Comebacks in der Sportgeschichte:Albträume von eiskalten Schweden

Barças Wiederauferstehung gegen Paris ist spektakulär, aber der Sport bietet solche irren Wendungen immer wieder, das weiß auch Joachim Löw. Die größten Aufholjagden im Überblick.

Ob in Barcelona in dieser Nacht überhaupt irgendjemand geschlafen hat? Ob die Fußballgötter heimlich in Barça-Kluft ihre Entscheidungen treffen? Ob das alles überhaupt wahr ist, was sich da beim 6:1 gegen Paris in der Champions League abspielte? Diese Fragen beschäftigen heute jeden, der dieses Spiel verfolgt hat. Nach einem 0:4 im Achtelfinal-Hinspiel drehten die Katalanen in den letzten drei Minuten eine längst abgeschriebene Nummer - Neymar, Messi, Suarez, sie alle kugelten über den Rasen des Nou-Camp-Stadions. Denn: So eine Wiederauferstehung hat es in Europas Fußball noch nie gegeben.

Seit der Barça-Heldentat geht es wieder einmal um die Frage: Was war das erstaunlichste aller Sport-Comebacks? Nicht mehr für möglich gehaltene Siege und Niederlagen ereigneten sich schließlich auch in anderen Wettbewerben.

  • Der Gewinn des 34. America's Cup durch das Segel-Team aus den USA war 2013 eigentlich kaum mehr möglich. Ein 1:8-Rückstand, das ist im Segelsport im Grunde nicht aufzuholen, schließlich gibt es Dinge wie Wind und Wetter, die man einfach nicht in der Hand hat. Trotzdem sicherten sich die Gastgeber in San Francisco durch einen 9:8-Erfolg über Neuseeland noch die älteste und wichtigste Trophäe im Segeln.​
  • Als krasser Außenseiter geht die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1954 in das WM-Finale gegen die scheinbar übermächtigen Ungarn. Nach dem 3:8 des B-Teams in der Vorrunde scheint auch die beste Elf von Bundestrainer Sepp Herberger angesichts des schnellen 0:2-Rückstandes chancenlos zu sein. Doch Max Morlock und zwei Tore von "Boss" Helmut Rahn sorgen für die Wende im Endspiel und das "Wunder von Bern".
  • Deutschlands derzeit bester Golfer Martin Kaymer macht 2012 das Wunder von Medinah für das europäische Ryder-Cup-Team zur Realität. Nach den ersten beiden Tagen liegen die Europäer im Medinah Country Club im US-Bundesstaat Illinois schier aussichtslos mit 4:8 gegen die favorisierten US-Profis um Tiger Woods zurück. In den abschließenden zwölf Einzeln am Sonntag startet das Team Europa ein historisches Comeback. Kaymer locht den entscheidenden Putt für den Titelverteidiger ein und feiert mit seinen Kollegen den 14,5:13,5-Triumph über die US-Stars. In der Geschichte des Ryder Cups ist es das erste Mal, dass ein Team einen Vier-Punkte-Rückstand auswärts noch dreht.
  • Bei der Tour de France 1989 geht der Franzose Laurent Fignon als Führender in das abschließende Einzelzeitfahren von Versailles auf die Pariser Champs Elysées und steht dicht vor seinem dritten Tour-Gesamtsieg. US-Rivale Greg LeMond macht auf der 24,5 Kilometer langen Strecke jedoch noch 58 Sekunden auf Fignon gut und schnappt dem Mann mit der Nickelbrille und dem blonden Pferdeschwanz den Erfolg mit acht Sekunden Vorsprung weg. "Das ist zu viel für einen Menschen", sagt Fignon im Ziel.
  • Im Champions-League-Finale 2005 liegt der FC Liverpool zur Halbzeit in Istanbul 0:3 gegen den AC Mailand hinten, die Partie scheint gelaufen. Doch die "Reds" mit dem jetzigen Leverkusener Trainer Sami Hyypiä gleichen nach der Pause binnen sechs Minuten aus. Im Elfmeterschießen trifft als erster der zur zweiten Halbzeit eingewechselte Dietmar Hamann. Liverpool gewinnt vom Punkt 3:2, Hamann wird von den Fans als Held gefeiert, weil er trotz eines im Spiel erlittenen Ermüdungsbruchs im Fuß bis zum Ende durchhält.
  • Der FC Bayern hat den von Oliver Kahn als "Henkeltopf" titulierten Champions-League-Pokal 1999 eigentlich schon sicher. Im Finale von Barcelona führen die Münchner gegen Manchester United lange 1:0 durch das Freistoßtor von Mario Basler. Doch in den letzten Zügen der Partie passiert das Unfassbare: Erst gleicht Teddy Sheringham aus, dann trifft der Norweger Ole-Gunnar Solskjaer zum Manchester-Sieg - die Bayern können ihre Pleite nicht fassen und knabbern noch Jahre später an diesem Moment.
  • Bei den British Open 1999 sieht der französische Golfprofi Jean Van de Velde mit drei Schlägen Vorsprung vor dem letzten der insgesamt 72 Löcher wie der sichere Sieger aus. Doch auf der 18. Bahn braucht Van de Velde sieben Schläge, weil er den Ball in einen Bach und gegen die Tribüne schlägt. Den silbernen Rotweinkrug gewinnt am Ende im Stechen der Schotte Paul Lawrie, der vor dem letzten Tag noch zehn Schläge Rückstand auf Van de Velde hatte.
  • Das deutsche Davis-Cup-Team mit Boris Becker und Michael Stich braucht im Halbfinale 1995 in Moskau nur noch ein winziges Pünktchen zum Final-Einzug gegen die USA. Neun Matchbälle hat Stich im entscheidenden letzten Einzel gegen Andrej Tschesnokow, trotz eigenen Aufschlags kann er keinen nutzen und verliert den fünften Satz nach einem Doppelfehler 12:14.
  • Für Steffi Graf scheint das Wimbledon-Finale 1993 gegen Jana Novotna verloren. 1:4 liegt die Deutsche im 100. Damen-Endspiel auf dem "heiligen Rasen" im dritten Satz zurück. Als Novotna die Chancen zur 5:1- und 5:2-Führung auslässt, entreißt Graf ihr noch den Triumph. Die Tschechin weint und ist mit den Nerven am Ende, die Herzogin von Kent tröstet sie bei der Siegerehrung.

Bremen, Gladbach, Lautern - alle erlebten Irrsinn

  • Bei den Olympischen Spielen 1972 in München geht der finnische Läufer Lasse Viren als Außenseiter in das Finale über 10.000 Meter. Kurz vor der Hälfte des Rennens stürzt Viren und rappelt sich wieder auf. Mehr noch: Der 23-Jährige sprintet allen Konkurrenten auf der letzten Runde davon und sichert sich in Weltrekordzeit Gold. Später wird Viren Olympiasieger über 5000 Meter und wiederholt diesen Doppel-Triumph vier Jahre später in Montréal.
  • Gar nicht so lange her ist das wohl spektakulärste Länderspiel der jüngeren DFB-Geschichte: In der WM-Qualifikation spielen Joachim Löws Männer in Berlin 60 Minuten lang die Mannschaft aus Schweden in Grund und Boden. Im Oktober 2012 steht es 4:0, als im Olympiastadion keiner mehr an eine Wiederauferstehung der Skandinavier glaubt. Doch dann zerfällt die deutsche Elf auf mysteriöse Weise in ihre Einzelteile. Angeführt von Stürmer Zlatan Ibrahimovic kommen die Gäste Treffer um Treffer heran. Mit dem Schlusspfiff gelingt Rasmus Elm das 4:4 - und in Deutschland beginnt eine Debatte um die Siegermentalität der Nationalelf.
  • Auch im Basketball kann es plötzlich ganz schnell gehen. Im Mai 1995 liefern sich die Indiana Pacers und die New York Knicks in den NBA-Playoffs einen erbitterten Kampf. Im ersten Spiel des Halbfinales in der Eastern Conference führen die Knicks kurz vor Ende mit 105:98, als Indianas Dreierspezialist Reggie Miller sein Wurfhändchen findet. Binnen weniger Sekunden erzielt der Flügelspieler acht Punkte - die Gäste gewinnen die Partie, während "Killer-Miller" zur meistgefürchteten Figur in der Geschichte des New Yorker Madison Square Garden avanciert.
  • Eine schmerzhafte Pleite erlebt in den 80ern auch Borussia Mönchengladbach. 1985 gewinnt der Bundesligist im Hinspiel des Uefa-Cup-Achtelfinals dank einer sagenhaften Leistung mit 5:1. Eigentlich alles klar, denken alle - doch es kommt anders: In Madrid bricht über die "Fohlen" um Uwe Rahn und Ewald Lienen ein Sturm herein und die "Königlichen" gewinnen 4:0. Die Borussia scheidet aus, für möglich hatte das kaum einer gehalten.
  • Ähnlich ergeht es 1991 auch dem 1. FC Kaiserslautern im Pokal der Landesmeister gegen den großen FC Barcelona. Die Pfälzer verlieren das Hinspiel 0:2, was sie aber nicht daran hindert, in der zweiten Partie furios aufzuspielen. Kurz vor Ende steht es 3:0 für den FCK, alles sieht nach einer riesigen Überraschung aus. Doch ein Treffer von Mittelfeldspieler Bakero in der 90. Minute stürzt die Deutschen in tiefe Depression. Während bei Lautern zweimal Hotic und einmal Goldbaek erfolgreich sind, sorgt bei den Katalanen übrigens ein junger Mann namens Guardiola für Ordnung im Mittelfeld.
  • Mit Werder Bremen erlebte ein weiterer deutscher Klub ein erstaunliches Comeback - und zwar mit positivem Ausgang. Im Dezember 1993 ereignete sich in Bremen im Champions-League-Gruppenspiel gegen Anderlecht das sogenannte "Wunder von der Weser". Zur Halbzeit lag der Bundesligist 0:3 zurück. Eine Partie zum Vergessen. Eigentlich. Doch dann fielen Trainer Otto Rehhagel ein paar Kniffe ein: Er veränderte die Formation im Mittelfeld und plötzlich lief es. Die Tore kamen spät. Sehr spät. Wynton Rufer (66.) gelang das 1:3. Danach rasten in Bremen alle aus, weil erneut Rufer trifft, dazu gibt es weitere Treffer von Rune Bratseth, Bernd Hobsch und Marco Bode und dieser irre Abend endet mit einem 5:3.
  • Unvergessen bleibt auch der legendäre Schwergewichts-Fight zwischen Muhammad Ali und George Foreman aus dem Jahr 1974, der als "Rumble in the Jungle" in die Geschichtsbücher einging. In Kinshasa überrascht Ali seinen Kontrahenten mit einer gewieften Taktik: Über sieben Runden lang lässt er sich von Foreman in die Enge treiben. Foreman prügelt drauf los, während Ali wie der sichere Verlierer aussieht. Kurz vor Ende der achten Runde entscheidet "The Greatest" den Fight dann wie aus dem Nichts mit zwei pfeilschnellen Links-Rechts-Kombinationen.
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