Debakel von Schalke 04:Angsthasen gegen Doktor Diabolo

Debakel von Schalke 04: Schalke vergeht die Stimmung: Chelsea demütigt den Klub in der Champions League

Schalke vergeht die Stimmung: Chelsea demütigt den Klub in der Champions League

(Foto: AP)

So manche Niederlage von Schalke 04 hatte schon üblere Folgen als das 0:5 gegen den FC Chelsea - aber keine war so demütigend wie diese. Schmerzhafter als der Spott von José Mourinho ist eine ernüchternde Erkenntnis.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Der große Schauspieler José Mourinho erklärte nach dem 5:0-Sieg des FC Chelsea beim FC Schalke 04, dass die Einheimischen keinerlei Grund hätten, sich nun vor Gram und Beschämung in den Rhein-Herne-Kanal zu stürzen: "Morgen ist wieder ein anderer Tag", prophezeite der Portugiese und beabsichtigte damit, Trost zu spenden. Doch zu diesem Zeitpunkt des Abends war das eine geradezu makabre Bemerkung.

Bloß eine verschwindende Minderheit der anfangs mehr als 50 000 Schalke-Sympathisanten hatte den Schlusspfiff der Partie noch im Stadion erlebt. Das Schicksal der vielen Menschen, die sich in Grauen abgewendet hatten und in stiller Trauer entschwunden waren, ließ sich nicht absehen. Waren die Anhänger wirklich so gefestigt, dass sie über diese Erfahrung ohne Schaden für Leib und Leben hinwegkommen würden?

Seit Schalke im finsteren Mittelalter mal ein Bundesliga-Heimspiel gegen Bochum 0:6 verlor (woraufhin bald der erste von drei Abstiegen in die zweite Liga folgte), hat der Verein schon manche schmerzhafte Niederlage erlitten. Aber das Desaster, das die Mannschaft um Weltmeister Benedikt Höwedes und Leuchtturm Kevin-Prince Boateng am Dienstag herbeiführte, offenbarte dem Publikum eine neue Dimension des Schreckens, die im 21. Jahrhundert keinen Vergleich kennt. Manche Niederlage hatte üblere Folgen - aber keine war so demütigend wie diese.

Im Frühjahr gab es im Achtelfinale der Champions League das 1:6 gegen Real Madrid, doch damals sah man entfesselte Spanier und verzweifelt gegen deren Übermacht kämpfende Schalker. Das Stadion blieb auch am Ende der Partie voll, und die Zuschauer brachen in ernst gemeinten Jubel aus, als Klaas-Jan Huntelaar ein Tor des Monats schoss, indem er den Ball volley unter die Latte donnerte.

Diesmal aber sahen die Leute ein Chelsea-Ensemble, das sich nicht zu wehren wusste gegen die fünf Tore, die ihm aufgenötigt wurden, und das statt gegen einen Gegner eher mit Langeweile kämpfte.

Mourinho ließ sich den Spaß nicht verderben. Er pries das Spiel seiner Londoner als "eindrucksvoll und superb" und erteilte wie ein von der Uefa bestellter Gutachter das Gütesiegel "Top-Quality-Football". Dass dieses Chelsea historisch einzigartig ist, wie der Erfolgstrainer in poetischen Worten behauptete ("dieses Flair, diese Schönheit ..."), mag stimmen. Die Londoner Starparade, Mourinhos bisher stürmischstes Team, ist nicht zufällig einsamer Tabellenführer der Premier League und sicher auch imstande, sich gegen die Großmächte aus München, Madrid oder Barcelona zu behaupten.

José Mourinho treibt mal wieder Spielchen

Aber natürlich hat Mourinho wieder eines seiner beliebten Spielchen mit der öffentlichen Meinung getrieben, als er versicherte, Schalke trage keine Schuld an dem traurigen Spektakel. "It's not their fault, it's our fault", sagte er - es ist nicht ihr Fehler, es lag an uns: "Die Realität ist, dass wir einfach phantastisch gespielt haben."

Diese freundliche Diagnose des Doktor Diabolo täuscht nicht über den ungesunden Zustand hinweg, in dem sich die Schalker Mannschaft befindet. Wie sehr sich Trainer Roberto Di Matteo um das Gelingen seiner Rettungsmission sorgt, lässt sich allerdings schwer sagen. Er gab keine Anzeichen von Gefühlsregung zu erkennen, als er die Partie sezierte. Man hat ihn gefragt, ob er ärgerlich sei auf seine Spieler, die gleich in der ersten Minute den Gegner zu einem Konter im Alleingang einluden und gleich in der zweiten Minute das 0:1 gestatteten, was nur den Anfang ihres sündhaften Treibens markierte.

Aber Di Matteo reagierte weder mit Betroffenheit noch mit Polemik oder Larmoyanz. "Glücklich bin ich sicherlich nicht", berichtete er mit unbewegter Miene, das war das Äußerste, was er an emotionaler Anteilnahme einräumte. Wie ein Fremder, der diesen seltsamen Ort namens Schalke nicht versteht, stellte er fest, er sei "ein wenig überrascht" über den quasi mit dem Anpfiff erfolgten mentalen Zusammenbruch seiner Mannschaft: "Am Samstag" - nach dem 3:2 gegen Wolfsburg - "hatten wir noch eine Menge Selbstvertrauen."

Dass seine taktischen Dispositionen nicht verfingen ("Wir haben versucht, das Mittelfeld zu überladen") irritierte ihn hingegen weniger: "Wenn man zwei Tore nach Standardsituationen bekommt, dann hat das nichts mit dem System zu tun", sagte Di Matteo. Ein Tor besorgte Schalke selbst: Jan Kirchhoff, der noch unglücklicher agierte als die übrigen Unglücklichen in Schalkes überfordertem Mittelfeld, gewann das Kopfballduell gegen seinen Mitspieler Santana und beförderte den Ball zum 0:3 in die Torecke; ein Chelsea-Spieler war nicht in der Nähe.

Grotesker als diese Szene erschien an diesem Abend nur die Tatsache, dass Schalke trotz allem nicht ganz unrealistische Chancen aufs Erreichen des Achtelfinales hat. Ein Sieg in Maribor würde reichen, sofern Chelsea auch gegen Sporting Lissabon wieder ein superbes Spiel bestreitet - und gewinnt.

Der Manager Horst Heldt, inzwischen geübt in der Kommentierung von unangenehmen Darbietungen der von ihm zusammengestellten Mannschaft, sprach von "Angsthasenfußball". Das sollte hart klingen. Aber es wirkte wie ein Beschönigung.

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