Dallas Mavericks in der NBA:Und draußen wedelt Dirk Nowitzki

Was ist mit den Dallas Mavericks los? Während der verletzte Dirk Nowitzki fehlt, spielen die Neuen im Team groß auf. Dank der Freiheiten im System von Trainer Carlisle können sich talentierte Einzelkönner wie O.J. Mayo entfalten. Damit überraschen die Texaner die Basketballexperten.

Jonas Beckenkamp

So einen prominenten Handtuchwedler haben sie in Dallas selten gesehen. Dirk Nowitzki stand im übergroßen Zwirn neben der Auswechselbank seiner Mavericks und schleuderte grinsend ein Schweisstuch durch die Luft. Soeben hatte sein neuer Kollege O.J. Mayo gegen die Portland Trail Blazers wieder einmal einen Dreier versenkt, normalerweise gehören solche Treffer zu Nowitzkis Repertoire. Doch seit seiner Operation am Knie kurz vor Saisonbeginn ist Deutschlands stärkster Basketballer zum Zuschauen gezwungen.

Die "Mavs" gewannen die Partie nicht zuletzt dank einer beeindruckenden Vorstellung von Mayo (30 Punkte) 114:91 und sicherten sich ihren dritten Sieg im vierten Spiel der laufenden NBA-Hauptrunde. Dass die neu formierte Mannschaft ohne ihren potentesten Punktesammler derart erfolgreich starten würde, überrascht viele Beobachter, denn: Die Integration von insgesamt acht neuen Akteuren braucht für gewöhnlich viel Zeit.

Neben Flügelspieler Mayo, der zuletzt in Memphis weniger Spaß hatte, gilt es für Trainer Rick Carlisle, auch Leute wie den deutschen Nationalspieler Chris Kaman oder Regisseur Darren Collison in sein System einzubauen. Das klappt bisher gut. "Die Mavericks haben in der Sommerpause einige gute Spieler verloren, aber wir haben einige gute Spieler bekommen. Einige von ihnen werden sicher unterschätzt", sagt Kaman, der gegen Portland 16 Punkte und sechs Rebounds beisteuerte: "Unsere Jungs können richtig gut punkten."

Schon zum Saisonauftakt gegen die favorisierten LA Lakers überraschte Dallas mit seiner ausgewogenen Offensive, danach setzte es eine Niederlage gegen Utah, gefolgt von Siegen gegen Charlotte und Portland. Zwar lässt sich nach nur vier Spielen noch kein Pauschalurteil über die Stärke der Mavericks fällen, weil vor allem die drei letzten Gegner keinesfalls als unbesiegbar gelten. Doch es zeichnet sich ab, dass Coach Carlisle zumindest eine funktionierende Einheit geformt hat. Mittwochnacht gegen die Toronto Raptors folgt die nächste Prüfung.

Nach den Weggängen von prägenden Figuren wie Jason Kidd oder Jason Terry, die 2011 erheblichen Anteil am Titelgewinn der Texaner hatten, wurde Nowitzkis Team heftig umgebaut. Dass das bisher so reibungslos hinhaut, war nach diesem Sommer nicht zu erwarten. Vergeblich hatten die Verantwortlichen aus Dallas versucht, Basketball-Prominenz wie Dwight Howard (ging zu den Lakers) oder Deron Williams (blieb bei den Nets) in die Stadt zu bringen - am Ende der Transferphase wirkte der Kader wie ein bunter, irgendwie willkürlich zusammengeknüpfter Fleckenteppich.

Umso mehr darf es jetzt als Verdienst des erfindungsreichen Coaches gelten, dass die zusammengewürfelte Zockertruppe auch ohne Nowitzki ansehnlichen Sport bietet. Meistertrainer Carlisle hat seinem Team eine organisierte Chaostaktik eingeimpft, nach der die Spieler auf dem Parkett enorme Freiheiten genießen. Von diesem "Flow"-System scheint vor allem der als Eigenbrötler verschriene Mayo zu profitieren. "Wir spielen organisierten Streetball. Wir sind unberechenbar, lesen die Defense und spielen einfach drauf los", schwärmte der 25-Jährige.

Carlisles Chaos-System

Carlisle erkannte das Potenzial des Sorgenkindes und beschäftigte sich in der Vorbereitung intensiv durch Einzeltraining mit seinem vielleicht talentiertesten Mann neben Nowitzki. "Er macht mir sehr viel Spaß. Er saugt wie ein Schwamm jeden Hinweis auf und arbeitet täglich daran, sich zu verbessern", lobt der Trainer nun seine Entdeckung. Neben dem Schützen Mayo trägt aber auch der junge Organisator Collison bisher zur großen Unberechenbarkeit der Mavericks bei.

Der aus Indiana gekommene Spielmacher findet immer wieder seine freistehenden Mitspieler und bringt selbst mehr Explosivität im Angriff mit als es zuletzt beim etwas langsamen Jason Kidd der Fall war - für die druckvolle, rasante Offensive des Carlisle-Basketballs ist er damit weitaus besser geeignet.

Garniert wird der Angriffswirbel der "Mavs" durch die plötzliche Präsenz Kamans unter dem Korb. Der eingebürgerte Deutsche, über den Nowitzki sagt, er habe noch nie mit so einem dominanten Center zusammengespielt, übertraf bei seinen ersten beiden Auftritten alle Erwartungen. 16 seiner 19 Würfe im Trikot seines neuen Arbeitgebers fielen bisher durch die Reuse - eine bemerkenswert hohe Quote.

Und so zeichnet sich ab, dass der eigentliche Nachteil durch Nowitzkis Fehlen sich sogar in einen Vorteil verwandeln könnte. Die zahlreichen Zugänge bekommen gleich zu Saisonbeginn reichlich Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen - genau das hatte der Deutsche nach seinem Ausfall gefordert: "Die Jungs müssen einen Weg finden, um Spiele zu gewinnen. Auch ohne mich."

Ähnlich sieht es auch Portlands Coach Terry Stotts, der zuletzt vier Jahre als Co-Trainer in Dallas gearbeitet hatte. "Ohne Dirk haben die neuen Spieler die Chance, zusammenzuspielen und sich richtig kennenzulernen. Und wenn Dirk dann zurück kommt, werden sie noch besser sein."

Wann die Liga seine Rückkehr zu befürchten hat, ist derzeit unklar. Vier weitere Wochen dürften es nach seiner Arthroskopie am lädierten rechten Knie aber noch sein. So lange fällt die Verletzungspause seines Mitspielers Shawn Marion immerhin nicht aus. Der einzige Verbleibende aus der Meistermannschaft von 2011 neben Nowitzki zog sich gegen Portland eine Bänderdehnung zu und fehlt nun für drei Spiele. Somit können die restlichen Mavericks erneut beweisen, dass sie prominente Ausfälle gut kompensieren können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: