Coming-out von Thomas Hitzlsperger:Leitfigur einer überfälligen Debatte

Thomas Hitzlsperger

Thomas Hitzlsperger - im Jahre 2010 als Nationalspieler

(Foto: dpa)

Als erster prominenter deutscher Fußballer hat Thomas Hitzlsperger seine Homosexualität öffentlich gemacht. In einem "Zeit"-Interview wählt der 31-Jährige deutliche und offene Worte. Der ehemalige Nationalspieler könnte damit den Fußball verändern.

Von Lisa Sonnabend

Was ihn am meisten belastet habe, wurde der Fußballer Thomas Hitzlsperger vor vier Monaten gefragt, als er seine Karriere beendete. Der ehemalige Nationalspieler antwortete: "Dieses Gekämpfe, das es in diesem Beruf immer wieder gibt, auf und neben dem Platz."

In dem SZ-Interview bezog er sich dabei vor allem auf seine vielen Verletzungen und den schwierigen Weg zurück auf den Rasen. Doch nun wird klar, was der frühere Mittelfeldmann noch gemeint haben könnte mit dem "Gekämpfe neben dem Platz". Thomas Hitzlsperger hat in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit als erster prominenter deutscher Fußballer öffentlich gemacht, dass er homosexuell ist - und dies für ihn als Profi alles andere als leicht war.

"Ich äußere mich zu meiner Homosexualität", sagte Hitzlsperger in dem Gespräch, "weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte." Das Thema werde im Fußball "schlicht ignoriert".

Hitzlsperger sagte, er habe sich nie dafür geschämt, schwul zu sein. Die Sprüche der Teamkollegen seien dennoch oft kaum zu ertragen gewesen. "Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird." Hitzlsperger ärgerte sich im Laufe seiner Karriere immer wieder über die Widersprüche, die sich beim Thema Homosexualität und Fußball ergaben. "Kampf, Leidenschaft und Siegeswille sind untrennbar miteinander verknüpft." Das passe nicht zu dem stereotypen Bild, das sich viele von einem Homosexuellen machen würden.

Hitzlsperger lief zwischen 2004 und 2010 52 Mal für die deutsche Nationalmannschaft auf. Seine Karriere begann er in der Jugend des FC Bayern. Bereits als 19-Jähriger wechselte er zu Aston Villa in die Premier League, wo er wegen seines starken Schusses den Spitznamen "The Hammer" bekam. In der Bundesliga spielte er für den VfB Stuttgart und den VfL Wolfsburg. Zudem war der Mittelfeldakteur in der Serie A bei Lazio Rom und dann erneut lange Zeit in England unter Vertrag, zuletzt beim FC Everton.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) versucht mit Initiativen wie der Informationsbroschüre "Fußball und Homosexualität" Spieler dazu zu ermutigen, ein Coming-out zu wagen. Getan hat das bislang jedoch niemand. Zu groß ist die Angst vor Beleidungen im Stadion oder gar Bedrohungen. Nationalspieler Lukas Podolski bezeichnete die Offenheit seines ehemaligen DFB-Mitspielers als "wichtiges Zeichen". "Respekt, Thomas Hitzlsperger", twitterte er.

Bundestrainer Joachim Löw sagte: "Thomas hat für sich persönlich entschieden, diesen Schritt zu gehen, und er sollte in einer toleranten Gesellschaft von allen respektiert werden."

Positiv äußerte sich auch die deutsche Bundesregierung. "Es ist gut, dass er über etwas spricht, das ihm wichtig ist, das ihn womöglich auch befreit", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Er betonte: "Wir leben in einem Land, in dem niemand Angst haben sollte, sich zu seiner Sexualität zu bekennen." In Deutschland lebe man im Großen und Ganzen "in Respekt voreinander", unabhängig davon, "ob der Mitmensch Männer und Frauen liebt". Fußballer beurteile man hierzulande doch weitgehend danach, ob sie sich auf und abseits des Platzes "gut und würdig" verhalten. Und das, so Seibert, treffe beides bei Hitzlsperger zu.

Bemerkenswert an dem Zeit-Interview ist indessen nicht nur, dass Hitzlsperger sich überhaupt zu dem Thema äußert, sondern wie offen er das tut. Er beschreibt, dass er sich seiner Homoxualität in einem "langwierigen und schwierigen Prozess" bewusst wurde. Erst in den vergangenen Jahren habe er gemerkt, dass er lieber eine Beziehung mit einem Mann führen wolle.

"Worst Case möglich: das Karriereende"

Im internationalen Fußball äußerte sich im vergangenen Jahr der ehemalige US-Nationalspieler Robbie Rogers zu seiner Homosexualität. Der Autor Ronny Blaschke schilderte 2008 für das Buch "Versteckspieler" die Geschichte von Marcus Urban. Der ehemalige DDR-Nachwuchsspieler verheimlichte während seiner Karriere seine Homosexualität und litt lange unter seelischer Zerrissenheit.

Frauen im Profifußball haben dagegen mit privater Offenheit weniger Probleme. Torhüterin Nadine Angerer hat sich ebenso geoutet wie die ehemalige Teamkollegin Steffi Jones, jetzt DFB-Direktorin für den Frauenfußball. Hitzlsperger ist der erste prominente Akteur im deutschen Herrenfußall, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität äußert.

Im September 2012 sorgte ein Interview im Magazin fluter für Aufsehen. In dem Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung äußerte sich ein etablierter Bundesligaspieler anonym über seine Homosexualität, die er verheimlicht und wenn nötig sogar verleugnet. Nach Erscheinen traten Zweifel an der Echtheit des Interviews auf, doch sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel ermutigte daraufhin schwule Fußballprofis zum Coming-out.

Hitzlsperger wurde damals auf das fluter-Interview angesprochen. Er sagte damals der Zeit: Sollte in der Öffentlichkeit herauskommen, dass ein Spieler schwul wäre, sei für Profis "der sportliche Worst Case möglich: das Karriereende". Hitzlsperger hat deswegen lieber gewartet und erst nach seiner aktiven Karriere klare Worte gewählt. Seine Vorbildrolle im Fußball ist nun womöglich so groß wie nie zuvor.

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