Darts-WM:Deutsche machen Darts-WM zum Mallorca des Winters

01 01 2016 Alexandra Palace London England William Hill PDC World Darts Championship German fan

"190 dumme Deutsche :)" - offenbar gut gelaunte.

(Foto: imago/Action Plus)
  • Die Darts-WM in London zieht sehr viele deutsche Zuschauer an - obwohl kein deutscher Spieler im Finale wirft.
  • Die Mischung aus Sport und Event füllt die fußballfreie Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr.
  • Um weiter zu wachsen, wünscht sich Promoter Barry Hearn einen deutschen und einen chinesischen Spitzenspieler.

Reportage von Sven Haist, London

Inmitten einer riesigen Empfangshalle sieht der eigentlich groß gewachsene Barry Hearn ziemlich klein aus. Hearn trägt einen funktionärstypischen Anzug mit feinen Lederschuhen, die so gar nichts mit den Karnevalskostümen im Publikum zu tun haben. Eine schwere Türe weiter tobt das Finale der Darts-Weltmeisterschaft, das Titelverteidiger Gary Anderson mit 7:5 gegen Adrian Lewis für sich entscheidet. Der Schotte gewinnt gegen den Engländer, aber hauptsächlich Deutsche feiern den Weltmeister. Ein Großteil der 3000 Zuschauer im Alexandra Palace in London reist extra aus Deutschland an.

Ein Grund für die Begeisterung für einen Sport, in dem kein deutscher Sportler auch nur in die Nähe des Finales gekommen ist, ist dieser Barry Hearn. "Ich bin sehr gut im Vermarkten, aber schlecht im Darts werfen", sagt Hearn. Trotz mehrmaligen Probierens habe er kein Gefühl in den Händen, um die drei Pfeile auf der 2,37 Meter entfernt stehenden Scheibe in die richtigen Felder zu befördern. Er ist trotzdem der Vorsitzende der Professional Darts Corporation (PDC) und sucht gerade jede Kamera, die er finden kann. Er verpasst einen Teil des Endspiels, aber das scheint ihn nicht zu stören.

Hearn ist Experte im Vermarkten von Nischensportarten

Eines der Gespräche beendet Hearn mit den Worten, dass Darts aktuell das heißeste Ticket sei, und dreht sich weg vom Aufnahmegerät wie Altmeister Phil Taylor, wenn er von seinen Fans für die geworfene Höchstpunktzahl 180 gefeiert werden möchte. Seine basarähnlichen Anpreisungen mischen sich mit Erzählungen darüber, als Darts noch in Kellerkneipen gespielt wurde.

Kein Adjektiv ist Hearn zu klein, um die Gunst seiner Zuhörer zu erregen. Seit Jahrzehnten verdient der Promoter mit Nischensportarten wie Bowling, Snooker oder Boxen sein Geld. Zum aktuell größten Fang des passionierten Anglers gehört Darts. "Manchmal muss ich mich selber zwicken, wenn ich sehe, wie sich das Turnier entwickelt hat. Die Spieler präsentieren Darts von einem anderen Planeten", findet Hearn.

Das Rückspiel des Oktoberfests

Die 23. Weltmeisterschaft unter Aufsicht der PDC hat einen neuen Bestwert an Höchstpunktzahlen geliefert, in den finalen Runden war das sportliche Niveau trotzdem bescheiden. Mit 85 Prozent seines Leistungsvermögen habe er gewonnen, sagte Sieger Anderson: "Es war eine Schinderei. Wir dümpelten vor uns her." Obwohl Anderson nun seinen Weltmeister-Titel verteidigt hat, sind er und sein Finalgegner Adrian Lewis lange nicht die prominentesten Namen in der Szene.

Das Publikum widmete seine Aufmerksamkeit lieber den schon ausgeschiedenen Zugpferden, dem 16-fachen Weltmeister Phil Taylor und dem Niederländer Raymond van Barneveld. Das lag vor allem am mehrheitlich deutschen Publikum, das hauptsächlich diese beiden Spieler kennt. Als Ausgleichsprodukt und zur Zeitüberbrückung der pausierenden Bundesliga treibt es offenbar viele Feierlaunige aus Deutschland zum Darts. Im Ally Pally findet sozusagen das Rückspiel des Oktoberfests statt, was dazu führt, dass die Halle in London auf dem besten Weg ist, zum Mallorca des Winters zu werden.

Der Traum von einem chinesischen Dart-Spieler

"Sie sind verrückt. Wo kommen die denn alle her?", fragte sich Hearn, um eine Antwort gleich selbst zu liefern: "Es ist diese einzigartige Mischung aus Partystimmung bei einem bedeutenden Sportevent." Nur der Himmel sei die Grenze für den Ansturm, sofern es mal einen deutschen Spitzenspieler geben würde, meint er, und ist wieder im Basar-Modus. Der Drang von Hearn, Darts in andere Länder und Kontinente zu transportieren, fegt die Probleme auf dem heimischen Markt aus dem Gedächtnis. Die seriösen Tageszeitungen in England halten sich von der biertrunkenen Veranstaltung fern und überlassen die Berichterstattung den Boulevard-Blättern. Ein Rundgang nach dem letzten Wurf erinnert aufgrund der Müllberge und des wie Sekundenkleber haftenden Bodens auch mehr an ein Festzelt als an ein Sportevent.

Zu diesem Zeitpunkt hat sich Hearn bereits verabschiedet mit der Träumerei von einem chinesischen Darts-Profi, der alle drei Pfeile im Feld der Triple-20 versenkt. Schließlich gebe es ja bereits Besucher aus Griechenland oder der Türkei. Den einzigen asiatischen Fan in der Menge hat Hearn übersehen. Auf seinem Schild stand: "I just came from Japan to see the Darts".

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