Confed Cup:Vereint gegen die Rabauken

Germany v Chile: Group B - FIFA Confederations Cup Russia 2017

Joshua Kimmich (l.) nimmt es mit dem immer giftigen Alexis Sanchez auf. Am Ende einigen sich beide auf ein Unentschieden.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Philipp Selldorf, Kasan

Diesmal war es nicht so still wie am Montag in Sotschi, als Leon Goretzka vor dem Anstoß gegen Australien meinte, womöglich versehentlich in eine Beerdigung geraten zu sein; es war sogar ziemlich laut, als sich die beiden Mannschaften zu den Nationalhymnen aufreihten. Doch es waren nicht die Einheimischen, die die Kasan-Arena füllten, und schon gar nicht waren es die Gäste aus Deutschland, die sich in einer winzigen Ecke aneinanderschmiegten. Für Stimmung sorgten vielmehr die Chilenen, die offenbar zu Tausenden ihr Land jenseits der Anden verlassen haben, um den Confed Cup zu beehren. Seit Tagen bereits bestaunen die Bürger von Kasan den Aufmarsch der lustigen Touristen aus Südamerika, die am Ende der Partie aber gar nicht mehr so lustig waren, denn sie mussten sich mit einem 1:1 gegen das Schattenkabinett des Weltmeisters begnügen, obwohl ihr Team vorübergehend einen Kantersieg angedeutet hatte.

Doch am Ende war dieses Unentschieden ein gerechtes Resultat. Und eines, das den Bundestrainer glücklich machte: "Ich bin sehr zufrieden mit meinen Jungs, das war ein Spiel auf höchstem Niveau mit wahnsinnigem Anspruch. Sie haben das alle klasse gemacht - mit so wenig Erfahrung, so wenigen Länderspielen", sagte Löw in der ARD.

"Jogi schmeißt Wagner raus!", hätte der Boulevard titeln dürfen, wenn er von den Aufstellungsplänen des Bundestrainers gewusst hätte. Joachim Löw machte seine Ankündigung wahr und änderte seine Elf gegenüber dem Australien-Spiel auf vier Positionen: Matthias Ginter und Niklas Süle rückten in die Mitte der Deckung, Emre Can ins hintere Mittelfeld, Marc-André ter Stegen übernahm den Posten von Bernd Leno; für Antonio Rüdiger, Sandro Wagner und Julian Brandt war kein Platz mehr. Die Auswahl sah nach verschärfter Defensive aus, bei chilenischem Ballbesitz zeichneten sich die Konturen einer 5-4-1-Ordnung ab. Das Bild einer systematischen Formation löste sich aber schnell auf, denn die Chilenen übten sofort starken Druck aus.

Mit einer B-Elf den amtierenden Südamerikameister herauszufordern, das hat naturgemäß etwas Abenteuerliches, und am Anfang sah es so aus, als ob dieses Abenteuer schlecht ausgehen müsste. Die rote Meute hetzte ihren Gegner, wo sie ihn antraf, vor allem die Spieler in der deutschen Abwehrreihe hatten mit dem aggressiven Stil große Mühe, wenn sie zum Spielaufbau ansetzten. Das sollte schon bald üble Folgen haben, und sah obendrein ziemlich kläglich aus: Shkodran Mustafi, der designierte Vorarbeiter in der Deckung, scheiterte beim Versuch eines Kurzpasses auf Sebastian Rudy am dazwischenfunkenden Arturo Vidal, prompt lief Alexis Sánchez frei und schoss das 0:1 (6. Minute).

Der Druck ließ damit nicht nach, die Unbeholfenheiten von Mustafi und besonders Ginter ebenso wenig. Nicht untypisch waren Szenen wie diese: Mustafi klärt im Bodenkampf, Rudy will im Strafraum Ginter anspielen - und serviert den Ball in Kopfhöhe, woraufhin Ginter panisch zu klären versucht, geradewegs vors Schussbein eines Chilenen. Zu Ginters Entlastung ist zu sagen, dass er es mit dem grandios aufspielenden Alexis Sánchez zu tun bekam. Dass ter Stegen gewagte Bälle verteilte wie in Barcelona, machte die Sache nicht leichter, denn es waren halt nicht die Künstler aus Barcelona, die den Ball empfingen.

Ginter leitet sehenswert ein, Stindl verwandelt am Ende

Immerhin ergaben sich nun auch in der deutschen Offensive ein paar aussichtsreiche Momente, die vorwiegend von Julian Draxler ausgingen. Zuerst bei einem Fernschuss nach Balleroberung an der Mittelllinie, dann bei einem gelungenen Dribbling, dem eine feine, aber folgenlose Flanke auf Kimmich folgte. Oft sah man während der ersten halben Stunde den Bundestrainer am Rand der Coaching-Zone stehen. Er machte den Eindruck eines Vaters, der sich um seine Jungs sorgt. Würden sie sich gegen die starken Rabauken wehren können? Allmählich lernten sie tatsächlich, sich zu behaupten.

Sehenswert war das 1:1: Eingeleitet von Ginter, der zwar zweimal Mühe hatte, den Ball loszuwerden, beim dritten Mal aber unerwartet etwas Brillantes machte: Er fand Can und öffnet damit einen Raum, der mindestens so weit war wie die Prärie von Texas. Can nutzte den Platz für einen langen Lauf, bis er im richtigen Moment mit dem richtigen Tempo den Steilpass auf Hector spielte. Und dann: Gleich hinein in die Mitte mit dem Ball, damit ihn Stindl, schneller als Aránguiz im Fünfmeterraum zur Stelle, über die Linie beförderte, womit der Gladbacher seiner Rückennummer die nötige Ehre erwies. Die 13 war das Erkennungsmerkmal für Gerd Müller.

Die zweite Hälfte versuchten die Chilenen wie die erste zu beginnen, mit den Mitteln der Invasion. Aber nun funktionierte die Organisation der Deutschen, sie brauchten nicht mehr den Notstand auszurufen, wenn die Roten vorwärtsdrängten. Es war nun ein funktionierendes Gemeinschaftswerk, das die chilenischen Attacken allmählich ermüden ließ, auch Ginter und Mustafi waren wieder auf ihrer Höhe. Der Bundestrainer war von der Komposition offenbar so beeindruckt, dass er nicht auswechselte. Beide Parteien schenkten sich nichts, es gab noch einige schmerzhafte Zusammenstöße, aber keine Torchancen mehr. Zum Schluss: Händeschütteln. Auf Wiedersehen - vielleicht ja im Finale.

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