Clásico:Heilig! Sofort!

In einem kolossalen Duell gewinnt Barça in Madrid 3:2. Im Zentrum steht Lionel Messi: mit seinem 500. Tor, einer ikonografischen Geste - und weil er bald noch mehr verdienen dürfte als je zuvor.

Von Javier Cáceres, Madrid

Wenn sie denn schon sein müssen: Kann es einen schöneren Feiertag mit nationalen und religiösen Konnotationen geben als einen, der gleichzeitig dem Buch und der Liebe gewidmet ist? Katalonien feiert an jedem 23. April Sant Jordi, den heiligen Georg, Liebende schenken an diesem Tag einander ein Buch und eine rote Rose. Ausgerechnet dem sogenannten "unbewaffneten Heer Kataloniens", dem FC Barcelona, bekommt der Tag nicht so gut. Viermal hat der aktuelle spanische Fußball-Meister am Tag des katalanischen Nationalheiligen schon Fiaskos erlebt, in Europa und in der spanischen Liga.

REAL MADRID VS. BARCELONA, Spain - 23 Apr 2017

Das Zahlenwerk des Zauberfußes: In 699 Spielen seit Oktober 2004 hat Lionel Messi sagenhafte 612 Toren für Barça erzielt.

(Foto: Hidalgo/EPA/REX/Shutterstock)

Am Sonntag aber nun erlebte Barça einen Bruch mit der eigenen Geschichte, und damit einen der süßesten Triumphe seiner fast 120 Jahre dauernden Vereinshistorie: 3:2 siegte die Mannschaft bei Real Madrid, beim Erzrivalen - durch ein Tor in der letzten Minute der Nachspielzeit, das Papst Franziskus in Rom jetzt Arbeit beschert. Denn in Katalonien fordern sie die sofortige Heiligsprechung des Schützen. Sant Jordi? Bah. Lionel Messi, santo subito! "Sant Messi", titelte die Zeitung Sport am Montag, nach einem so gewaltigen wie vielschichtigen Spiel.

Torwart Marc-André ter Stegen verschuldet ein Tor - und pariert dann zwölf Mal großartig

500 Pflichtspiel-Tore hat Messi, 29, nun in 577 Spielen erzielt. Denn nicht nur das 3:2, auch das 1:0 trug seine Unterschrift, was wiederum bedeutet, dass in seinem Lebenslauf 103 Doppelpacks vermerkt sind. Messi hat 16 Tore in Clásicos erzielt, zwei mehr als Reals Klubheiliger Alfredo Di Stéfano. Messi hat zehn Tore im Bernabéu geschossen, mehr als Raúl, ein weiteres Totem Real Madrids. "Das sind Zahlen, die nur in Reichweite der Auserwählten sind", sagte Barcelonas Trainer Luis Enrique: "Er ist der Beste der Geschichte, und ich habe viele Fußball-Videos gesehen." Dass Messi sein 500. Tor im Bernabéu schoss, "wird nicht nur in der Geschichte Messis, sondern auch in der Geschichte des barcelonismo in besonderer Erinnerung bleiben". In Ewigkeit, Amen.

Clásico: Ein bisschen Blut im Gesicht, und schon wird Messi zur Bestie.

Ein bisschen Blut im Gesicht, und schon wird Messi zur Bestie.

(Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Was am Sonntag im Bernabéu geschah, entzog sich jeder Synthese und Logik. Es war ein Spektakel, das in seiner Dichte zu den besten Clásicos mindestens der jüngeren Geschichte reifte. Nicht mal Johann Sebastian Bach hat je ein barockeres Werk zu Papier gebracht als Real Madrid und Barcelona bei diesem visierlosen Kampf, in dem es keine Taktiktafeln und keine Bedenken gab, aber viele kunstvoll verschnörkelte Nebenstränge, die sich zu einem beeindruckenden Gemälde verwoben. Dass sie um die Tabellenführung in der spanischen Liga spielten (die nun Barça vorläufig innehat, weil es im direkten Vergleich vorne ist und Real Madrid ein Spiel weniger aufweist), geriet zur Fußnote. Auf dem Rasen tobten zwei kolossale Mannschaften von erderschütternder Urgewalt.

REAL MADRID VS. BARCELONA, Spain - 23 Apr 2017

Glatt Rot: Reals Sergio Ramos war etwas zu leidenschaftlich.

(Foto: EPA/Shutterstock)

Barcelonas deutscher Torwart Marc- André ter Stegen durfte sich für sein zögerliches Herauslaufen beim 0:1 von Casemiro (28.) durch insgesamt zwölf teilweise brillante Paraden rehabilitieren, in seinem vielleicht besten Spiel im Tor der Katalanen. Und selbst damit lag er bei der Wahl des besten Nebendarstellers knapp hinter Real Madrids Torwart Keylor Navas, obwohl dieser drei Tore kassierte. So viele Chancen bot das Spiel, so viele Tore, dass man schon sehr italienische Fußballgene in sich tragen musste, um die Nase zu rümpfen ob der Defensivleistungen da wie dort. Selbst die Erinnerung daran, dass Real in der zweiten Minute einen Elfmeter hätte bekommen müssen (Foul von Umtiti an Ronaldo), wirkte hernach wie Pedanterie. Es waren übrigens tatsächlich Italiener im Stadion, unter ihnen der frühere Madrid-Trainer Fabio Capello, der nach Beendigung seiner Arbeit als TV-Kommentator die Kopfhörer abnahm und nur noch einen Satz herauspresste, der doch alles zusammenfasste: "Was Messi heute gemacht hat, habe ich noch nie gesehen."

Clásico: Obwohl er nicht alles hielt, machte der Deutsche Marc-Andre Ter Stegen im Tor von Barcelona ein großartiges Spiel.

Obwohl er nicht alles hielt, machte der Deutsche Marc-Andre Ter Stegen im Tor von Barcelona ein großartiges Spiel.

(Foto: Gerard Julien/AFP)

Mit einem blau unterlaufenen Auge war Messi aufs Feld gelaufen, ein Souvenir an den K.o. im Champions-League-Viertelfinale gegen Juventus Turin vom Mittwoch. Am Sonntag trug er im Bernabéu eine weitere Wunde davon, als ihm Reals Marcelo ohne erkennbare Absicht und doch brutal den Ellbogen ins Gesicht rammte und die Lippe blutig schlug. Danach war die Bestie erwacht, die in Messi schlummert.

Dass Messi sich danach die Blutung mit Mull in der Hand zupressen musste, hielt ihn nicht davon ab, den Ball durchs Mittelfeld zu führen. Als er Casemiros Führungstreffer zusah, spuckte er den Mull wieder aus. Dann reihten die Katalanen 18 Pässe aneinander, die wie eine Hommage an das in Vergessenheit geratene Barça wirkten, bis Messi erst Modric und anschließend Carvajal austanzte und dann den Ball ins Tor schoss. Doch das war Messi noch lange nicht genug. Er spielte weiter gegen alle Elemente, ohne größere Hilfe seiner zehn Kameraden, und wenn er wie Sant Jordi einen Drachen hätte töten müssen: Er hätte es wohl getan. Immer wieder suchte er das direkte Duell mit dem rüden Casemiro, (weil) der ihm in der zwölften Minute schon die Knochen gelbwürdig poliert hatte. Spätestens in der 45. Minute hätte Casemiro die rote Karte sehen müssen, wegen eines Fouls an Messi, an wem sonst? Als Casemiro genug mit Rot kokettiert hatte, holte ihn Reals Trainer Zinédine Zidane vom Platz: eine fatale Notwendigkeit (70.).

Denn für Casemiro kam Mateo Kovacic als defensiver Mittelfeldmann. Und der eilte Toni Kroos nicht zu Hilfe, als Ivan Rakitic Reals deutschen Mittelfeldspieler mit einer Körpertäuschung ins Leere springen ließ - und aus 20 Metern zu einem preziösen Linksschuss ansetzte (73.). 2:1 für Barça. Vier Minuten danach flog Sergio Ramos mit beiden Beinen in die Knöchel Messis - und sah zu Recht glatt rot. Doch Real Madrid ist Real Madrid - und kam durch den eingewechselten James zum unwahrscheinlichen Ausgleich (80.). "Wir hätten danach mit mehr Kopf spielen müssen", klagte Zidane. So aber blieb das letzte Wort Messi vorbehalten, als die Zeit verrann.

Nach einem langen Abschlag von Torwart Navas verlor Real den Ball an der Eckfahne, wo sich Kovacic und Marcelo tummelten - und dann hinten fehlten. Barcelonas Rechtsverteidiger Sergi Roberto setzte zu einem Solo über 60 Meter an. "Foul ihn!", schrie der nach seinen fünf Champions-League-Toren gegen den FC Bayern tölpelhaft agierende Ronaldo verzweifelt, doch da war es schon zu spät. Modric rutschte bloß vorbei, Marcelo vermied es, an Sergi Robertos Hemd zu zupfen, wofür er sich später schämte: "Ich nehme die Schuld auf mich." Schlimmer aber wog, dass Kovacic bloß zurück trabte, und als der Ball von André Gomes auf der linken Flanke an Jordi Alba weitgereicht wurde, als dieser den Ball dann an den Strafraumrand zurücklegte, stand die Zeit still: Vier Madrilenen, darunter der von Kovacic verratene Kroos, sahen sich sieben Barça-Profis gegenüber, und der Ball landete: bei Messi. Er deponierte den Ball nicht nur mit unwirklicher Präzision mit links im Tor - sondern sorgte hernach für ein jetzt schon ikonisches Bild. Er rannte in die Nordwest-Kurve eines wütend und entsetzt tobenden Bernabéu-Stadions, zog sein Leibchen aus und hielt es den madridistas entgegen.

Hier, in eurem Tempel, regiere ich, sollte das heißen. Ich, die Nummer 10. Messi. Vom FC Barcelona.

Doch vielleicht ließ sich die Geste der Loyalität zu den eigenen Farben auch so lesen, dass er seinen Vertrag bald verlängern wird, er läuft 2018 aus.

Die Verhandlungen zogen sich zuletzt hin, Vater Jorge Messi weilt seit Ende vergangener Woche in Barcelona - und hat bei den Unterredungen bessere Karten denn je. Mag der brasilianische Stürmer Neymar, der gegen Real gesperrt fehlte, jünger sein: "El enano", "der Zwerg", wie sie Messi in Barcelona liebevoll nennen, ist die zentrale Figur im Klub, auf dem grünen Rasenrechteck sowieso, aber auch darüber hinaus. "Nur Ahnungslose glauben, dass Präsident Bartomeu größere Macht hat als Messi", heißt es in Barcelona. Messis Jahressalär liegt jenseits der 20 Millionen Euro. Netto. Und es besteht kein Zweifel, dass Barça auf die paar Millionen, die man eh drauflegen wollte, noch ein paar weitere Millionen drauflegen muss. Denn "die Grandezza Messis besteht darin, dass er nie aufhört, einen zu überraschen", sagte der Kapitän Andrés Iniesta. Und es sind Überraschungen, die unbezahlbar sind.

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