Curling bei Olympia:Er wischte weiß Gott um sein Leben

Curling bei Olympia: Er eher ein Bär, sie eine energische Person, die den Charme der Intellektuellenbrille verbindet mit der rauen Stimme eines Poliers am Bau: Der Schweizer Curler Martin Rios gewann mit seiner Ex Jenny Perret die Silbermedaille.

Er eher ein Bär, sie eine energische Person, die den Charme der Intellektuellenbrille verbindet mit der rauen Stimme eines Poliers am Bau: Der Schweizer Curler Martin Rios gewann mit seiner Ex Jenny Perret die Silbermedaille.

(Foto: Aaron Favila/AP)

Curler curlen, sie curlen um neun und abends um acht, sie curlen verlässlich. Selbst nach einer Trennung curlen sie, ihnen zuzusehen bedeutet auch immer: ein wenig runterkommen.

Von Holger Gertz, Pyeongchang

Schon jetzt kann man sagen, dass die Curler ihren Beitrag zur emotionalen Balance dieser Veranstaltung geleistet haben, sie sind das Gegengewicht zu den Cheerleader-Festspielen, wo undurchschaubare Gestalten merkwürdige Lieder singen, in wessen Auftrag auch immer. Bei den Curlern liegen die Dinge klarer, dort wird unter aller Augen noch handfest und nachhaltig mit dem Besen gearbeitet.

Dort werkelten Männer und Frauen gemeinsam in der neu geschaffenen Disziplin Mixed Doubles, die das Programm nicht sinnlos aufbläht, sondern das klassische Curling in Viererteams entschlackt und beschleunigt. Alles geht rasanter zu im Mixed, auch die Kommunikation untereinander. Die Curler sind verkabelt, man bekommt unverschlüsselt mit, was sie sich zu sagen haben, und dass das Gespräch zwischen Mann und Frau zu den schwierigeren und gelegentlich desillusionierenden Übungen des menschlichen Miteinanders gehört, wurde im Gangneung Curling Centre sehr gut dokumentiert.

Vor allem im Zusammenspiel der herrlichen Schweizer Jenny Perret und Martin Rios, er eher ein Bär, sie eine energische Person, die den Charme der Intellektuellenbrille verbindet mit der rauen Stimme eines Poliers am Bau. Die beiden waren ein Paar, nach der Trennung haben sie beschlossen, auf dem Eis gemeinsam weiterzumachen. Eine solche Entscheidung verdient ehrfürchtige Bewunderung, weil man sich ja nicht von jemandem verabschiedet, um ihm danach noch dauernd auf glattestem Parkett zu begegnen. Aber es kann offensichtlich funktionieren.

Dass Perret und Rios kein reines Liebespaar mehr sind, konnte jeder hören und sehen, da lag dieses Kannst-du-nicht-endlich-mal-deine-verdammten-Barthaare-aus-dem-Waschbecken-wischen-Aroma im Blick der jungen Frau. "Zu viel Harmonie tut uns nicht gut" hat Martin Rios der NZZ gesagt, vor Ort wischte und wischte er allerdings, um die Stimmung nicht noch weiter gefrieren zu lassen, er wischte weiß Gott um sein Leben und holte am Ende gemeinsam mit der Ex die Silbermedaille, nur Kanada war stärker. Er wischte danach noch jeden Zweifel beiseite, dass Jenny auch nur einen Hauch von Schuld an der Niederlage haben könnte, Martin Rios nahm das gesamte Gewicht auf sich.

Bryzgalova und Krushelnitckii knüpfen von der Kompliziertheit der Namen an große Meister an

Komplett anders die Situation im Hause der Curler Aleksandr Kruschelnitckij und Anastasia Bryzgalowa, zwei aus jener Mannschaft, die sich "Olympische Athleten aus Russland" nennen dürfen. Das Duo Bryzgalova/Krushelnitckii ist reizvoll schon deshalb, weil es von der Kompliziertheit der Namen an große Meister der sowjetischen Geschichte anknüpft, die Eisläufer Protopopow/Bogojawlenskaja zum Beispiel. Bryzgalowa/Kruschelnitckij sind darüberhinaus ein Ehepaar, verheiratet seit dem vergangenen Sommer und dementsprechend noch immer sehr zuvorkommend im Umgang miteinander.

Ohne Training wäre keiner hier

"Wir haben uns durch das gemeinsame Curlen noch besser kennengelernt, und ich weiß nicht, was daran schlecht sein soll, mit seinem Partner eine Mannschaft zu bilden", sagte Anastasia Bryzgalowa, dann gewannen die beiden Bronze, gegen ein norwegisches Paar.

Wenig interessiert den Menschen mehr als das Beziehungsleben seiner Mitmenschen, deshalb lehnt er sich zu Hause weit aus dem Fenster, um mitzukriegen, wie's beim Nachbarn so läuft; deshalb liest er die Klatschblätter, um auf dem Laufenden zu sein in Sachen Familienplanung des Fürsten X aus Y; deshalb schaut er den Curlern bei der Paartherapie zu, wobei der Sport natürlich in erster Linie wahrer und ernsthafter Sport ist. Ohne extremes Training wäre keiner von denen hier.

Das Mixed-Turnier ist Geschichte, inzwischen laufen wieder die traditionellen Wettbewerbe mit den klassischen Viererteams; Männer und Frauen getrennt. Curling wird fast durchgängig gespielt während der zwei Wochen Olympia, anderswo verbläst es die Skifahrer, oder die Cheerleader sind auf einmal wichtiger als die Hockeyspieler. Aber Curler curlen, sie curlen morgens um neun und abends um acht, sie curlen verlässlich; selbst nach einer Trennung curlen sie, und ihnen zuzusehen bedeutet auch immer: ein wenig runterkommen.

Die Schweizerin Jenny Perret gehört zu denen, die nicht nur im Mixed antreten, sie ist auch Teil des Frauen-Teams von Skip Tirinzoni. Es geht für sie also noch weiter. Ihr Mixed-Partner Martin Rios reist demnächst aus Pyeongchang ab, die Silbermedaille und das Tigerchen im Gepäck.

Er hinterlässt aber einen großen Satz, den nur einer sagen kann, der jeden Schmerzpunkt desjenigen kennt, von dem er spricht. Denn dann klingt es nicht gehässig, sondern sogar ein bisschen warm. So sagte also Martin Rios: "Es ist super, wenn Jenny nervös ist. Dann kann sie nicht denken. Und wenn sie nicht denken kann, dann spielt sie besser."

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