China und seine Kritiker (1):Geschult von der Geschichte

Chinesen reagieren oft empfindlich auf Kritik. Das liegt an unterschiedlichen Diskussionskulturen - aber auch an dem Gefühl, permanent ungerecht behandelt zu werden.

Eine Außenansicht von Quiang Fu

Seit China 1978 den Reformprozess einleitete, wird es immer wieder mit Kritik aus dem Westen konfrontiert, die manchmal durchaus heftig und auch ungerecht ausfällt. Für viele, auch für viele Deutsche, ist es jedoch schwer zu begreifen, warum China oft so empfindlich darauf reagiert. Sind Chinesen tatsächlich so kritikunfähig? Oder gibt es hierfür auch Gründe, die unbekannt oder nur noch nicht erkannt sind?

China und seine Kritiker (1): Unantastbare Autoritätsperson: Der Lehrer in China hat nach wie vor die Funktion eines reinen Wissensvermittlers. Hier üben Schüler mit der Lehrerin für den chinesischen Nationalfeiertag.

Unantastbare Autoritätsperson: Der Lehrer in China hat nach wie vor die Funktion eines reinen Wissensvermittlers. Hier üben Schüler mit der Lehrerin für den chinesischen Nationalfeiertag.

(Foto: Foto: Reuters)

Viele China-Kritiker sind noch nie in China gewesen oder haben noch keine persönlichen Erfahrungen mit diesem Land gemacht. Daher leiten sie ihre "China-Kenntnisse" lediglich vom Hörensagen ab.

Zweifellos gibt es in China viele Leute, die mit Kritik nicht umgehen können. Ein Grund dafür mag im chinesischen Schulsystem liegen. Anders als in Deutschland kommt die Diskussionskultur dort bis heute viel zu kurz.

Diese Diskussionskultur scheint eine typisch deutsche Eigenschaft zu sein und ist ein gutes Produkt des heutigen deutschen Bildungssystems. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur freien Meinungsbildung eines jeden Bürgers. Während man in Deutschland die Aufgaben des Lehrers nicht nur in der Wissensvermittlung sieht, sondern auch darin, dass er, zum Beispiel durch Diskussionen, Wissensgewinnung lehrt, hat der Lehrer in China nach wie vor die Funktion eines reinen Wissensvermittlers - und damit die der unantastbaren Autoritätsperson.

Die Unterrichtsform ist schon durch die Sitzordnung im Klassenzimmer erkennbar: Nach wie vor ist Frontalunterricht mit dem Lehrerpult vorne in der Mitte und den hintereinander angeordneten Schülerreihen gang und gäbe, wohingegen in Deutschland Tische und Stühle einer Klasse in U-Form angeordnet sind, so dass die Schülerinnen und Schüler miteinander und mit dem Lehrer diskutieren können.

Kritik als persönlicher Angriff

Zwei unterschiedliche Bildungsmethoden führen auch zu zwei unterschiedlichen Arten, Kritik zu üben und mit Kritik umzugehen. Für Menschen in Deutschland sind Meinungsäußerungen und Behauptungen (die noch nicht gleich Kritik sein müssen) etwas ganz Normales, da sie Bestandteile der westlichen Demokratie sind. Hingegen werden die meisten Behauptungen zu China von vielen Chinesen als Kritik empfunden, mehr noch: als persönlicher Angriff gewertet.

Ein weiterer Grund für die Überempfindlichkeit der Chinesen auf Kritik besonders aus dem Westen hängt sehr stark mit der chinesischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert zusammen: die Schikanen und Demütigungen durch die westlichen Mächte. Der Opiumkrieg, durch den England im Jahr 1840 die Öffnung Chinas erzwang, die Abtretung Hongkongs, die Kolonialisierung von Qingdao (früherer Name: Tsingtau), die achtjährige japanische Besatzung - dies alles hat bei der chinesischen Nation tiefe Spuren hinterlassen.

Ein weiterer Grund für die Überempfindlichkeit der Chinesen auf Kritik besonders aus dem Westen hängt sehr stark mit der chinesischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert zusammen: die Schikanen und Demütigungen durch die westlichen Mächte. Der Opiumkrieg, durch den England im Jahr 1840 die Öffnung Chinas erzwang, die Abtretung Hongkongs, die Kolonialisierung von Qingdao (früherer Name: Tsingtau), die achtjährige japanische Besatzung - dies alles hat bei der chinesischen Nation tiefe Spuren hinterlassen.

Auf Seite 2: warum Chinesen dem Westen gegenüber misstrauisch sind

Geschult von der Geschichte

Erst indem Mao Zedong im Jahr 1949 die Volksrepublik ins Leben rief, konnte China seine Souveränität zurückgewinnen. Das ist auch ein Grund, warum Mao Zedong, trotz des großen Schadens, den er anrichtete, immer noch als Nationalheld verehrt wird. In den Augen vieler Chinesen war er derjenige, der Chinas internationale Beachtung sichergestellt hat. Wenn eine Nation so lange unterdrückt wurde und dann endlich wieder das Gefühl hat: ,,Wir sind wieder wer'', ist es nicht schwer verständlich, dass dieses Gefühl durch enormen Stolz zum Ausdruck gebracht wird.

China und seine Kritiker (1): Im vergangenen Jahr hat VW in China erstmals mehr Autos als in Deutschland abgesetzt.

Im vergangenen Jahr hat VW in China erstmals mehr Autos als in Deutschland abgesetzt.

(Foto: Foto: dpa)

Zweifelsohne soll man China und den Chinesen gönnen, dass sie stolz auf das Ansehen sind, das ihr Land inzwischen erreicht hat. Gleichzeitig kann aber auch nicht übersehen werden, dass sich dieser Stolz nur schwer vom Minderwertigkeitskomplex trennen lässt, welcher eben seine Ursachen in der Historie der beiden zurückliegenden Jahrhunderte hat.

Ein Beispiel für diesen Komplex: In China wird häufig betont, was alles hier seinen Ursprung hat. Wer tatsächlich die Nummer eins ist, hat es nicht nötig, dies immer wieder hervorzuheben.

Der dritte Grund für die heftige Reaktion Chinas auf westliche Kritik kann darin liegen, dass man den Eindruck hat, nicht fair behandelt zu werden. Beispielsweise hatte die deutsche Presse mit positivem Unterton berichtet, als VW im vergangenen Jahr zum ersten Mal mehr Autos in China als in Deutschland abgesetzt hatte.

Der Westen ist schuld

Der Konsum der Chinesen stützte also auch die Konjunktur in Deutschland. Kaum hatte man sich umgedreht, wurde China jedoch plötzlich verantwortlich für die Knappheit von Öl sowie den Klimawandel gemacht. Oh Wunder: Auch Chinesen kaufen Autos, um zu fahren.

Zweites Beispiel: Auch an der Verteuerung von Lebensmitteln soll China schuld sein. Abgesehen davon, dass China in der Lage ist, seine 1,3 Milliarden Menschen selbst zu ernähren, stellt sich die Frage: Was sollte das Land denn tun? Sollten Lebensmittel wieder wie zu Maos Zeiten rationiert werden, damit weltweit die Preise zurückgehen?

Zum Schluss eine Begebenheit, die mir vor wenigen Wochen widerfuhr: Während einer Taxifahrt in Qingdao, wo der olympische Segelwettbewerb stattfinden wird, wurde ich vom Fahrer gefragt, ob hinter dem Algenteppich, der sich rasant auf dem Meer ausbreitete, der Westen stecke.

Im ersten Moment irritierte mich diese Frage total. Ich fragte nach und verstand, dass er als Grund für den Algenteppich eine Manipulation durch moderne Technologie des Westens sah. Wenn ich dies nicht selbst erlebt hätte, hätte ich es nicht glauben können.

Es handelte sich zwar um die ganz komische Vorstellung einer Einzelperson, darin offenbarte sich jedoch ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem Westen. Dieses hängt wiederum sehr eng mit eben dem Eindruck zusammen, permanent ungerecht behandelt zu werden.

Eine Situation, in der es statt Dialog nur Konfrontation gibt, liegt weder im Interesse Deutschlands noch im Interesse Chinas. China sollte beim Umgang mit Kritik oder Behauptungen aus dem Westen offener und souveräner sein.

Der Westen sollte bei jedweder Kritik an China mehr auf den Ton achten, dabei die positiven Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten anerkennen und vor allem das deutsche Sprichwort nicht vergessen: Gut Ding will Weile haben. Oder, wie die Lateiner sagen: Roma non fuit una die condita - auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden.

Qiang Fu, 50, wurde 2004 Germanistik-Professor der TU Qingdao und baut seit 2006 in der Stadt die Niederlassung eines deutschen Maschinenbauers auf. Er lebte 20 Jahre in Deutschland.

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