Darmstadts Sieg in Leverkusen:Nachhilfestunde im Discounter

Bayer Leverkusen v SV Darmstadt 98 - Bundesliga

Wieso macht ihr Darmstädter denn allen das Leben so schwer? Leverkusens Stefan Kießling (rechts) ist ratlos nach dem 1:0-Führungstreffer des Aufsteigers.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Darmstadt 98 siegt in Leverkusen - und möchte das Bild des chancenlosen Sonderlings aber noch ein wenig erhalten.
  • Dabei spielt der Aufsteiger viel besser, als Trainer Dirk Schuster den Gegnern weismachen will.
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Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Erst wechselte Roger Schmidt den außerordentlich schnellen Kevin Kampl ein, unlängst für zehn oder elf Millionen Euro Ablöse von der Dortmunder Borussia nach Leverkusen gekommen; dann brachte er Javier "Chicharito" Hernandez, den ehemaligen Manchester-United- und Real-Madrid-Profi (elf Millionen Euro Ablöse), schließlich noch den schweizerischen Nationalspieler Admir Mehmedi (für acht oder neun Millionen aus Freiburg abgeworben).

Dirk Schuster wiederum reagierte mit der Einwechslung von Sandro Wagner (von Hertha BSC mit einer gesponserten Fahrkarte auf Nimmerwiedersehen nach Darmstadt verabschiedet), Tobias Kempe (ehemals TV Voerde/Westfalen) und Marco "Toni" Sailer (mutmaßlich Teilnehmer an der Bart-WM in Leinfelden-Echterdingen).

Aber so simpel ist der Fußball natürlich nicht. Fußball ist zwar so einfach beschaffen, dass Bayern München immer deutscher Meister wird und immer dieselben Klubs die Champions League gewinnen, aber so einfach ist das Spiel halt doch nicht, dass die Teuren immer die Preiswerten besiegen. Deshalb haben Kampl, Hernandez, Mehmedi und all die anderen hoch taxierten Königsklassen-Leverkusener am Samstag 0:1 gegen die Discount-Mannschaft von Darmstadt 98 verloren, und der Trainer Roger Schmidt, der Niederlagen grundsätzlich und aus Leidenschaft verabscheut, hat sich darüber nicht mal ernsthaft beschwert.

Stattdessen hat er sich für die Lehrstunde bedankt, die sein Team vom klug agierenden Aufsteiger erhalten habe. Dieses 0:1 sei natürlich "enttäuschend", sagte der Bayer-04-Coach, "aber daraus muss man lernen, und dass wir, was Cleverness angeht, viel zu lernen haben, das hat man heute gesehen".

Das Motto: "In der Bundesliga haben die nichts zu suchen"

Einer der Erfinder der Darmstädter Cleverness ist Cheftrainer Dirk Schuster, unter anderem deshalb, weil er die Medien seit Monaten herzlich dazu einlädt, am nicht allzu schmeichelhaften Bild von der Darmstädter Discount-Mannschaft zu malen, was dann auch bei den Gegnern durchaus Eindruck hinterlässt. "In der Bundesliga haben wir nichts zu suchen" - mit diesem Motto sind die 98er im Sommer in die Bundesliga eingezogen.

Das ganze Land haben Schuster und seine Mitstreiter in den Irrglauben versetzt, dass es in der Geschichte des Fußballs noch keinen solchen Außenseiter wie Darmstadt 98 gegeben habe, und je mehr sich nun bei den Betroffenen der Eindruck durchsetzt, dass dies eine Falschinformation war, umso bescheidener und demütiger tritt Schuster vor die Öffentlichkeit: "Wir wollten Bayer den Nachmittag so ein bisschen versauen", bemerkte er - es soll bloß keiner meinen, dass der vermeintlich minderbemittelte Aufsteiger in Wahrheit ein ziemlich abgezocktes Team unterhält.

Darmstadt hat noch kein Spiel verloren

Die Verstoßenen, die Schuster und sein Kompagnon Sascha Franz von den hinteren Tribünenplätzen auf den Rasen befördert haben - Spieler wie Rausch, Rosenthal, Niemeyer, Garics und Caldirola - weisen außer ihrer Routine auch die Fähigkeiten nach, derentwegen sie Profis geworden waren.

Schuster möchte das Bild des chancenlosen Sonderlings aber noch ein wenig erhalten. Einen "Sahnetag" habe man erwischt, bedankte er sich nach dem Sieg in Leverkusen beim Schöpfer der Elemente, und auch sonst hat er nicht aufgehört, die günstige Fügung hervorzuheben. "Das bisschen Glück gehört dann auch dazu, dass der eine oder andere Ball am Pfosten vorbeigerutscht ist", stellte Schuster fest, "es macht uns alle ziemlich stolz und glücklich, dass wir hier bestehen konnten."

Es fällt jetzt aber trotzdem auf, dass der Aufsteiger von den vier Spielen zum Saisonstart noch keines verloren hat - und dass dahinter Methode steckt. In Leverkusen haben die Darmstädter zwar mehr oder weniger zwangsläufig den Hausherren den Ball überlassen und sich auf die Verteidigung konzentriert, aber sie haben sich auch, besonders im ersten Abschnitt, um Ausflüge in die gegnerische Hälfte bemüht.

Sailer gestattet sich ein bisschen Schadenfreude

Einer davon führte zu dem von Kapitän Sulu erzielten Führungstreffer in der achten Minute. Die meisten Augenzeugen hielten dieses 1:0 nur für ein Intermezzo, aber Leverkusens Trainer Roger Schmidt erlebte am Spielfeldrand, "dass uns Darmstadt mit zunehmender Spielzeit den Zahn gezogen hat". Die Leverkusener wurden immer ungeduldiger und brachten nicht mehr ihre überlegenen spielerischen Mittel zur Geltung - "wir haben uns vom Fußball verabschiedet", so Schmidt.

"Toni" Sailer hat sich dann noch ein bisschen Schadenfreude gestattet, er hat gesagt, was er zuletzt schon öfter gesagt hat, dass es Spaß mache, "wenn der Gegner die Nerven verliert und ihm nichts mehr einfällt". So frech dürfen, siehe Robin Hood, nur Geächtete die Hierarchie verhöhnen. Und nun hoffen viele, dass der bärtige Guerilla-Führer sich nächste Woche wiederholen möge, denn dann empfangen die 98er den FC Bayern.

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