Copa América:Buenos Díaz

CHILE VS. BOLIVIA

Vor kurzem noch im Bundesliga-Abstiegskampf mit dem Hamburger SV - jetzt Führungsspieler von Chile bei der Copa América: Marcelo Díaz.

(Foto: Carlos Succo/dpa)

Der Hamburger Mittelfeldspieler Marcelo Diaz wird für Gastgeber Chile immer wichtiger. Jetzt hat er sein monatelanges Schweigen gebrochen.

Von JAVIER CÁCERES, Santiago de Chile

An die Szenen aus dem Bauch des Nationalstadions von Santiago de Chile hatte man sich allmählich gewöhnt. Nach jeder Partie der Gastgeber bei der Copa América, der Südamerikameisterschaft, kam Marcelo Díaz, Mittelfeldspieler des Hamburger SV, freundlich grüßend des Wegs - und zog, wortlos Verständnis erheischend, wieder von dannen: Ihr wisst doch, ich spreche zurzeit nicht mit den Medien, bedeuteten seine Gesten.

Vor dem Viertelfinalspiel gegen Uruguay (Donnerstag, 1.30 Uhr MESZ) brach Díaz nun sein nahezu seit Jahresbeginn anhaltendes Schweigen. Um den Uruguayern öffentlich eine Botschaft voller patriotischem Pathos zu hinterbringen: "Uruguay trifft nicht auf eine Mannschaft, sondern auf ein ganzes Land, das diese Copa gewinnen will." Und auch, um seiner Rolle als Führungsspieler einer Mannschaft gerecht zu werden, deren größter Star, Arturo Vidal, sich mit seiner Ferrari-Suff-Fahrt einen bösen Fehltritt leistete.

In Hamburg begann das große Schweigen, jetzt bricht er es

Wohl noch nie in der Geschichte war eine chilenische Elf so sehr zum Siegen verdammt wie diese. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über einen Fernseh- oder Radiosender der gegenwärtige Kader als die "beste Generation" bezeichnet wird, die Chile je hervorgebracht habe. Claudio Bravo, Alexis Sánchez, Gary Medel und eben Vidal haben es durch ihre Klubs (FC Barcelona, FC Arsenal, Inter Mailand, Juventus Turin) zu globalem Ruhm gebracht. Im Vergleich zu ihnen fristet Díaz, 28, ein eher unscheinbares Dasein. Doch für Chiles Nationaltrainer Jorge Sampaoli ist er der vielleicht sogar wichtigste Mann im Kader. "Der profe weiß, was ich zu leisten vermag, und ich weiß, was er von mir verlangt", sagt Díaz selbst.

Díaz und Sampaoli kennen und schätzen sich seit Beginn des Jahrzehnts. Seinerzeit hatte Díaz seinen Durchbruch als Profi bei Universidad de Chile bloß angedeutet, bis Sampaoli 2011 dort das Traineramt übernahm und einen entscheidenden Kniff vornahm. Er beorderte Díaz, zuvor Rechtsverteidiger, ins defensive Mittelfeld. Dort wurde "Carepato" (Entengesicht), wie er in Chile genannt wird, zum unverzichtbaren Interpreten der Ideen des akribischen Matchplaners Sampaoli. Gemeinsam holten sie drei nationale Meisterschaften, den chilenischen Pokal und - als erster chilenischer Verein überhaupt - die Copa Sudamericana, den zweitwichtigsten Vereinswettbewerb des Kontinents. In den Medien wurde Díaz (wegen der Vereinsfarben von Universidad de Chile) auch das "blaue Motörchen" genannt, weil er mit monoton wirkenden, aber präzisen kurzen Pässen Betriebssicherheit schuf. Rasch wurde der FC Basel auf ihn aufmerksam, wo er 2013 und 2014 Schweizer Meister wurde, ehe er in der vergangenen Winterpause zum HSV in die Bundesliga wechselte. Und das große Schweigen begann.

Selbst Interviewanfragen von Journalisten, mit denen er seit Jahren befreundet ist, schlug Marcelo Díaz aus. Und so harrt auch der sensationelle Freistoß, mit dem er den HSV im Rückspiel der Relegationsrunde beim Karlsruher SC in letzter Sekunde vor dem Abstieg rettete, noch immer der Deutung durch den Künstler. "Mir war nicht danach, mit Journalisten zu sprechen. Ich finde, wenn man nichts Positives zu sagen hat, ist es besser zu schweigen", sagt er nun. Was negativ war? Die Anpassung an das neue Umfeld in Hamburg gestaltete sich schwierig, der abstiegsgefährdete Verein brodelte vor innerer Unruhe, und dann riss das Innenband im Knie.

Dass in der fernen Heimat die Medien bezweifelten, er könne bis zur Copa América fit werden, soll ihn in seinem Stolz verletzt haben. Ebenso manche Forderung, stattdessen auf den alternden, aber formstarken Fiorentina-Profi David Pizarro zu setzen - auch wegen Díaz' mangelnder Spielpraxis nach 60-tägiger Verletzungspause. Bei Sampaoli blieb er freilich gesetzt: Der Coach denkt seinen Fußball von Díaz her. "Ich weiß nicht, ob ich seine taktischen Vorgaben am besten löse. Aber ich verstehe sie sehr gut", sagt Díaz. "Mein Spiel basiert auf Dingen, die man nicht sieht." Bei der Copa liegt seine Quote gelungener Pässe bei 92 Prozent.

Auch daraus schöpft Díaz Selbstvertrauen. "Ja, ich bin auch der Meinung, dass Chile im bisherigen Turnierverlauf die beste Mannschaft war", sagte er vor dem Spiel gegen Uruguay. "Aber jetzt beginnt ein neues Turnier." Díaz zeigt sich entschlossen: "Diese Elf darf nicht als Team in die Geschichte eingehen, das an großen Erfolgen bloß gekratzt hat." Soll heißen: Die Copa América bleibt in Chile. Danach wird er sich wieder dem HSV widmen, der vorerst ohne den Helden von Karlsruhe die Saisonvorbereitung aufnehmen wird. Es heißt in Díaz' Umfeld, er schaue sehr genau, wie der Verein den Kader umbaut. Gelitten hat er genug.

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