Darmstadt 98:Wagner Love

Der wundersame Aufstieg von Sandro Wagner geht weiter: Mit einem Tor gegen Ingolstadt bringt der Stürmer sein Team dem Klassenverbleib nahe.

Von Sebastian Fischer, Darmstadt/München

Am Ende standen sie wieder im Kreis, wie immer. Während die Darmstädter Fans im Stadion am Böllenfalltor ihre Spieler mit minutenlangen Ovationen feierten, standen die Gefeierten beieinander, die Hände auf den Schultern ihrer Nebenleute und hörten ihrem Trainer Dirk Schuster zu. Was genau Schuster den Darmstädter Fußballern wohl zurief? Später sagte er in die Fernsehkameras, dass das vorangegangene 2:0 (0:0) gegen den FC Ingolstadt, das die Feierlaune ausgelöst hatte, noch nicht zum Klassenverbleib reichen werde: "Das ist eine völlig trügerische Einschätzung, die ist sehr gefährlich", sagte Schuster. 35 Punkte hat Darmstadt, vier Vorsprung auf den Relegationsplatz, sieben auf Rang 17. "Es sieht wunderbar aus", sagte Schuster und mahnte doch gleich wieder: "Aber unten ist alles brutal eng beieinander."

Einschwören auf die letzten vier Spiele, anstatt zu feiern - der Teamkreis war das passende Bild dieser Darmstädter Saison. Man müsste jede Woche eigentlich mindestens elf Geschichten erzählen, um dieser Darmstädter Mannschaft gerecht zu werden, die zusammengestellt wurde aus Spielern, die - so sagen sie es selbst gern -, gerade "eine Delle" in ihrer Karriere hatten. Das Modell Darmstadt funktioniert offenkundig nur, weil sich kein Spieler wichtiger nimmt als seine Kollegen.

Hasenhüttls Abschied naht

Der Abschied von Ralph Hasenhüttl beim Bundesligist FC Ingolstadt wird immer wahrscheinlicher. "Nichts ist für ewig. Wir Trainer sind alle ehrgeizig, wir wollen alle möglichst in die Champions League und möglichst noch einen Titel gewinnen", sagte der 48 Jahre alte Österreicher am Sonntag bei Sport1. Der Trainer des FCI wird dem designierten Bundesliga-Aufsteiger RB Leipzig in Verbindung gebracht. Grundsätzlich sei es "als Trainer so, dass man das sehr lange wegblockt. Man hat eine Aufgabe, einen Vertrag bei einem Verein und das füllt einen auch ziemlich aus", sagte Hasenhüttl, der aber schon eingeräumt hat, mit anderen Klubs gesprochen zu haben. Hasenhüttls Vertrag beim Aufsteiger, der den Klassenerhalt so gut wie sichergestellt hat, läuft bis 2017. sid

Und doch gibt es eine Geschichte aus dem Kreis, die besonders deutlich illustriert, wie die Dellen der Darmstädter mittlerweile ausgewuchtet wurden. Es ist die Geschichte des Stürmers, der noch im vergangenen Sommer in Berlin zur Strafe alleine auf den Trainingsplatz musste, um Bälle ins leere Tor zu schießen, ein Stürmer, den Schuster gegen Ingolstadt in der 88. Minute auswechselte, um ihm seinen ganz persönlichen Triumph zu ermöglichen. Sandro Wagner, 28, hatte das 1:0 durch Konstantin Rausch in der 51. Minute vorbereitet und das 2:0 nach 85 Minuten selbst geschossen. In den vergangenen 14 Spielen war er nun an 14 Toren beteiligt. Sandro Wagner, in Berlin wegen chronischer Torungefährlichkeit ausgemustert, hat 13 Saisontore erzielt und drei vorgelegt. In der Torjägerliste liegt er auf Platz sechs, gemeinsam mit Claudio Pizarro und Raffael.

Wagner war auch deshalb der Spieler des Tages, weil die Begegnung der Aufsteiger ein typisches Spiel war, eines, das einen Entscheider brauchte. Ingolstadt spielt einen ähnlich zweikampflastigen Fußball wie die Darmstädter, es wurde viel im Mittelfeld gekämpft. Auch für so etwas hat Darmstadt ja vor der Saison einen Spieler aus Berlin geholt: Peter Niemeyer wuchtete seine Knochen in die Duelle, dass es krachte. Zwischen Darmstadt und Ingolstadt gibt es eine besondere Rivalität, seit beide Teams im vergangenen Sommer auf Mallorca gemeinsam ihre Aufstiege feierten. Deshalb war es durchaus glaubhaft, wie der FCI vor dem Spiel beteuert hatte, trotz sicherem Klassenverbleib noch motiviert zu sein. Doch mit fortschreitender Spieldauer wurde Darmstadt besser - vor allem Sandro Wagner. Vor dem 1:0 spielte er Doppelpass mit dem Torschützen Rausch, der Torwart Ramazan Özcan mit einem Schuss in die kurze Ecke überwand. Allerdings hatte Darmstadt Glück, dass Schiedsrichter Michael Weiner dabei gleich zwei Abseitssituationen übersah.

SV Darmstadt 98 - FC Ingolstadt

Reingerutscht: Sandro Wagner (rechts) erzielt das 2:0 - bereits sein 14. Saison-Tor.

(Foto: Roland Holschneider/dpa)

Das 2:0 war dann aber unstrittig - und eine Demonstration jener Wagner'schen Klasse, die er einst als Junioren-Nationalspieler zeigte und die dann irgendwann in Vergessenheit geriet: Er sicherte einen weiten Ball aus der eigenen Hälfte am gegnerischen Strafraum, indem er ihn mit seinem 194 Zentimeter langen, 90 Kilogramm schweren Körper abschirmte. Er blickte auf, spielte den Ball zurück ins Zentrum, und als Sandro Sirigu flankte, hatte sich Wagner schon in die Mitte gepirscht. Grätschend verlängerte er den Ball ins Tor.

Angeblich sind englische Erstligisten und der VfB Stuttgart an ihm interessiert, bis zu zehn Millionen Euro soll er kosten. Wagner selbst lässt seine Zukunft offen, doch sein Abschied wird erwartet. Allerdings war das nicht das Thema für diesen Tag: Wagner lief nach seinem Tor zur Haupttribüne, sprang über die Bande und schickte zwei Küsse ins Publikum. Dann schlug er sich auf Höhe seines Herzens auf die Brust, ganz in der Nähe der Lilie auf seinem Trikot. Die Zuschauer bedankten sich mit liebevollem Applaus. "Ein Baby, wie wir es hier hochgezogen haben, verlässt man nicht so ohne weiteres", hatte Trainer Schuster vor dem Spiel gesagt, da ging es um seine eigene Zukunft. Wer weiß: Womöglich hat er das seinen Spielern im Mannschaftskreis noch mal zugerufen.

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