Costa Rica - Serbien (14 Uhr):Mehr als Grätschen

Costa Rica - Serbien (14 Uhr): Zaudern war noch nie die Art von Mladen Krstajic: "Ich will in meinem Leben immer die größten Herausforderungen annehmen", sagt der serbische Nationaltrainer.

Zaudern war noch nie die Art von Mladen Krstajic: "Ich will in meinem Leben immer die größten Herausforderungen annehmen", sagt der serbische Nationaltrainer.

(Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Der frühere Bundesliga-Verteidiger Mladen Krstajic ist als serbischer Nationaltrainer nicht unumstritten. Er soll eine talentierte Generation zum Erfolg führen, doch ihm fehlt Erfahrung.

Von Frank Hellmann, Samara

Am WM-Standort Samara scheiden sich die Geister. Die einen halten einen Besuch der Millionenstadt mit ihren alten Industrieanlagen für wenig empfehlenswert. Artjom Masilkin, Autor im Reiseführer für russische Fußballkultur, hebt jedoch hervor, wie gerne Gästefans für ein Auswärtsspiel bei FC Krylja Sowjetov nach Samara kommen würden: "Wie ein kleiner Urlaub. Eine wunderbare, fünf Kilometer lange Uferpromenade entlang der Wolga."

Der Zwiespalt passt ganz gut zur Gemengelage, in der Mladen Krstajic vor seinem ersten WM-Auftritt als Nationaltrainer Serbiens zum Auftakt gegen Costa-Rica in den Südosten Russlands gereist ist. Sein Team scheint der Prototyp einer Wundertüte zu sein. Das Spiel in der Kosmos-Arena, die mit einer gigantischen Glaskuppel wie ein Raumschiff anmutet, ist der Wegweiser für das Turnier. Denn gegen die Schweiz und Brasilien wird es nicht leichter. Eine Niederlage wäre fast gleichbedeutend mit dem frühen Abflug.

"Ich habe gut geschlafen und werde es auch diese Nacht wieder tun. Weil meine Mannschaft gut gearbeitet hat, alle sind gut vorbereitet", sagt Krstajic. Wegen seiner 243 Bundesligaspiele für den FC Schalke 04 und Werder Bremen zwischen 2000 und 2009 ist er in Deutschland noch ein guter Bekannter. Seine denkwürdigen Grätschen machten ihn einst zu einem angesehenen Verteidiger. Aber schafft so einer den Spagat, als unerfahrener, mit 44 Jahren junger Trainer ein Nationalteam durch ein Weltturnier zu führen? "Es ist eine große Verpflichtung und eine große Verantwortung, aber ich habe keine Angst vor dem Druck", sagt er. "Es ist eine Ehre für mich. Er weiß, dass ihm Skepsis entgegenschlägt. Zu den Zweiflern zählt zum Beispiel Dragoslav Stepanovic. Der legendäre frühere Frankfurter Trainer, einst 34-maliger Nationalspieler für das ehemalige Jugoslawien, sagt: "Er muss beweisen, dass er eigene Ideen entwickeln kann. Und er muss dafür sorgen, als Respektsperson anerkannt zu werden."

Krstajic hat den Nationaltrainer-Posten erst im Oktober 2017 übernommen

Den Erwartungsdruck an sich selbst hat Krstajic, eher ein Geradeaus- als ein Querdenker, mal so beschrieben: "Mir ist natürlich klar, dass ich aus dieser Geschichte entweder als Oberst oder als Toter herausgehen werde." Das ist zwar martialisch formuliert, trifft die Ausgangslage indes vortrefflich. Himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt, das ist keine untypische Denkweise im serbischen Fußball.

Bei der WM 2006 in Deutschland, als Krstajic noch selbst als Abwehrspieler aufräumte, gab sich das als Serbien und Montenegro angetretene Team im Gruppenspiel gegen Argentinien bei einer 0:6-Pleite der Lächerlichkeit preis. In der Arena auf Schalke klopfte sich Diego Maradona auf der VIP-Tribüne feixend auf die breiten Schenkel. Kurz darauf war für die verhöhnten Serben das Turnier freudlos beendet. Null Punkte, 2:10 Tore. Vier Jahre später in Südafrika litten die Serben erneut: Zwar gelang im zweiten Gruppenspiel ein viel beachteter 1:0-Überraschungssieg gegen Deutschland, doch vorher war Ghana (0:1) und nachher Australien (1:2) zu stark, die Mannschaft schied wieder als Gruppenletzter aus. Die Auszeiten bei drei folgenden Großereignissen - von der EM 2012 über die WM 2014 bis zur EM 2016 - manifestierten Mängel und Misswirtschaft im serbischen Verband, in dem keine nachhaltigen Strukturen gediehen. Immer wieder rankten sich Gerüchte, der Fußball werde von politischen Machtkämpfen zum Unguten beeinflusst.

Dazu passt, wie der 59-malige Nationalspieler Krstajic überhaupt zum Trainerjob kam. Der in der Qualifikation erfolgreiche Slavoljub Muslin warf hin, verärgert über Funktionäre, die sich einmischten. Sein Assistent übernahm im Oktober 2017 zunächst interimsmäßig, zwei Monate später bekam Krstajic einen Vertrag für die WM. Zaudern war noch nie seine Sache. "Einige beginnen mit 40 wichtige Dinge zu tun, manche mit 55 und manche im hohen Alter. Andere wiederum kommen nie an diesen Punkt. Ich selber will in meinem Leben immer die größten Herausforderungen annehmen", sagte der dreifache Familienvater einmal. Nebenbei lenkt er übrigens noch die Geschicke beim bosnischen Erstligisten FK Radnik Bijeljina.

Aus Deutschland dürfte zunächst wohl nur Filip Kostiv vom HSV spielen

Krstajic hat im serbischen Team in kurzer Zeit einiges über den Haufen geworfen. Dem ehemaligen Chelsea-Recken Branislav Ivanovic, der inzwischen bei Zenit St. Petersburg in Russland gutes Geld verdient, nahm der Coach die Kapitänsbinde ab und ernannte Aleksandar Kolarov von AS Rom zum neuen Chef. Der 32-Jährige saß am Samstag in der Pressekonferenz neben Krstiajic und sagte: "Für uns steht das wichtigste Spiel in unserer Geschichte seit langer Zeit an. Es wird über den weiteren Weg bei dieser WM entscheiden."

Die Serben verteidigen unter dem neuen Trainer nicht mehr in einer Fünferkette, sondern sind in einem 4-3-3-System offensiver ausgerichtet. Für Verteidiger Milos Veljkovic, der bei Werder Bremen zum Leistungsträger reifte, wird es nun noch schwerer, zu WM-Einsätzen zu kommen. Aus der Bundesliga dürfte es zuerst wohl nur Filip Kostic vom Hamburger SV am linken Flügel in die Startelf schaffen.

In der Offensive trägt der bullige Mittelstürmer Aleksandar Mitrovic vom FC Fulham die Hoffnungen, beim letzten Test gegen Bolivien (5:1) traf er dreimal. Und dann gibt es noch den Mittelfeldspieler Sergej Milinkovic-Savic, den Krstajic-Vorgänger Muslin häufig links liegen ließ. Der technisch versierte Stratege von Lazio Rom steht wie kein Zweiter für die Versprechungen, die der Gewinn der U19-EM 2013 und der U20-WM zwei Jahre später weckte. Die Verbandsspitze verlangte von Krstajic-Vorgänger Muslin stets, den 23-Jährigen zu fördern, weshalb es zum großen Krach kam. Krstajic denkt in diesem Fall eher geradeaus. Er wird Milinkovic-Savic wohl aufstellen.

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