Darts-WM in London:Phil Taylor im Wunderland

Darts: Weltmeisterschaft

Steht tatsächlich noch einmal im Halbfinale: Phil Taylor

(Foto: dpa)
  • Beim letzten Turnier seiner Karriere erreicht Darts-Legende Phil Taylor tatsächlich das Halbfinale.
  • Das Publikum ist außer sich - und der 57-Jährige genießt.

Von Sven Haist, London

Dieses Duell konnte Phil Taylor einfach nicht gewinnen. So sehr er auch versucht hatte, beruhigend auf das Publikum einzuwirken, die Leute ignorierten ihn. Und so verhallten seine Worte im Interview in einer Hommage, mit der die etwa 3100 Zuschauer ihm minutenlang ihre Zuneigung ausdrückten. In Dauerschleife bekam Taylor auf der Bühne zum Sound des Weihnachtshits "Winter Wonderland" zu hören, dass es für seine Anhänger wirklich nur einen Taylor auf dieser Welt gibt: "There's only one Phil Taylor, one Phil Taylor, walking along singing this song, walking in a Taylor wonderland."

Selbstverständlich ist das besungene Zauberreich eine Fiktion, aber übertrieben wäre es bestimmt nicht, zu behaupten, dass der Alexandra Palace auf dem Gipfel eines Freizeit-und Erholungsparks nördlich von London für Taylor dem Wunderland gleicht. Aus ihm, einem 57 Jahre alten Mann, geboren im ärmlichen Stoke-on-Trent, wird in dieser Spielstätte "The Power".

Die Menschenmenge geht mit Taylor eine Symbiose ein, sobald der in Erscheinung tritt, und weiß mittlerweile intuitiv, was ihr Liebling zu welchem Zeitpunkt am liebsten hätte. Nach einigen Fragen sieht der Reporter des britischen Fernsehsenders Sky Sports ein, dass das Gespräch unter diesen Umständen keinen Sinn macht und bricht ab mit dem Verweis, dass Taylor nun lieber genießen solle, wie er gewürdigt wird für sein Lebenswerk.

Gerührt steht Taylor eine Stunde vor Mitternacht vor seiner Fangemeinde, und seine Körperhaltung verrät, dass er dort gerne noch etwas länger stehen würde. "Zu hören, dass die Leute meinen Namen singen, ist für mich das schönste Gefühl auf der Welt. Ich werde das in Zukunft vermissen", sagt Taylor. Der 16-fache Rekordweltmeister im Darts hat angekündigt, nach der gerade stattfindenden WM die Karriere zu beenden. Über die Saison hinweg hat er bloß an wenigen Turnieren teilgenommen.

Die Jahrzehnte an der Spitze des Darts machen sich an Taylor bemerkbar, der unrunde Gang, die hängenden Schultern, der gebückte Kopf. Zu sehen ist das alles gleichzeitig, wenn die englische Sportlegende die acht Stufen kurze Treppe aufs Podium hinaufgeht. Aber das Verlangen, mithilfe des Publikums den viel jüngeren, aufstrebenden Konkurrenten ein letztes Mal die eigene Wurfkunst zu beweisen, lässt ihn gerade zu bekannter Stärke zurückfinden.

Van Gerwen stand vor dem Aus

Mit einem ungefährdeten 5:3 über Doppelweltmeister Gary Anderson hat Taylor am Freitag zum 20. Mal das Halbfinale einer WM erreicht. Ein weiterer Erfolg an diesem Samstagabend gegen den walisischen Qualifikanten Jamie Lewis könnte der Darts-Szene tatsächlich das erhoffte Traumfinale an Neujahr einbringen zwischen Altmeister Phil Taylor und seinem designierten Nachfolger Michael van Gerwen, der Nummer eins der Welt.

Im rein niederländischen Duell besiegte van Gerwen sein Vorbild Raymond van Barnveld in einem teils hochklassigen Spiel mit 5:4. Im Entscheidungssatz stand der Titelverteidiger, dem als nächstes der englische Newcomer Rob Cross im Weg steht, bereits vor dem Aus, was Taylor umgehend für die erste kleine Attacke verwendete: "Gerne hätte ich gegen Barney im Finale gespielt. Er war brillant und hätte sich mit 5:0 durchsetzen können", sagt Taylor.

Taylor tanzt nun ganz unverkrampft

Sein eigener Erfolg bahnte sich an, als er sechs Teilabschnitte in Serie gewann und auf 4:1 davon zog. Mit zwölf Würfen auf die 180 und einer durchschnittlichen Punktausbeute von 102 passte sich Taylor dem Anlass an. Einmal gelang es ihm, mit drei Pfeilen (19 - Triple-19 - Bullseye) den Restwert 126 auf null zu setzen. Die Hälfte seiner Versuche auf die Doppelfelder am Rand der Scheibe, mit der ein Abschnitt gewonnen wird, fand ihr Ziel. "Am Ende war es ein Kampf, weil mir die Energie verloren ging, aber ich wusste, dass ich ihn weiter unter Druck setzen muss", sagt Taylor.

Locker von der Hand

Während des Aufeinandertreffens mit Anderson fing er an, sein Abschiedsturnier zu genießen. Die Interaktion mit den Menschen im Saal beherrscht sowieso niemand besser als er. Seine Tänze nach hohen Punktzahlen oder gewonnen Sätzen wirkten zu Beginn jedoch verkrampft. Auf keinen Fall wollte sich Taylor in den ersten Runden verabschieden. Diesen Zugzwang ist er jetzt los, das macht es für seine Gegner besonders unangenehm.

Beim Darts fliegen die Pfeile nämlich immer noch am besten, wenn sie einem locker von der Hand gehen. Mit dem kopflastigen Bereich des Darts weiß keiner besser umzugehen als Taylor. Statt verbissen in den Launen einer Partie zu hängen, versucht er sich über einen gespielten Austausch mit den Zuschauern in Stimmung zu bringen. Das verschafft ihm den Vorteil, sowohl bei positivem als auch negativem Spielstand deren Kraft hinter sich zu wissen. Nach den besten Würfen ist es zu seiner Angewohnheit geworden, die Pfeile solange in der Scheibe stecken zu lassen, bis der Gegner sein Werk wirklich genau gesehen hat.

Diese Umstände könnten Lewis, der erstmals ein Halbfinale bei einer WM erreicht hat, den Rhythmus nehmen. Beim Einlaufen bereits blitzt und donnert es, die Begrüßung Taylors durch den Ansager grölt die feierwütige Meute im Ally Pally inzwischen auswendig mit: "Here he is: the record-breaking, history-making, 16-time champion of the world. It is Phil - The Power - Taylor". Dagegen anzukommen, ist eigentlich nicht möglich. Das musste selbst Phil Taylor bei seinem Interview einsehen.

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