Chinas U20-Nationalmannschaft:Fahnen-Flucht auf Kunstrasen

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Das Juniorenteam tritt zum Lernen, außer Konkurrenz, in der deutschen Regionalliga Südwest an. Doch gleich im ersten Spiel kommt es zum Eklat.

Von Sebastian Fischer, Mainz

Das Spiel hatte nur 25 Minuten gedauert, da war es erst mal wieder vorbei. Die chinesischen Fußballer verließen den Kunstrasen und liefen in die Kabine. Kamerateams eilten zur Tribüne, um in tibetische Fahnen gehüllte Aktivisten zu filmen. Die Aktivisten gaben wütende Interviews. Chinesische Zuschauer, ebenfalls wütend, versuchten, ihnen die Fahne zu entreißen. Mitarbeiter des Deutschen Fußball-Bundes schauten eher ratlos. Ein Zuschauer sagte, eher grundsätzlich: "So was kommt dabei rum, wenn man so'n Mist macht."

Die Chinesen spielen technisch durchaus gefällig - chancenlos sind sie jedoch trotzdem

Am Samstag hat auf der Bezirkssportanlage Mombach im Norden von Mainz unter Beobachtung von 400 Besuchern, mindestens fünf Kamerateams und einer unbekannten Anzahl an Streaming-Nutzern des chinesischen Staatsfernsehens die Testspielserie der chinesischen U20-Nationalmannschaft gegen Regionalligisten begonnen, eine der umstrittensten Ideen in der jüngeren Vergangenheit des DFB. Am Abend, als das Spiel nach der Unterbrechung dann doch noch 90 Minuten gedauert und mit 3:0 für den Regionalligisten TSV Schott Mainz geendet hatte, sagte DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann: "Wir wollen natürlich gute Gastgeber sein, insofern sind wir nicht glücklich über diese Vorkommnisse."

Dabei hatte Zimmermann noch am Vortag einen sehr glücklichen Eindruck gemacht, als er sich in einer Pressekonferenz gegen Kritik verteidigte. Die Pläne des DFB und der Regionalliga Südwest hatten ja bereits im Sommer für Aufregung gesorgt. Drei Regionalligisten hatten ihre Teilnahme abgesagt, auf die Prämie von 15 000 Euro verzichtet. Und ein Fan-Bündnis hatte Zimmermann in einem offenen Brief kritisiert. Die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Verband sei intransparent, ein neuer Auswuchs der Kommerzialisierung des Fußballs und überhaupt fragwürdig, China sei nun mal ein autoritärer Staat. Ein Treffen zwischen Fans und Zimmermann in der vergangenen Woche war an dem Wunsch der Fans gescheitert, Journalisten zum Gespräch einzuladen.

Ende der Testspielserie: Die Gastauftritte von Chinas U20 sind nach Protesten wie jenem in Mainz nun Geschichte. (Foto: Hasan Bratic/dpa)

Zimmermann also sagte am Freitag, der DFB habe "definitiv keine Geheimnisse". Und dann sprach er über China, eines seiner Lieblingsreiseländer. "Ich bin überzeugt", sagte er, "dass man ins Gespräch kommt", ja: Die Spiele könnten völkerverbindend wirken. Neben ihm saß Shao Jiayi, der frühere Bundesligaspieler und Manager der chinesischen Mannschaft, die sich in Deutschland auf die Olympischen Spiele 2020 vorbereiten soll. Schließlich ist Erfolg im Fußball in China seit ein paar Jahren das Staatsziel. "Alles positiv", sagte Shao, lächelte, sprach von einer großen Ehre, bedankte sich und erklärte, die Mannschaft freue sich. Die Spieler sollten die deutsche Fußball-Kultur kennenlernen.

Das Spiel begann in durchaus angemessen skurrilem Rahmen, als die Mainzer Amateurfußballer, aktuell Tabellenvorletzter, gemeinsam mit den Chinesen zu krachender Musik von AC/DC einliefen - und zwar pünktlich um kurz vor 14 Uhr gemäß des offiziellen Ablaufprotokolls, in dem unter anderem auch vermerkt war, der chinesischen Mannschaft und ihren Betreuern zwei verschiedene Sorten Ingwertee bereitzustellen. Klaus "Schlappi" Schlappner und Eckhard Krautzun waren auch da, zwei Trainer, an die sich in Deutschland nur noch Eingeweihte erinnern, die in China allerdings großen Ruhm erlangten. Sie schüttelten rund 400 Hände. Chinesische Studenten und Freizeitfußballer sangen Sprechchöre, an den Zaun hatten sie eine chinesische Fahne gehangen. Alles positiv. Doch dann, nach 25 Minuten, lächelte Shao Jiayi erst mal nicht mehr.

Nach einer 25-minütigen Unterbrechung kann die Partie dann weitergehen. (Foto: imago/Jan Huebner)

Er gestikulierte hektisch an der Seitenlinie. Tibet ist ein von China annektiertes Gebiet, dessen völkerrechtlicher Status umstritten ist; Menschenrechtler berichten von Unterdrückung. Tibets Flagge ist in China ein verbotenes Symbol, in Deutschland freilich erlaubt. Als die Chinesen vier Flaggen sahen, die sechs Aktivisten der "Tibet Initiative Deutschland" zeigten, liefen sie vom Feld. Sie kamen erst wieder aus der Kabine, als die Aktivisten die Flaggen wieder eingerollt hatten. Nach 25 Minuten Unterbrechung ging das Spiel weiter. Die Chinesen spielten technisch durchaus gefällig, chancenlos waren sie trotzdem. Als sie zwei Tore kurz vor der Pause kassierten, war die Partie entschieden.

Zimmermann sagte hinterher, in Gesprächen mit den Chinesen sei "immer wieder" auf die freie Meinungsäußerung in Deutschland hingewiesen worden: "Wir sind der Meinung, dass dazu auch das Aufhängen einer solchen Flagge im Stadion gehört." Der DFB werde nun, vor dem nächsten Spiel am Samstag beim FSV Frankfurt, nochmals das Gespräch mit der chinesischen Delegation suchen. Er verurteile zwar die "bewussten Provokationen", werde aber zu mehr Gelassenheit raten. Chinas Trainer Sun Jihai sagte, auch das gemäß Protokoll, zu sportfernen Themen ungern etwas. "Wir hoffen, dass es ab jetzt nur noch um Fußball geht", übersetzte die Übersetzerin. "Die Spieler haben sehr gut gespielt", die Eingewöhnung würde noch etwas dauern.

Shao Jiayi sagte, es sei demnächst ein Kulturprogramm für die Spieler geplant. Am Sonntag ging die Mannschaft aber erst mal chinesisch essen.

© SZ vom 20.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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