Darmstadt:Effektiv sabotiert

FC SCHALKE 04 GEGEN SV DARMSTADT 98 AM 22.08.2015 IN GELSENKIRCHEN

Hochspringer: Der Darmstädter Konstantin Rausch feiert vor der Schalker Fan-Tribüne sein Tor zum 1:0.

(Foto: Jens Niering)

Der Bundesliga-Aufsteiger aus Hessen entnervt den FC Schalke 04 beim 1:1 durch giftiges Spiel - und durch Theatralik, die an italienische Komödien früherer Zeiten erinnert.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Vor dem Spiel zwischen Schalke 04 und Darmstadt 98 ging es auch um die Frage, wer denn nun unter den krassen Außenseitern in der Bundesliga-Geschichte der krasseste war, und André Breitenreiter sah sich schon aus persönlicher Betroffenheit dazu genötigt, dem Alleinvertretungsanspruch des 98-Kollegen Dirk Schuster entgegenzutreten und das Privileg des größten aller Underdogs für sein eigenes Team zu reklamieren. Natürlich nicht für die Mannschaft von Schalke 04, die er neuerdings betreut, sondern für das Team des SC Paderborn, das er im vorigen Sommer in die Bundesliga eingeführt hatte. Zur Beweisführung hatte er vermutlich das kicker-Sonderheft ausgewertet, jedenfalls konnte er recht präzise darlegen, warum er meint, dass die Darmstädter ihren Außenseiter-Status eher zum Zweck der Kriegslist kultivieren: "Mehr als 700 Bundesligaspiele Erfahrung" steckten im Darmstädter Kader, in Paderborn seien es lediglich 63 Spiele gewesen.

Tatsächlich bot der Aufsteiger beim 1:1 in Gelsenkirchen ein Bild, das irgendwie beiden Thesen recht gab: Einerseits erwies sich die Darmstädter Mannschaft durchaus als routiniert und abgebrüht, als sie mit Geschick und Methode dem Favoriten standhielt und sich den Punkt verdiente. Andererseits war es beinahe rührend zu sehen, wie die Spieler und ihre Betreuer das Remis bejubelten, weil sie wohl selbst ein wenig überrascht darüber waren, was ihnen da gelungen war.

"Wir waren ein ekliger Gegner, und das werden wir auch bleiben", droht Marco Sailer

"Ich muss ehrlich sagen", sprach Konstantin Rausch, der Schütze des 1:0, "auf Schalke einen Punkt zu holen - da bin ich stolz drauf." Eigentlich hätte er das gar nicht sagen dürfen, denn er war nicht für öffentliche Statements, sondern für die Abgabe der Dopingprobe bestimmt, der Aufseher stand ungeduldig neben ihm und drängelte. Aber Rausch hatte das dringende Bedürfnis, seine Freude mit der Welt zu teilen. Dabei ist gerade er ein Spieler, der das Geschäft gut kennt, 175 Bundesligaspiele für Hannover 96 und den VfB Stuttgart hatte der 25-Jährige bestritten, ehe er im Sommer nach Darmstadt ging. Dass ihn der VfB mit einer schönen Abfindung quasi abgeschoben hatte - von 700000 Euro ist die Rede -, wunderte seinen neuen Trainer: "In Hannover hat Kocka" - so lautet Rauschs Spitzname - "auf der linken Seite doch die ganze Liga verrückt gemacht."

Beim Spiel in Schalke gehörte Rausch zumindest schon mal zu denen, die das einheimische Publikum verrückt machten. Die Anhänger der Königsblauen haben die Darmstädter zunächst freundlich willkommen geheißen, aber dann fanden sie den sympathischen Aufsteiger plötzlich ziemlich unsympathisch. Am Ende haben sie die Gäste wütend ausgepfiffen, weil diese nicht nur eine gut geordnete Abwehr und leidenschaftlichem Widerstand aufboten (Rausch: "Wir haben alles abgefeuert"), sondern auch Sabotage-Tricks einsetzten.

So zog sich auch Rausch großen Ärger zu, als er nach einer vermeintlichen Kollision mit Schalkes Torwart Ralf Fährmann effektvoll in die Bande krachte und sich danach die angeblich versehrte Schulter hielt. Weil der Schiedsrichter aber längst aufgehört hatte, den angeblichen Leiden der Darmstädter Spieler Beachtung zu schenken, stand Rausch zügig wieder auf und rannte munter weiter.

Die Darmstädter haben in Schalke ein Schauspiel aufgeführt, das an italienische Komödien aus längst vergangenen Europapokal-der-Pokalsieger-Zeiten erinnerte, sie haben sich theatralisch fallen lassen und auf enervierende Weise Zeit geschunden, allein die Abschläge von Torwart Christian Mathenia dauerten jeweils lang genug, um am Bierstand einkaufen zu gehen: "Bei jeder Berührung sind sie gefallen und haben geschrien, als ob keine Ahnung was passiert ist", monierte Schalkes Aushilfsinnenverteidiger Roman Neustädter, aber dazu gab es aus dem gegnerischen Lager kein Dementi.

"Wir waren ein ekliger Gegner - und das werden wir bleiben. Darauf können sich alle freuen", drohte Marco Sailer, der Darmstädter mit dem gewaltigen Wikinger-Bart. Wobei der eingewechselte Sailer nicht nur durch seine Furcht einflößende Gesichtsbehaarung auffiel, sondern auch durch seine giftige Präsenz in der Darmstädter Offensive.

In der ersten Halbzeit haben die Darmstädter mit Mann und Maus gemauert, das darf man so billig sagen. Es gab ein Dutzend Befreiungsschläge, wie sie sonst nur in der Nachspielzeit üblich sind. Aber im zweiten Durchgang suchten die 98er mutig die Vorwärtsverteidigung, obwohl der Ausgleich durch Julian Draxler gleich nach der Pause das Konzept durchkreuzt hatte.

Die Schalker waren auch fair genug, die subversiven Mittel des Aufsteigers erstens zu billigen und zweitens nicht als Alibi zu benutzen. Schalke war es nicht gelungen, ein wirksames Kombinationsspiel gegen die dichte Deckung zu organisieren, es gab zu wenig Tempo im Spielaufbau und zu viele Ballverluste in der Angriffsspitze, in der Zugang Di Santo neben Huntelaar noch seinen Platz sucht. Beifall fürs ständige Bemühen gab es trotzdem vom eigenen Publikum - nachdem die Darmstädter die Pfiffe der Schalke-Fans genossen hatten.

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