchte".

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