Christian Nerlinger im Interview:"Van Gaal ist ein Glücksfall"

Bayerns Sportdirektor Christian Nerlinger über ein Team im Aufbruch, gut abzuwägende Transfers, Ribérys Verbleib und Toni Kroos.

Andreas Burkert und Moritz Kielbassa

SZ: Herr Nerlinger, Andreas Jung wurde soeben zum Marketing-Leiter des FC Bayern befördert. Sie beide sind nun das Duo, das die Manager-Ikone Uli Hoeneß ersetzen soll. Wollen nicht immer noch viele Leute lieber mit Hoeneß sprechen?

Louis van Gaal, Christian Nerlinger; Getty

Bayern-Trainer Louis van Gaal (links) und Sportdirektor Christian Nerlinger.

(Foto: Foto: Getty)

Nerlinger: Es war eine überlegte und strategische Entscheidung von Uli, den Verein für die Zukunft neu aufzustellen. Er wird immer ein starker Präsident und ein wichtiger Teil des FC Bayern sein. Es gibt da gar kein Kompetenzgerangel.

SZ: Wie schwer war es für Sie im ersten Jahr als Sportdirektor, sich im Schatten von Hoeneß zu profilieren?

Nerlinger: Sportlich ist es ja nicht so schlecht gelaufen. Unabhängig vom Ausgang der Endspiele, präsentiert sich die Mannschaft herausragend. Man sieht erfolgreichen, attraktiven Fußball - und das, was wir alle wollten: eine Handschrift. Dafür bin nicht ich verantwortlich, das ist der Verdienst des Trainers und Teams. Mir erleichtert der Erfolg natürlich die Arbeit. Und es war in der Tat ein intensives Jahr, mit immensem Erfolgsdruck. Dieses Verdammt-Sein zum Erfolg ist aber auch der Grund, warum hier seit 30 Jahren kontinuierlich Erfolg da ist - und nie Selbstzufriedenheit.

SZ: Sie mussten als Berufsanfänger den richtigen Ton treffen: Loyal sein und nicht zu vorpreschend - aber trotzdem nicht blass und profillos. Öffentlich hielten Sie sich bisher zumeist zurück.

Nerlinger: Ich habe da kein vorgeschriebenes Programm, ich verlasse mich auf meine Intuition. Für den FC Bayern muss man ein Gespür entwickeln. Ich will und kann im öffentlichen Auftritt nie ein Uli Hoeneß werden.

SZ: Louis van Gaal sagte zuletzt, dieselbe Mannschaft werde es nächste Saison "nicht mehr geben". Klären Sie uns doch mal über die Planungen auf.

Nerlinger: Der Eindruck, dass wir einen großen Umbruch planen, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn du spürst, dass etwas wächst in einer Mannschaft, dann wären viele Transfers ein verkehrtes Signal. Wir haben von der Altersstruktur her jetzt ein charakterstarkes Team, das über vier, fünf Jahre im Kern zusammenbleiben kann und nur punktuell verändert werden muss.

SZ: Wo sind denn Eingriffe geplant?

Nerlinger: Wir stehen vor einem möglichen, historischen Triple-Gewinn. Deswegen will ich im Moment eigentlich gar nicht über einzelne Personalien reden.

SZ: Wir schon. Sucht Bayern einen weiteren Star wie Ribéry oder Robben?

Nerlinger: Unser Motto ist nicht: Wir kaufen jetzt jedes Jahr einen Hochkaräter! Wir haben schon viele im Kader - und einen Trainer, der unser neues Zwei- Säulen-Modell umsetzt, weil er mit Stars und Talenten umgehen kann. Van Gaal hat es geschafft, Individualisten wie Ribéry und Robben in eine kompakte Gruppe einzubinden. Und die Entwicklung von Badstuber, Müller, Contento, die hätte kein Mensch für möglich gehalten.

SZ: Sie auch nicht?

Nerlinger: Nein, in der Form nicht.

SZ: Was sagen Sie zu Louis van Gaal?

Nerlinger: 19-, 20-Jährige so zu formen, dass sie in einem Champions-League-Halbfinale glänzend bestehen, sportlich und psychisch, das zeigt ohne Zweifel die Qualität eines Trainers. Van Gaal sehe ich in einer Liga mit Mourinho, Capello, es gibt nicht viele Trainer auf der Welt mit diesem Niveau. Van Gaal ist ein Glücksfall für den FC Bayern.

SZ: Dürfte van Gaal nächstes Jahr auch mal Zweiter werden, ohne Unruhe?

Nerlinger: Unser Anspruch ist: Meister, außer, es gibt besondere Umstände. Aber wir sind alle überzeugt von Louis.

SZ: Van Gaal kokettiert damit, dass er aufhört, wenn er gleich auf Anhieb das Triple gewinnt. Und dass er noch irgendwo Nationaltrainer werden möchte.

Nerlinger: Wir alle können mit diesen Aussagen umgehen, er lacht ja meistens dabei. Ich bin sicher, dass wir nächstes Jahr zusammenarbeiten - und für alles weitere haben wir null Zeitdruck.

SZ: Erhält der Verein dank seines neuen Fußball-Stils - weg vom ergebnisorientierten 1:0 - gerade auch ein besseres Image? Früher hieß es: Dusel-Bayern! Meister der Herzen waren stets andere.

Nerlinger: Ich habe schon den Eindruck, dass das kippt. Verschiedene unserer Spieler sind deutschlandweit Sympathieträger, und unser Fußball ist so, dass diesmal wirklich jeder sagt: Okay, die sind zurecht Meister! Auch die tolle Stimmung in unserer Arena in den letzten Wochen ist ein klarer Qualitätsbeweis.

"Van Gaal hat sich nicht verändert"

SZ: Dabei sah es im Herbst noch nach einer weiteren Krisen-Saison aus.

Nerlinger: Die Schlagzeilen waren: Keiner hat mehr Respekt vor Bayern! Da schien öffentlich das, was hier über Jahre aufgebaut wurde, in Gefahr zu sein.

SZ: Hatte sich van Gaal in dieser Zeit verändert, es gibt ja viele Legenden?

Nerlinger: Verändert nicht. Man hat sich besser kennengelernt und aneinander gewöhnt. Er ist, wie jeder weiß, ein sehr spezieller Charaktertyp.

SZ: Wie auch einige meinungsstarke Herren in der Führungsetage.

Nerlinger: Genau, das hat sich gut eingependelt. Dabei ist Louis sich und seiner Linie treu geblieben. Aber auch die hohe fußballerische Kompetenz im Vorstand hat Bayern immer ausgezeichnet.

SZ: Sie sagten im Winter: Der Trainer kann von mir nicht erwarten, dass ich all seine Entscheidungen brav abnicke.

Nerlinger: Das stimmt. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass du heute nur noch Erfolg haben kannst mit einem sehr starken Trainer, siehe auch: Mourinho bei Inter oder Guardiola in Barcelona. Die Spieler spüren sofort: Steht da eine Marionette vor ihnen - oder eine Persönlichkeit? Das ist das alles entscheidende und das unterstütze ich - ohne die Schlüssel aus der Hand zu geben. Ein Alleinherrscher-Modell wie in England oder Schalke wird es hier nie geben. Transfers müssen von Trainer und Vorstand besprochen werden, auch mal kontrovers. Trotzdem ermöglichen wir Louis in allen Bereichen, im Kader und im Organisatorischen, dass er perfekt arbeiten kann.

SZ: Was unternimmt der Verein, um das jetzt erreichte Niveau zu halten?

Nerlinger: Erfolg, gerade in der Champions League, kann man nicht planen, schauen sie Real Madrid an. Planen kann man nur die Leistungsfähigkeit. Letztes Jahr gingen wir in Barcelona 0:4 unter, jetzt sind wir auf einem guten Weg.

SZ: Bleibt Franck Ribéry?

Nerlinger: Ich bin optimistisch, dass er seinen Vertrag verlängert. Wir haben jetzt mit ihm gesprochen und man spürt, dass er weiß, was er an Bayern München hat. Wie er in der Arena am letzten Samstag von den Fans gefeiert wurde, auch das war ein deutliches Zeichen.

SZ: Wie weh tut seine Sperre fürs Champions League-Finale?

Nerlinger: Sehr, weil die ganze Saison schwierig war für ihn wegen seiner vielen Verletzungen, und weil wir die Auslegung der Szene als Tätlichkeit nicht akzeptieren. Dass Karl-Heinz Rummenigge zur Verhandlung mit ihm nach Nyon flog, zeigt unsere Wertschätzung, das nimmt auch Franck so wahr.

SZ: Sind Verstärkungen eher für die Defensive als für die Offensive geplant?

Nerlinger: Vergessen Sie nicht: Wir haben die beste Abwehr der Bundesliga...

SZ: ... die beste der Welt, hat Vorstandschef Rummenigge soeben gesagt.

Nerlinger: Der Welt? Okay. Wenn ich sehe, wie Diego Contento gerade Linksverteidiger spielt, das ist in der Tat Topniveau. Da muss man wirklich gut abwägen, ob man jemanden dazuholt. Es wäre sicher mal was Neues bei Bayern, gegen die Tradition, dass man die Mannschaft fast gar nicht verändert. Und ein paar Transfers wird"s schon geben. Aber warten wir die nächsten Spiele ab.

SZ: Aus Leverkusen kommt sicher Toni Kroos zurück. Ist eine Offensivreihe mit Ribéry/Kroos/Robben geplant - mit nur noch einem Mittelstürmer davor?

Nerlinger: So spielen wir ja im Grunde schon jetzt, mit Müller als hängende Spitze, das bleibt unser System. Eine Stammplatzgarantie gibt es bei Bayern und bei van Gaal für keinen. Aber Kroos hat eine phantastische Saison gespielt, er ist auch als Mensch gereift, daher ist er für mich ein Toptransfer. Dieses Ausleihgeschäft war ein Volltreffer - ich glaube, so wie damals mit Philipp Lahm in Stuttgart.

SZ: Der Konkurrenzkampf im Sturm ist groß. Wie sehr schmerzt die Reservistenrolle eines teuren Manns wie Gomez?

Nerlinger: Mario hatte in Stuttgart knapp 100 Tore erzielt, da dürfen wir nicht nach einem Jahr den Stab über ihn brechen. Wir sind nach wie vor überzeugt davon, dass er für den FC Bayern sehr erfolgreich spielen wird.

SZ: Dürfte Miroslav Klose gehen?

Nerlinger: Man muss immer gut abwägen. Wir haben den Kader bereits im Winter abgespeckt, das barg gewisse Risiken, ging aber gut. Trotzdem braucht gerade ein dünner Kader Qualität. Und Miro, der natürlich unzufrieden ist mit seiner momentanen Situation, hat viel Qualität - wie man zuletzt in Gladbach gesehen hat. Da hat er mit dem 1:1 ja vielleicht unser Tor zur Meisterschaft erzielt.

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