Copa Libertadores:Musterklub aus Medellin

Atlético Nacional aus der einstigen Drogenmetropole Kolumbiens gewinnt gegen Independiente del Valle die Champions League Südamerikas.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der letzte kontinentale Triumph lag lange zurück, und entsprechend wurden in der Nacht zum Donnerstag im Sportkomplex Atanasio-Girardot zur Feier des Tages nur die besten Bengalos gezündet, als der Sieg perfekt war. Mit 1:0 besiegte Atlético Nacional de Medellín im Finalrückspiel der Copa Libertadores, dem Pendant zur europäischen Champions League, den Überraschungsfinalisten Independiente del Valle aus Ecuador. Erstmals nach 27 Jahren blieb damit die wichtigste Klub-Trophäe des südamerikanischen Fußballs wieder in Medellín. Das Hinspiel war in der Vorwoche 1:1 ausgegangen. "Ganz Kolumbien hat diesen Triumph verdient", sagte Medellíns Trainer Reinaldo Rueda, der bei den letzten beiden Weltmeisterschaften von sich reden gemacht hatte. 2010 führte er Honduras nach Südafrika, 2014 qualifizierte er sich mit Ecuador.

Rueda ist erst der dritte kolumbianische Trainer, der die Libertadores-Trophäe in den Himmel stemmen durfte. Zuvor war das Luis Fernando Montoya (2004) mit Once Caldas gelungen - und 1989 dem legendären Francisco "Pacho" Maturana mit Atlético Nacional. Das waren freilich völlig andere Zeiten. Damals war Medellín fest im Würgegriff der Drogen und des Terrors, so auch der Fußball.

Als Atlético Nacional - als erste kolumbianische Mannschaft überhaupt - die Libertadores 1989 holte, konnte es sich auf einen besonderen Fußball-Fan verlassen: den legendären Drogenkönig Pablo Escobar, alias "el Patrón", der 1993 bei einer Razzia von einer US-kolumbianischen Spezialeinheit erschossen wurde.

Football Soccer- Atletico Nacional  v Independiente del Valle  - Copa Libertadores - Final - Colombia

Ein Siegtorschütze, der kaum zu verteidigen ist: Miguel Borja, der Medellin mit seinem Tor auch die Teilnahme an der Klub-WM in Japan sicherte.

(Foto: John Vizcaino/Reuters)

Ein früherer argentinischer Schiedsrichter, Juan Bava, erzählte vor einigen Jahren, wie er am Vorabend des Halbfinales der 1989er-Libertadores von Atlético Nacional gegen die uruguayische Mannschaft FC Danubio vom Schiedsrichterbetreuer an einen Ort von besonderem touristischen Interesse gefahren wurde: jenem Platz, auf dem zuvor ein kolumbianischer Referee erschossen worden war. In der Nacht bekam das Gespann dann unangemeldeten Hotel-Besuch, "von drei oder vier Vermummten", wie Bava erzählte. Die sprangen plötzlich auf den Betten der Schiedsrichter umher, fuchtelten mit ihren Maschinengewehren und hinterließen eine Kiste mit einer Million Dollar, ehe sie nach einem Kommentar, den man als Handlungsanweisung verstehen musste - "Nacional muss gewinnen!" -, von dannen zogen.

Bava, der damals als Linienrichter eingeteilt war, versicherte, man habe das Geld nicht angerührt. Dem Kollegen aber, der das Spiel leiten sollte, habe er versprochen, im Zweifelsfall selbst den Ball "per Kopf im Winkel des Tores" von Danubio zu versenken. Es war dann nicht nötig, Nacional siegte auch so mit 6:0 und zog ins Finale gegen Olimpia Asunción ein, das die Kolumbianer durch das 5:4 im Elfmeterschießen des Rückspiels gewannen. Wobei man sagen muss, dass Atlético eine grandiose Mannschaft zusammen hatte - angefangen mit dem legendären Torwart René Higuita und einem der berühmtesten Toten der Fußball-Geschichte, Andrés Escobar, der wenige Wochen nach einem Eigentor bei der WM 1994 in Medellín ermordet wurde.

Die Copa-Libertadores-Gewinner seit 2006

2006 SC Internacional Porto Alegre / BRA

2007 Boca Juniors Buenos Aires / ARG

2008 Liga de Quito / Ecuador

2009 Estudiantes de La Plata / ARG

2010 SC Internacional Porto Alegre / BRA

2011 FC Santos / BRA

2012 Corinthians Sao Paulo / BRA

2013 Atlético Mineiro Belo Horizonte / BRA

2014 CA San Lorenzo de Almagro / ARG

2015 River Plate Buenos Aires / ARG

2016 Atlético Nacional Medellin / KOL

Derlei dramatische Begleitumstände liegen diesmal offenkundig nicht vor. Medellín wird in der internationalen Presse als ein Musterbeispiel für einen Wandel gefeiert, der aus der einstigen Drogenmetropole eine wieder bewohnbare, sogar moderne Stadt gemacht hat. Und auch der kolumbianische Fußball steht offenkundig auf neuen Füßen. So holte mit Independiente Santa Fe ein zweiter Klub des Landes die "Copa Sudamericana", die in etwa der Europa League entspricht. "Dies ist alles Frucht von Seriosität, Organisation, Planung", sagt Jaime De la Pava, Trainer des Überraschungsteams der vergangenen kolumbianischen Saison, Cortuluá.

Atlético Nacional sticht dabei heraus. Der Klub hat nun 25 Titel beisammen, darunter 15 kolumbianische Meisterschaften, von denen die Grün-Weißen acht in den letzten elf Jahren holten. Der Klub wurde 1996 von einem mächtigen Firmen-Konglomerat, der "Organización Ardilla Lülle" des Milliardärs Carlos Arturo Ardilla Lülle, aufgekauft und gilt seither als Musterklub.

"Atlético Nacional hat eine sehr gute Nachwuchsarbeit, investiert das Geld korrekt in Spieler von bestem Niveau, in ideale Trainerstäbe sowie in das Vereinsgelände, auf dem man auf alle Bequemlichkeiten zurückgreifen kann. Jeder Peso, der durch den Verkauf eines Spielers oder durch Werbeerlöse in den Klub wandert, spiegelt sich in der Verbesserung des Kaders oder des Klubs wieder", lobt die Zeitung As.

So gesehen hatte es eine gewisse Zwangsläufigkeit, dass Atlético wieder die Libertadores gewann, gegen ein Team aus Ecuador übrigens, das die argentinischen Kultklubs Boca Juniors und River Plate aus Buenos Aires ausgeschaltet hatte. Den entscheidenden Treffer im Finale erzielte Miguel Borja bereits in der achten Minute per Abstauber nach einem Freistoß, dieses Tor ebnete Atlético Nacional Medellín den Weg zur Klub-Weltmeisterschaft im Dezember nach Japan.

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