Christopher Froome bei der Tour:Unbeliebt wie Armstrong

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In der Kritik: Christopher Froome im Gelben Trikot.

(Foto: AFP)
  • Christopher Froome hat gerade wenig Spaß daran, die Tour de France anzuführen.
  • Es geht um Dopingvorwürfe, Urinbecher, Flegeleien am Straßenrand.
  • Die Haltung seines Teams wirft Fragen auf. So transparent, wie sich Sky darstellt, ist es nicht.

Von Johannes Aumüller, Valence/Mende

Jeden Abend sitzt Christopher Froome vor der Presse, er kommt immer direkt von der Siegerehrung, wo er ein frisches Gelbes Trikot erhalten hat. Meist sitzt er dort nicht wie ein abgekämpfter Radsportler, sondern eher wie ein aufmerksamer Regierungssprecher. Manchmal sagt er noch die Sätze, die ein Spitzenreiter der Tour de France halt so sagt: wie sehr er dem Team für die Unterstützung danke, solche Sachen. Aber er weiß selbst, dass er irgendwann auch immer über das andere, das unangenehme Thema sprechen muss. Über das Doping-Thema.

Auch am Samstagabend in Mende sitzt Froome, 30, wieder da, diesmal ist er nicht ganz ruhig, sondern deutlich erregter, und er spricht von sich aus über das D-Thema. Nach 50, 60 Kilometern sei er vom Straßenrand mit einem Becher Urin beworfen worden und als "Doper" beschimpft worden. Er sei "sehr enttäuscht" - und einen Schuldigen für den Vorfall hat er auch ausgemacht: die Medien. "Ich denke, die Berichterstattung über das Rennen ist mitunter unverantwortlich, und ich gebe ihnen die Schuld dafür", sagt er. Nicht von allen, aber von einigen. "Es sind nicht mehr die Sportler, die respektlos gegenüber dem Radsport sind, es sind diese Leute."

Der Radsport erlebt gerade zwei Wettkämpfe. Der erste lautet: Froome gegen (so gut wie) niemanden. Die Kontrahenten im Feld hat er im Griff, einzig Nairo Quintana (Movistar) könnte ihm wohl noch gefährlich werden. Das andere Rennen: Froome gegen alle. Gegen die Journalisten und die Wissenschaftler, gegen den ständigen Zweifel - und nun sogar gegen die Zuschauer am Straßenrand.

Vor knapp einer Woche ist Christopher Froome mit einer beeindruckenden Fahrt ins Gelbe Trikot gefahren. Seitdem bestimmt der Zweifel die Debatte. Lance Armstrong twitterte die provokative Frage: "Zu stark, um sauber zu sein?" Der frühere französische Profi und heutige Co-Kommentator Laurent Jalabert sagte, Froomes Auftritt sei "unangenehm anzusehen". Das Haus-Organ der Tour, L'Équipe, gibt sich auffallend distanziert - und viele Wissenschaftler sind verblüfft. Ganz allgemein sagte der Mainzer Sportwissenschaftler Perikles Simon in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, bei der Tour sei ein Leistungsvermögen zu sehen, "das dem sehr nahe kommt, welches wir gesehen haben, als die Athleten definitiv gedopt waren".

Das ist das Klima, in dem die Tour durch Frankreich rollt. Das Publikum kennt die Vergangenheit, es glaubt nicht mehr so leicht wie früher. Fast täglich berichtet nun jemand aus der Sky-Equipe von einem unangenehmen Vorfall. Froome spricht über den Urinbecherwurf. Geraint Thomas moniert eine "toxische Atmosphäre". Richie Porte berichtet, er sei in die Rippen geschlagen worden. Der Teambus soll mit Dosen beworfen worden sein. Und der Manager Dave Brailsdorf teilt mit, dass er sich täglich "wie in einem Fußball-Mob" fühle, er wolle sich an die Tour-Organisation wenden, um die Sicherheit seiner Fahrer zu erhöhen. Bei der Etappe am Sonntag standen beim morgendlichen Start einige Polizisten in der Nähe des Mannschaftsbusses. Die Botschaft von Sky: Und alles wegen dieser unberechtigten Dopingvorwürfe.

Aber es sind zwei Ebenen, die Sky da vermischt. Das eine sind die inakzeptablen Aktionen einzelner Trolle, die es bei der Tour, wo die Zuschauer den Heroen so nahe kommen wie bei keiner anderen Sportart, zwar nur selten, aber öfter gibt als es die allgemein skizzierte Volksfest- und Familien-Stimmung suggeriert. Wenn das Volk jemanden nicht mag, dann lässt es das denjenigen auch spüren, das hat nicht zuletzt Lance Armstrong einst erfahren müssen. Und natürlich entbehrt es auch nicht einer gewissen Ironie, wenn just die ehemaligen Doper Armstrong und Jalabert das Dopingthema befeuern.

Sky spricht von Transparenz - tatsächlich?

Aber die Konzentration auf die Flegeleien am Straßenrand kann auch ablenken von der anderen Ebene. Und das sind die Fragen, die sich an die Sky-Leute ob ihrer beeindruckenden Fahrweise schon stellen. Das Team spricht immer von Transparenz, aber veröffentlichen will es die Leistungsdaten seiner Fahrer nicht - mit dem kuriosen Argument, diese würden dann nur falsch interpretiert werden. Froome verpasste in den vergangenen Jahren zweimal einen Dopingtest, einmal habe er sich die Uhr falsch gestellt, einmal vergessen, dem Hotelpersonal zu sagen, dass vielleicht ein Kontrolleur vorbeikommt.

Der ganzheitliche Ansatz von Sky und das Betonen trainingswissenschaftlicher Komponenten klingt erst mal gut: Porte nächtigte beim Giro d'Italia im eigenen Wohnwagen, Froome isst keine Nahrungsfasern, und am Abend trinken alle Ingwerwasser, um Entzündungen vorzubeugen. Aber so wichtig Matratzen- und Ernährungsfragen im Einzelnen sein mögen: Bei der Konkurrenz gibt es auch nicht Schweinshaxen mit Knödeln zum Frühstück.

Sky proklamiert für sich auch, strikter als alle andere im Feld eine Null-Toleranz-Haltung gegen Doping zu verfolgen. Aber manche Personalie weckt Zweifel. Lange und noch zu Zeiten des ersten Tour-Sieges (Bradley Wiggins, 2012) stellte sich Sky hinter den umstrittenen Mediziner Geert Leinders - inzwischen ist Leinders gesperrt, für Doping-Aktivitäten vor seinem Sky- Engagement. Bis heute wiederum gehört Servais Knaven zu den Sportlichen Leitern des Teams.

Gemäß von der Daily Mail eingesehener Dokumente stellte ein französisches Gericht 2001 im Zuge der Affäre ums Team TVM fest, dass der Holländer - wie auch andere in der Mannschaft - unter anderem mit Epo gedopt habe. Sky teilte dazu mit, es habe mit Knaven (der Doping bestreitet) gesprochen, und die Unterlagen des Gerichts habe man einer nicht näher benannten Expertengruppe übergeben, die zu dem Schluss gekommen sei, es gebe keinen Beweis für Doping. Fürs Team arbeitet auch Peter Verbeken, früher Pfleger bei Armstrongs US-Postal-Truppe; Manager Brailsford rechtfertigt das mit dem Hinweis, es gebe keinen Verdacht, wonach Verbeken irgendetwas falsch gemacht habe. Das stimmt. Aber alle diese Personalien passen nicht zur "Null-Toleranz-Haltung".

"Ich werde nicht aufgeben, nur weil mich ein paar Leute beleidigen", hat Froome in Mende noch gesagt, und am Sonntagabend nach der Ankunft in Valence tat er kund, dass dieses Mal alles ganz wunderbar und die Unterstützung toll gewesen sei auf der Strecke. Das Dopingthema, sagte Froome, "es ist eben das Vermächtnis unserer Vorgänger" und deren "Wild-West-Zeit vor zehn, 15 Jahren". Es ist eben nicht nur das.

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