David Luiz bei der Fußball-WM:Charmante Fratze der Seleção

Brazil's Luiz celebrates after scoring a goal against Colombia during the 2014 World Cup quarter-finals soccer match at the Castelao arena in Fortaleza

David Luiz jubelt über seinen Freistoßtreffer im Viertelfinale gegen Kolumbien.

(Foto: REUTERS)

David Luiz ist das Symbol der Seleção - erst recht seit dem Ausfall von Neymar. Der extrovertierte Verteidiger geht als Kapitän in das Halbfinale gegen Deutschland. Auch an ihm liegt es, wie wild Brasilien auf den Gegner losgeht.

Von Thomas Hummel, Belo Horizonte

Die größte Zeitung von Belo Horizonte, Estado de Minas, eröffnete am Tag vor dem großen Spiel den Sportteil mit einem Bild des Schreckens. Ein, nun ja, Mensch brüllte den Lesern stumm entgegen, Mund und Augen aufgerissen, am Hals traten seine Adern hervor. Wildes, lockiges, verschwitztes Haar umrahmte die Fratze. Dieser Kerl sah böse aus, unerbittlich, gnadenlos. Dieser Kerl heißt David Luiz.

Würde ein findiger Handwerker aus diesem Bild eine Maske anfertigen, der Alptraum aller Kinder würde wahr. Kein Krampus, kein Hexenaustreiber, keine Halloween-Gestalt könnte furchteinflößender sein, als dieser David Luiz. Dabei wurde das Bild in einem Moment der Freude aufgenommen. Eigentlich. Der Fußballer hatte gerade das 2:0 im Viertelfinale gegen Kolumbien erzielt, es folgte der Sprint an die Eckfahne, die Show mit den Fans. Es folgte die Fratze.

"Kampf" ist die meistgebrauchte Vokabel

David Luiz ist das Symbol der Seleção. Neymar hätte es sein sollen, es wäre ein Bild der Eleganz und der Leichtigkeit gewesen. Doch Neymar ist nicht mehr dabei. Hinausgetreten aus einem Spiel, das die Brasilianer selbst zu einer Schlacht gemacht hatten. Aus einem Sportturnier, das die Brasilianer zunehmend mit handfesten Auseinandersetzungen verwechseln, zumindest bei der Wahl ihrer Worte. "Kampf" ist die meist gebrauchte Vokabel in diesen Tagen. Am besten ein Kampf, der "siegreich" bestritten wird, wie es Staatspräsidentin Dilma Rousseff ausdrückte.

Niemand steht in Brasilien mehr für Kampf als David Luiz. Dieser eigentlich schmächtige Mann mit der Lockenmähne strahlt eine mächtige Energie aus. Bundestrainer Joachim Löw würde "Urkraft" sagen. Wenn David Luiz vor dem Anpfiff die Hymne singt, scheint aus ihm die Sangeskraft aller 200 Millionen Mitbürger herauszutönen. Es wäre kaum verwunderlich, würde der 27-Jährige eines Tages eine Torlatte herausreißen und daraus einen Knoten machen.

Mit dieser Energie schaffte es die brasilianische Mannschaft bis ins Halbfinale. Vorne bot Neymar die bezaubernden Momente, hinten rannten und schwitzten die Kollegen. Keiner rannte und schwitzte erfolgreicher als David Luiz. Das ist zumindest der allgemeine Eindruck. Nach Angaben der Statistiker hat er für einen Innenverteidiger einen vergleichsweise schwachen Zweikampfwert und eine miserable Passquote.

Umso schwerer könnte der Ausfall des ruhigeren, überlegteren Thiago Silva wiegen. Während David Luiz den Abräumer gab, übernahm der Kapitän die Rolle des Strategen in der brasilianischen Abwehr. Das muss nun wohl Dante übernehmen. Doch ob das in der veränderten Hierarchie möglich ist?

60 Millionen Euro und ein astronomisches Gehalt

David Luiz wird seine Mannschaft als Kapitän ins Estádio Mineirão führen. Der Weltverband Fifa führt ihn in einer seltsamen Punktwertung unter den besten Spielern des Turniers. Was vor allem daran liegt, dass ihm bereits zwei Tore zugerechnet werden. Zwar hat im Achtelfinale eindeutig der Chilene Gonzalo Jara den Ball ins Netz bugsiert, allerdings so beeinflusst von David Luiz, dass der Treffer ihm gegeben wurde. Und im Viertelfinale knallte er einen Freistoß aus einiger Entfernung mit der Innenseite in den Winkel. Er ist einer dieser Schützen, die scheinbar Richtung Wolken schießen, deren Bälle aber dann herunterfallen wie reife Äpfel.

David Luiz ist auch deshalb der neue Herzensspieler der Brasilianer, weil er eigentlich ein charmanter Mensch sein kann. Im Trainingslager in Teresopolis steht er stets am längsten bei den Fans und schreibt Autogramme. Er ist bekannt dafür, seine Späße mit Trainer Luiz Felipe Scolari zu machen. So hart er während des Spiels gegen die Körper der Gegner rempelt, so innig tröstete er nach dem Viertelfinale den weinenden Kolumbianer James Rodríguez. Auch am Glauben fehlt es ihm nicht. Zu sehen nach dem Elfmeterschießen gegen Chile, als er den erschöpften Neymar an die Schulter drückend, ein Stoßgebet Richtung Himmel schickte. Die großen Gesten sind kein Problem für David Luiz.

Lange Zeit hielt sich hartnäckig das Gerücht in München, dass der FC Bayern liebend gerne diesen extrovertierten Typen aus São Paulo aufnehmen würde. Mit dem FC Chelsea hatte er dem Klub einst sehr weh getan mit dem Sieg im Champions-League-Finale dahoam, wo er seinen Schuss im Elferschießen so ausdrücklich humorlos unter die Latte drosch, dass dem letzten Münchner die Angst in die Knie schoss. Dann kam urplötzlich der Scheich-Klub aus Paris Saint-Germain um die Ecke, legte mehr als 60 Millionen Euro und ein astronomisches Gehalt auf den Tisch, David Luiz griff zu.

Wie viel Halloween verträgt ein Fußballspiel?

In Brasilien begleitet ihn noch die Attitüde seines Chelsea-Trainers José Mourinho. Das Spiel ohne Ästhetik, ohne Glanz, ohne Schönheit. Das Spiel ist da, um es zu gewinnen. Die Mittel sind egal. So lange es der Schiedsrichter erlaubt, wird getan, was getan werden muss.

Auch an David Luiz wird es liegen, ob Brasilien emotional überdreht. Ob sich die Seleção und die Zuschauer im Rausch des Moments noch unter Kontrolle haben oder zu wild auf den Gegner losgehen. Die Frage, wie viel Halloween ein Fußballspiel verträgt, wurde noch nie so ausgetestet.

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