Davis-Cup-Sieger Argentinien:Neben Vilas, Fangio und Monzón

Erstmals gewinnt die fanatischste Tennisnation der Erde den Titel. Sogar der Heilige Maradona huldigt den Spielern um Juan Martín del Potro. Den konnte auch ein Fingerbruch nicht aufhalten.

Von Peter Burghardt

Alle waren sie da. Boca. River. Banfield. Estudiantes. In den Trikots der halben argentinischen Fußball-Liga saßen oder besser standen, sangen, tröteten und fuchtelten sie auf den Rängen der Arena Zagreb. Die meisten der 4000 Argentinier unter den 15 000 Zuschauern trugen selbstverständlich Himmelblauweiß, die Farben der Nation. 11 500 Kilometer weit waren viele von ihnen in den europäischen Spätherbst gereist, kein billiges Vergnügen. Ganz oben tanzte Diego Maradona mit seiner aktuellen Lebensgefährtin und seinem Clan, er wohnt seit einiger Zeit in Dubai. "Hier sind wir", stand auf einer argentinischen Flagge in seiner Loge, "Familie Maradona." Sie erlebten, wie Argentinien endlich den Davis Cup eroberte.

Am Sonntag um 21:48 Uhr, im Frühsommer von Buenos Aires waren es vier Stunden früher, ging ein Schrei durch die Halle und das Land. Noch einmal schlug Federico Delbonis, der unverhoffte Held, mit links auf. Matchball. Der frustrierte Ivo Karlovic hämmerte den Ball mit rechts über die Grundlinie, Delbonis sank auf den Rücken, 3:2 für Argentinien. Maradona flippte aus wie daheim auf seinem Balkon in der Bombonera, dem Stadion der Boca Juniors. Die Republik erlebte ein Glücksgefühl wie 1986, als Maradona und seine Helfer in Mexiko die Deutschen bezwangen und Fußball-Weltmeister wurden. "Esta hinchada se merece ser campeón", schmetterten Maradona und der andere argentinische Teil des Publikums. "Diese Fans verdienen es, Champion zu sein."

Davis-Cup-Sieger Argentinien: Auch beim Jubeln eher im Hintergrund: Argentiniens Nationalheld Juan Martín del Potro (Zweiter von rechts) im Kreis seiner Kollegen.

Auch beim Jubeln eher im Hintergrund: Argentiniens Nationalheld Juan Martín del Potro (Zweiter von rechts) im Kreis seiner Kollegen.

(Foto: Darko Vojinovic/AP)

Natürlich verdienen sie es. Viermal war die Auswahl des wohl fanatischsten Tennislandes der Erde bereits in einem Finale des Davis Cup gestanden, viermal hatte man verloren. 1981 in den USA, 2006 in Russland, 2008 daheim gegen Spanien und 2011 in Spanien. Diesmal war der Triumph unwahrscheinlicher denn je gewesen. Die Argentinier mussten in dieser Weltgruppe ausschließlich auswärts antreten, sie gewannen dennoch in Polen, Italien, Großbritannien und Kroatien. Sie hatten keinen Spieler, der unter den Besten der Weltrangliste gemeldet war - Juan Martín del Potro wurde im Rahmen seiner sagenhaften Wiedergeburt zuletzt auf Rang 38 geführt, er muss erst neue Punkte sammeln. Trotzdem bezwang er im Halbfinale in Glasgow Andy Murray, die Nummer eins, und jetzt in Zagreb erst Karlovic, die Nummer 20, und anschließend Marin Cilic, Nummer 6.

Allein diese epische Partie gegen Cilic ist eine Geschichte, wie sie in der Szene derzeit wohl nur dieser große Schmale aus der Pampa schreibt. Jahrelang war Del Potro, 28, nach seinem Erfolg 2009 bei den US Open und seinem Aufstieg bis auf ATP-Platz vier verletzt gewesen. Die Handgelenke, immer wieder die verdammten Handgelenke, Opfer seines enorm kraftvollen Stils. 2015 folgte die nächste Operation, das nächste Comeback, der Aufstieg aus Abstieg und Frust - Anfang Februar 2016, vor gut neun Monaten, war der gerade genesene Del Potro die ATP-Nummer 1045. In Wimbledon räumte er dann den Schweizer Stan Wawrinka aus dem Weg. Bei den Sommerspielen in Rio unterlag er nach Siegen gegen Novak Djokovic und Rafael Nadal nur dem Olympiasieger Murray und erbeutete Silber. In New York war erst im Viertelfinale gegen Wawrinka Schluss.

Erstmals Argentinien

Alle Davis-Cup-Endspiele seit 2000

2000 Spanien - Australien 3:1

2001 Frankreich - Australien 3:2

2002 Russland - Frankreich 3:2

2003 Australien - Spanien 3:1

2004 Spanien - USA 3:2

2005 Kroatien - Slowakei 3:2

2006 Russland - Argentinien 3:2

2007 USA - Russland 4:1

2008 Spanien - Argentinien 3:1

2009 Spanien - Tschechien 5:0

2010 Serbien - Frankreich 3:2

2011 Spanien - Argentinien 3:1

2012 Tschechien - Spanien 3:2

2013 Tschechien - Serbien 3:2

2014 Schweiz - Frankreich 3:1

2015 Großbritannien - Belgien 3:1

2016 Argentinien - Kroatien 3:2

Aus dem Davis Cup hatte sich Del Potro in anderen Zeiten sogar mehr oder weniger im Unfrieden verabschiedet. Er verstand sich nicht mit David Nalbandian, die beiden verloren vor acht Jahren in Mar del Plata gegen die Spanier. Seine Abkehr galt eine Weile als Verrat am Vaterland. Nun musste er Argentinien retten, den Ausgleich gegen die Kroaten schaffen, obwohl es zwischenzeitlich nach der nächsten Enttäuschung aussah. Das Doppel hatte Del Potro mit Leo Mayer genauso verloren wie Delbonis gegen Cilic, und im dritten Einzel lag der bärtige Cilic 2:0 vorne. Doch Del Potro kam mit einer Energieleistung zurück, wie sie sich Argentiniens Fußballfreunde oft vergeblich von Lionel Messi wünschen. Der Turm aus Tandíl gewann und versicherte danach, dies sei das größte Wunder seines Lebens gewesen. Und übrigens habe er sich nach einem Aufschlag von Cliic den linken kleinen Finger gebrochen. Auch danke er all jenen, die es nicht zugelassen hätten, dass er seine Karriere aufgab.

Seine Heimat Tandíl liegt zwischen den saftigen Rinderweiden der riesigen Provinz Buenos Aires, ein paar Stunden entfernt von der Hauptstadt. Aber ziemlich nah an Azul, wo 1990 Federico Delbonis geboren wurde. Wer hätte gedacht, dass er der andere Heroe werden und sein linker Arm in die Historie eingehen würde? Nicht früher Guillermo Vilas, später David Nalbandian oder jetzt Juan Martín del Potro führten schließlich die letzten Schläge, die Argentinien diese manisch herbei gesehnte Salatschüssel sicherten. Sondern er, Federico Delbonis, ATP-Nummer 41.

"Ein Team. Ein Land. Ein Traum." Das oft missglückte Motto funktionierte, der Teamchef Daniel Orsanic hielt seine Männer bei Laune. Sie stehen in Argentiniens Ehrengala ab sofort neben Vilas und Gabriela Sabatini, dem Boxer Carlos Monzón und dem Rennfahrer Juan Manuel Fangio, knapp unter den Heiligen Maradona, Messi (manchmal), Evita, Carlos Gardel (Tango) oder Che Guevara (je nach Tendenz).

Den Schläger, mit dem Juan Martín del Potro den Kroaten Cilic niederrang, bekam standesgemäß Diego Armando Maradona.

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