Chinas Siegesserie:Das Erwachen Asiens

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Die Erfolge chinesischer Athleten bei den Olympischen Spielen freuen das Land und vergolden die Propaganda der Regierung.

Von Kai Strittmatter

Ach, die Kunst der chinesischen Diplomatie. Mochte IOC-Präsident Jacques Rogge das "Erwachen Asiens" bestaunen - der Präsident des chinesischen Olympischen Komitees brachte am letzten Tag der Spiele in Athen seine Sicht der Dinge unter die Leute: Nein, er sehe China nicht als Sportmacht, gab Yuan Weimin zu Protokoll, "und so sehr ich mir auch wünschte, wir wären eine, so liegen wir doch noch weit zurück."

"Liu Xiang - lehre uns 2008 fliegen", appelliert eine Pekinger Jugendzeitung an den Olympiasieger über 110 Meter Hürden. (Foto: Foto: reuters)

Hinter wem denn, bitteschön? Im Medaillenspiegel schafften es einzig die Amerikaner auf einen Platz vor China, der Überraschung dieser Spiele, aber auch für den Champion USA hatte Herr Yuan ein paar vorsichtige Worte: "Keine Angst, wir werden Euch nicht stürzen" - eine gerade ihrer demonstrativen Bescheidenheit wegen beunruhigende Botschaft.

In China selbst stellen sie ihr Licht nicht ganz so unter den Scheffel. "Der Drache kann jeden überrunden", jubelten die Peking-Nachrichten nach den sensationellen Goldmedaillen über die 110m Hürden der Männer und die 10000m der Frauen - und das war mehr als nur Bilanz des Erreichten, das war auch neues Selbstbild und Ausblick dazu.

Vor allem der fantastische Schlussspurt der chinesischen Athleten machte für das Publikum zuhause die anfangs eher lauwarm beklatschten Wettkämpfe zu Chinas "Wir-sind-wieder-wer"-Spielen. "Vom kranken Mann Asiens sind wir zu einer großen Wettkampf-Nation geworden", schreibt das populäre Pekinger Nachrichtenmagazin Lifeweek - und macht seine neueste Ausgabe auf mit der Titelzeile "Olympisches China: die Ära einer Großmacht".

Athen war nur der Anfang, nur der "Probelauf" ( Lifeweek) für 2008, wenn die Spiele in der eigenen Hauptstadt stattfinden; wenn die diesmal mit einem Durchschnittsalter von knapp 23 Jahren so jungen und unerfahrenen chinesischen Sportler den Zenit ihres Könnens erreichen.

"Liu Xiang - lehre uns 2008 fliegen", ruft die Pekinger Jugendzeitung dem neuen Helden Chinas zu, dem sympathischen 21-jährigen Hürdenläufer, der aus dem Nichts kam, um über die 110 Meter "ein Wunder" zu vollbringen, wie er es selbst nennt: "Ich habe bewiesen, dass Menschen mit gelber Haut so schnell laufen können wie solche mit schwarzer oder weißer Haut."

Für 2008 prophezeit der Schanghaier Liu Xiang "noch mehr Wunder". Einige der sämtlich von Staat oder Partei kontrollierten Zeitungen prophezeien im Rausch des Erfolges schon jetzt den ersten Platz für China in vier Jahren, die Beijing Times sagt 45 Goldmedaillen vorher.

Endlich könnten die Chinesen stolz sein auf ihr Land, sagt Wang Zichuan, Manager einer Model-Agentur in Qingdao, wo 2008 die Segel-Wettbewerbe ausgetragen, werden. Wang gesteht, ihm seien vor dem Fernseher öfter die Tränen gekommen: "Früher wurde China immer von anderen unterdrückt und war arm. Jetzt sind wir reich und stark und auf Augenhöhe mit anderen Staaten."

Das ist so ziemlich exakt die Botschaft, welche die Regierung dem Volk einhämmert. Sie vergoldet mit jeder Medaille ihre Propaganda: Der Triumph in Athen sei ein Beweis für die "Verjüngung der chinesischen Nation", jubelte der Staatsrat in seiner Glückwunschsbotschaft an die Athleten: "Wenn das Land wohlhabend ist, dann blüht der Sport auf."

Ihre Siege gehörten Volk und Vaterland, sagte Feng Kun, Spielführerin der überraschend siegreichen Volleyballerinnen, und: "Unsere Resultate sind das Resultat der Fürsorge durch die Kommunistische Partei und die Regierung." Da hat sie nicht unrecht.

"Arbeitet hart und schneidet noch besser ab bei den Spielen 2008", gab Staats- und Parteichef Hu Jintao am Donnerstag den Sportlern bei einem Empfang durch das ständige Komitee des Politbüros mit auf den Weg. An weiterer Unterstützung durch die Partei, die Siegesfreude und Patriotismus kräftig schürt zur Legitimierung ihrer Herrschaft, wird es nicht fehlen.

Es ist nämlich nicht so, dass die Chinesen an sich für ihre Fitness berühmt wären: Sportliche Betätigung war lange verpönt und wird von einem großen Teil der Bevölkerung noch heute am liebsten in Zeitlupe (Schattenboxen, Qigong) ausgeübt.

Es ist erst ein Vierteljahrhundert her, dass China nach den Wirren der Kulturrevolution wieder die Sportwelt betrat. Sportvereine wie im Westen gibt es kaum, so holt sich der Staat seine Erfolge auf gut sozialistische Art: Er züchtet sich die erfolgreichen Wettkämpfer gezielt heran, in Zehntausenden von Schulen und Internaten, in die schon die Kleinsten zum jahrelangen militärischen Drill geschickt werden.

Mit welchem Erfolg, das zeigten in Athen zum Beispiel die Tennisspielerinnen, die Gold holten oder aber die Hockeyspielerinnen, die Vierte wurden: Sie kommen aus einem Land, in dem kaum ein einfacher Bürger Tennis spielt und Feldhockey bis vor zwei Wochen dem Volk praktisch unbekannt war.

Lifeweek lobte den 1994 staatlich erstellten "Plan zur Erringung olympischer Ehren", die kräftige Erhöhung der Finanzspritzen von der Regierung sowie die Reform der Sportbürokratie 1997. All dies garantiere "die planmäßige und ordentliche 'Produktion' olympischer Goldmedaillen", schreibt das Magazin.

Es zeichnet sich ab, dass ein paar Schrauben an der Edelmetall-Werkbank neu justiert werden. Bei allem Jubel über die Erfolge werden die Sportfunktionäre nicht müde, auf die Schwächen der chinesischen Sportler hinzuweisen: vor allem in den Lauf-, Schwimm- und Ruderwettbewerben sowie bei den Mannschaftssportarten, also dort, wo viele zusehen und großes Prestige zu erringen ist.

China hat sich in Athen Anerkennung erworben durch seine Siege, auch hat es nach vielen Skandalen in der Vergangenheit diesmal nicht einen Doping-Fall im Team gegeben (vor vier Jahren, kurz vor der Abreise nach Sydney, zog das Land im letzten Moment 27 Athleten zurück).

Sorge um die rechtzeitige Fertigstellung der olympischen Stätten wie in Athen muss sich beim autoritären Regime in Peking auch keiner machen: Gerade hat die Regierung einen Baustopp beschlossen, nun werden die Stadien halt 2007 fertig statt 2006.

Wenn überhaupt, dann geben sie in Peking zu viel Geld aus statt zu wenig, gerade deshalb gibt es den Baustopp: Schon seit Monaten kritisieren - offensichtlich mit Billigung von höchster Stelle - auch Chinas Medien "Fieberwahn" bei der Planung und "Pekinger Protzspiele" (so China Newsweek vor zwei Wochen).

Das wegen seiner Architektur "Vogelnest" getaufte spektakuläre Olympiastadion des Schweizer Büros Herzog/DeMeuron beispielsweise soll nun um ein Drittel billiger werden, Chinas Premier Wen Jiabao spricht oft von der Not von Chinas Bauern und Reformverlierern, zudem beklagt er eine Investitionsblase im Land; nun singt er im Chor mit Pekings KP-Sekretär Liu Qi das Lied von "genügsamen Olympischen Spielen".

Manche Probleme aber werden die Herren in Peking verfolgen bis zur Schlussveranstaltung 2008: Menschenrechtler, Falun-Gong-Anhänger und Tibet-Aktivisten haben während der Tage in Athen gezeigt, dass sie alle Mittel und Wege suchen werden, die Welt daran zu erinnern, dass in China Partei und Regierung die Menschenrechte weiter verletzen und Minderheiten und Andersdenkende zum Teil brutal unterdrücken.

Wie schwer es der Sportsgeist in Peking mitunter noch immer hat, zeigte sich Anfang August bei hässlichen Ausschreitungen anlässlich einer anderen Großveranstaltung: China und Japan bestritten im Pekinger Arbeiterstadion das Endspiel der Fußball-Asienmeisterschaft.

Japan gewann 3:1, im Anschluss kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen chinesischer Fans und Demonstranten, die in nationalistischer Aufwallung und mit wüsten Gesängen ("Killt die japanischen Piraten!") ihrem Zorn auf die ehemalige Besatzungsmacht Luft machten, so dass 1000 japanische Fans stundenlang unter Polizeischutz im Stadion bleiben mussten.

Zwei ausländische Fotografen, die die Proteste fotografierten, wurden mit Schlagstöcken verprügelt, von chinesischen Polizeibeamten in Zivil.

© Süddeutsche Zeitung vom 04.09.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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