Copa América Centenario:Zeit wird's!

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Schmerzhafte Trennung: Argentiniens Angel Di Maria (rehcts) nimmt dem Chilenen Gary Medel den Ball ab. (Foto: Xinhua/Imago)

Argentinien siegt auch ohne Lionel Messi zum Copa-Auftakt gegen Chile. Das Team der Ungekrönten will in den USA endlich ein großes Turnier gewinnen.

Von Jürgen Schmieder, San José/Los Angeles

Die Tages-Laufstrecke von etwa zwölf Kilometern hat sich Lionel Messi erspart. Die kleine Pause sei ihm gegönnt, schließlich hatte er in den vergangenen zwölf Tagen knapp 30 000 Kilometer mit dem Flugzeug zurückgelegt: Er ist vom spanischen Pokalfinale in Madrid mit dem FC Barcelona erst zum Trainingslager der argentinischen Nationalelf nach Buenos Aires gereist, danach zurück zu seinem Steuerprozess in Barcelona - und schließlich zur Copa América Centenario nach San José/USA. Messis Rücken jedoch zwickte zum Turnierbeginn am Montagabend noch immer - nicht aufgrund der unbequemen Sitze im Privatjet, sondern wegen einer Verletzung aus dem Vorbereitungs-Kick gegen Honduras. Also rannte Messi beim 2:1-Auftaktsieg der Argentinier gegen den Vorjahresgewinner Chile nur jeweils 25 Meter jubelnd an der Seitenlinie - bei den beiden Toren. Ansonsten fand die Party ohne den Stargast statt.

Es gibt zweieinhalb Fußballer auf dieser Welt, die kennt jeder Sportfan. Dass der Brasilianer Neymar nur als Halbpromi zu werten ist, bewiesen ein paar amerikanische Reporter bei der Finalserie der Basketballliga NBA, als sie sich tatsächlich wunderten, wer denn dieser Typ mit der umgedrehten Mütze sei, den Stephen Curry und Klay Thompson in der Umkleidekabine der Golden State Warriors so herzlich begrüßten. Neymar fehlt bei der Copa in den USA, weil er für die Brasilianer das olympische Fußballturnier gewinnen soll. Der Zweite, den alle kenne, Cristiano Ronaldo, muss aufgrund seiner Herkunft bei der Europameisterschaft für Portugal antreten. Bleibt also Messi als großes Zugpferd für dieses Turnier. Doch der saß nun erst einmal nur auf der Bank.

Die Argentinier zeigten auch ohne ihn, dass sie eine starke Mannschaft zu dieser Veranstaltung geschickt haben. Sie verteidigten gegen schön kombinierende Chilenen konzentriert, eroberten den Ball häufig bereits in der gegnerischen Hälfte und konterten dann bisweilen schneller als ihre Schatten. Beim 1:0 war Angel di Maria bereits auf dem Weg zum gegnerischen Tor, bevor sein Gegenspieler den Ballverlust des Kollegen überhaupt bemerkt hatte. Di Maria bekam das Spielgerät und schoss es ins kurze Eck (50.). Acht Minuten später kopierte Ever Banega Laufweg und Schussrichtung seines Kollegen. Überhaupt hätten die Argentinier bei schnell und präzise vorgetragenen Angriffen noch mehr Treffer erzielen können. Das 1:2 der ebenfalls gefährlichen Chilenen durch einen Kopfball von Jose Fuenzalida kam in einer hochklassigen, unterhaltsamen Partie zu spät.

Die Argentinier konnten es sich leisten, Messi zu schonen; womöglich sitzt er auch beim zweiten Spiel gegen Panama (am Freitag) nur auf der Bank: "Wir werden abwarten, wie es ihm in den kommenden Tagen geht", sagte Trainer Gerardo Martino. Fest steht dennoch: Diese Copa América Centenario braucht Messi - und Messi braucht die Copa. Natürlich hat er mit Barcelona mittlerweile acht Mal die spanische Meisterschaft und vier Mal die Champions League gewonnen, doch ihm fehlt eben ein bedeutsamer Titel mit der Nationalelf - bei einer WM oder der Copa. Der Olympiasieg 2008 ist für die meisten Beobachter nur ein Erfolg bei einem Jugendturnier.

Es geht bei den Argentiniern jedoch nicht nur um Messi, 28, sondern um eine ganze Generation begabter Fußballer, die bei den vergangenen drei Weltmeisterschaften jeweils an Deutschland scheiterten (zuletzt im Finale 2014) und auch die Copa seit 23 Jahren nicht mehr gewonnen haben. Im Kader sind Akteure zu finden wie Torwart Sergio Romero (29 Jahre), Verteidiger Nicolás Otamendi (28), die Mittelfeldspieler Javier Mascherano (31), Augusto Fernández (30), Lucas Biglia (30) und Ever Banega (28), dazu die überragenden Angreifer Di Maria, Gonzalo Higuain und Sergio Agüero (jeweils 28). Sie alle sind im besten Alter - aber die Karriere-Zielgerade ist nicht mehr weit entfernt oder bereits erreicht. Diese Copa América Centenario, die WM 2018 in Russland und die Copa 2019 sind wohl die letzten Gelegenheiten für diese Generation, doch noch ein bedeutendes Turnier zu gewinnen.

Als Messi 2015 nach der Finalniederlage gegen Chile als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet werden sollte, lehnte er die Trophäe ab. Er wollte nicht schon wieder geehrt werden als herausragender Einzelfußballer, dem noch immer der Makel anhaftet, mit dieser formidablen Nationalelf keinen großen Titel nach Hause gebracht zu haben - wie etwa Diego Maradona oder Mario Kempes. Messi weiß, dass alles andere als ein Turniersieg in seiner Heimat als gewaltige Enttäuschung gewertet werden dürfte. Deshalb wird er noch ein paar Kilometer laufen müssen bei dieser Copa.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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