Crash-Piloten in der Formel 1:Vorsicht vor gefährlichen Pistenrambos

Und dann macht es einfach Bumm: Die Zahl der Startunfälle in der Formel 1 ist drastisch gestiegen, zuletzt krachte es mehrfach. Durch riskante Manöver können übereifrige Hinterbänkler entscheidend in den Kampf um den Titel eingreifen - auch, weil die frühen Unfälle schwer zu sanktionieren sind.

Elmar Brümmer

Nico Rosberg musste sich ausgeschlossen fühlen. Schon nach einer Runde musste er seinen Formel-1-Mercedes beim Großen Preis von Südkorea abstellen und zu Fuß zur Box zurückstapfen. Unterwegs traf er Jenson Button, dessen McLaren ebenfalls torpediert worden war und der so endgültig alle Titelchancen verloren hatte. Der Brite war lediglich zwei Kurven weit gekommen, dann war er - wie Rosberg - ein Opfer des Übermutes von Sauber-Fahrer Kamui Kobayashi geworden.

Zum x-ten Mal in diesem Jahr hatte ein Grand Prix mit einem Startchaos begonnen. Selten gab es auf den ersten Metern ähnlich oft ein Durcheinander wie 2012. Die Pisten-Rambos entscheiden den Titelkampf mit. Ferrari-Fahrer Fernando Alonso liegt auch deshalb in der Fahrerwertung vier Rennen vor Saisonende sechs Punkte hinter Red-Bull-Spitzenreiter Sebastian Vettel, weil er zweimal gleich zu Beginn des Rennens unschuldig von der Strecke geräumt wurde. Zufall oder mehr - die Frage drängt sich auf.

Jenson Button sprach nach seiner folgenreichen Begegnung mit Kamui Kobayashi in Yeongam von einem "Armutszeugnis für die Formel 1", Nico Rosberg meinte säuerlich: "Das macht so keinen Spaß. Einige gehen einfach zu viel Risiko, das muss sich ändern. Eine Handvoll Fahrer ist zu extrem." Der 26 Jahre alte Kobayashi gehörte zwar stets zu den aggressiveren Piloten im Feld, rüde Unhöflichkeiten waren dem Japaner bisher aber fremd. Vielleicht hat sich das geändert, seit er glaubt, seinen Platz im Sauber-Rennstall nur durch besonders gute Platzierungen behalten zu können. "Ein paar von uns scheinen nicht begriffen zu haben, dass ein Rennen länger geht als zwei Kurven", grollt Button jedenfalls.

Unfälle bleiben natürlich nicht aus, wenn 24 Fahrer auf einen scharfen Knick zurasen, die Formel 1 ist schon immer ein Verdrängungswettbewerb im Wortsinn gewesen. Aber in dieser Saison scheinen die Sitten zu verrohen. Ein Grund dafür ist die höhere Wettbewerbsdichte. Auch Fahrer, die weiter hinten starten, können plötzlich ganz vorne für Unfrieden sorgen.

Zu den Kandidaten, die immer für einen Crash gut sind, gehören Romain Grosjean (Lotus), Bruno Senna oder Pastor Maldonado (beide Williams) - zusammen haben sie noch keine 100 Formel-1-Rennen bestritten. Unerfahrenheit und Profilierungsdrang ergeben offenbar eine unheilvolle Mischung.

Der aus Genf stammende Grosjean, 25, hat in der Hälfte der bisherigen 16 Saisonrennen für splitterndes Karbon gesorgt; weil er in Spa-Francorchamps eine Massenkarambolage am Start verursachte, wurde er für ein Rennen gesperrt. Das hatte es zuvor 1994 das letzte Mal gegeben. Damals traf es den späteren Weltmeister Mika Häkkinen.

Sich selbst richtig einschätzen

Der Finne kann gut nachvollziehen, warum sich Grosjean seit dem Aussetzer so schwer tut, wieder einen Rhythmus zu finden: "Es besteht immer die Gefahr, dass sich ein Fahrer nur verändert, weil die Leute darauf bestehen. Man versucht dann, jemand anderes zu sein. Das ist jedoch keine gute Idee. Es ist besser, man lernt aus seinen Fehlern und ist trotzdem noch aggressiv genug. Dazu muss man nicht bloß an sich selbst glauben - vielmehr muss man sich selbst auch richtig einschätzen."

In Südkorea war auffällig, wie unauffällig Grosjean zu Werke ging. Er kam ohne Feindberührung als Siebter ins Ziel. Zuvor hatte ihm sein Teamchef Eric Boullier kaum verschlüsselt kundgetan, dass seine Vertragsverlängerung akut gefährdet sei. "Es war sicher nicht der einfachste Tag des Jahres für mich", gab der eingeschüchterte Fahrer zu, "aber es war ein wichtiges Rennen und ohne Schwierigkeiten am Start. Das muss ich jetzt noch vier weitere Male zeigen." Nach dem unfallfreien Auftritt wurde Grosjean in der Box gratuliert, als hätte er gewonnen.

Der Automobilweltverband FIA hat angesichts der vielen Vorfälle seine Rennkommissare angehalten, hart durchzugreifen. Allerdings ist das Schnellgericht im Kommandoturm häufig überfordert, den Laienrichtern hilft auch die Unterstützung durch Renndirektor Charlie Whiting und einen ehemaligen Rennfahrer als Berater nicht immer. Dazu passiert zu viel zu schnell. Stundenlange Diskussionen über einzelne Szenen sind die Folge. Auch Sebastian Vettel war schon öfter Thema solcher Sitzungen und wurde ernsthaft verwarnt. Selbst der Titelverteidiger fährt unter Beobachtung.

Kamui Kobayashi wurde für seine Aktion gegen Button und Rosberg in Yeongam mit einer Strafrunde durch die Boxengasse bedacht. Es war das 97. Mal in dieser Saison, dass die Kommissare eine Buße verhängten. Der Trend zum Strafzettel führt dazu, dass die Teams sich bei Rennleiter Charlie Whiting oft gegenseitig anschwärzen. "Sag' Charlie Bescheid!" - das ist zum Standard-Funkspruch zwischen den Fahrern und den Kommandoständen geworden.

Welche Strafe auf ein Vergehen folgt, ist nicht immer klar. Seit einiger Zeit gibt es aber eine besonders probate Maßnahme: Rennstrecken-Sünder können zu mehreren Stunden Verkehrserziehung im Rahmen der FIA-Kampagne für Sicherheit auf den Straßen verurteilt werden.

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