Darts:Plötzlich ein Gesicht

2018 William Hill PDC World Darts Championships - Day Six

Erfolg mit links: Kevin Münch wirft die Pfeile mit der linken Hand, obwohl er Rechtshänder ist.

(Foto: Linnea Rheborg/Getty Images)

Seit Langem warten die deutschen Darts-Fans auf einen heimischen Spitzenspieler - nun feiern sie bei der WM den Erstrunden-Überraschungserfolg des 29-jährigen Bochumers Kevin Münch gegen Adrian Lewis.

Von Sven Haist, London

Auf diesen Spielausgang war niemand vorbereitet im Alexandra Palace, nicht einmal Kevin Münch selbst. Normalerweise dienen ja die Partien in der ersten Runde bei der Weltmeisterschaft im Darts dem Einwerfen der Spitzenspieler. So wie das in den vergangenen Tagen der Fall war bei den Duellen des bald abtretenden Altmeisters Phil Taylor und seines designierten Nachfolgers Michael van Gerwen - beide gewannen ungefährdet. Warum sollten also Zweifel am Weiterkommen des zweimaligen Titelträgers Adrian Lewis bestehen? Noch dazu, wo Lewis es mit dem Qualifikanten Münch zu tun bekam, einem Deutschen, der im Live-Ticker der ausrichtenden Professional Darts Corporation nicht mal ein Porträtbild besitzt?

"Ich bin einfach nur über den Wolken und freue mich wie hundert Brote", sagt Münch

Wie Taylor stammt Lewis aus dem ärmlichen Stoke-on-Trent im Nordwesten Englands. Bei dieser WM galt er als einer der Kandidaten für den Gewinn der Trophäe. Seinen Spitznamen "The Jackpot" erhielt Lewis infolge eines Casino-Besuchs in Las Vegas, als er am Einarmigen Banditen den Höchstbetrag erzielte. Diesen "Jackpot" hat nun Münch im letzten Spiel am Dienstag geknackt. Bei seiner zweiten WM-Teilnahme nach sechs Jahren gelang dem Bochumer Münch, 29, mit dem 3:1 der größte Erfolg seiner Karriere.

Für Lewis ist das Ergebnis ein Schock, noch nie schied der Engländer in der ersten Runde der WM aus. Münch sagte: "In meinem Kopf geht gerade nichts vor. Ich bin einfach nur über den Wolken und freue mich wie hundert Brote. Am liebsten würde ich mich hinlegen und realisieren, was passiert ist." Nach dem finalen Pfeil ins Feld der Doppel-8 wollten die Emotionen aus ihm heraus. Er drehte ab zu den etwa 2500 Zuschauern in der Halle, aber schon sein Gesichtsausdruck verriet, dass er in Gedanken noch woanders war. Auf diesen Spielausgang war er nicht vorbereitet.

Ungläubig ballte Münch die Faust und klopfte sich auf die Brust. Der neue Liebling bemühte sich, nicht eins zu werden mit der grölenden Menschenmenge vor ihm, die genau das forderte. Der Gassenhauer "Give it up" von KC and the Sunshine Band hallte da durch den Saal: "Jeder will dich. Jeder will deine Liebe. Na, na, na, na, na, na, na, na, na, na, na. Baby, gib es auf!"

Seit Jahren pilgern Hunderte Fans aus Deutschland zur Darts-WM, der karnevaleske Ally Pally ist zum Sehnsuchtsort geworden für viele, die einen Ausgleich suchen zur besinnlichen Weihnachtszeit. Lange haben die Deutschen auf einen heimischen Spitzenspieler gewartet, nun kam ihnen der Auftritt Münchs gerade recht. Die Leute schrien ihn frenetisch nach vorne. "Ich habe das erst gar nicht richtig verstanden und mich dann gefragt: Singen die wirklich meinen Namen? Warum machen die das? Für mich ist das ja nicht normal, sondern unglaublich. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", sagte Münch. Vor seinem Coup war das Auffallendste an ihm gewesen, dass er die Pfeile mit der linken Hand wirft, obwohl er Rechtshänder ist.

Nur den ersten Satz musste Münch abgegeben. In der kurzen Pause danach habe er sich überlegt: "Warum wirfst du so schnell? Warum bist du so nervös? Geh' doch auf die Bühne und spiel' einfach dein Spiel!" Nach zwei weiteren siegreichen Abschnitten (drei werden für einen Satz benötigt) stand Lewis, die Nummer sieben der Setzliste, vor dem Gewinn des nächsten Satzes und damit einem fast uneinholbaren Vorsprung. Die schwierige Lage befreite Kevin Münch offenbar von dem Druck, im Mittelpunkt zu stehen. Sieben Abschnitte gewann er plötzlich hintereinander.

Zu den Höhepunkten seiner Aufholjagd gehörte, wie er die schwierigen Werte 158, 118 und 124 mit jeweils drei Pfeilen auf null setzte. Insgesamt erreichte Münch acht Mal die Höchstpunkzahl 180, Bestwert für diese WM. Weil er ein Schnellwerfer ist, sieht das bei solchen Durchgängen, in denen bei ihm jeder Pfeil ins Feld der Triple-20 fliegt, so aus, als würden alle drei Würfe gleichzeitig seine Hand verlassen.

Selbst in der entscheidenden Phase ließ er sich nicht mehr vom möglichen Erfolg abbringen. "Ich hatte nichts zu verlieren. Beim Stand von 2:1 hatte ich so ein Zittern bekommen. Ich bin so froh, dass es geklappt hat." Münch kam entgegen, dass er sich schon zu Beginn des Abends in der Qualifikation gegen den Russen Aleksandr Oreshkin (2:0) eingewöhnen konnte. Sein nächstes Spiel findet nun in einer Woche am 27. Dezember statt.

Spätestens auf der sechsminütigen Pressekonferenz, die jeweils zur Hälfte auf Englisch und Deutsch stattfand, dürfte sich Münch bewusst geworden sein, was für ein Interesse an seiner Person er da womöglich ausgelöst hat. Einer der Reporter wollte nämlich wissen, ob er glaube, in Deutschland nun ein Superstar im Darts werden zu können. Peinlich berührt fuhr sich Münch durchs Gesicht: "Mal sehen, was die Zukunft bringt. Mein Fokus liegt allein auf der nächsten Runde." Um dem ungewohnten Rummel zu entgehen, fliegt Kevin Münch jetzt erst einmal über Weihnachten nach Hause.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: