Chelseas Aus in der Champions League:Nicht für Fußball gemacht

Chelsea Vs Atletico Madrid

José Mourinho (re.) und Diego Simeone: Freud und Leid an der Seitenlinie

(Foto: dpa)

Der FC Chelsea scheitert in der Champions League an seinen spielerischen Grenzen und am phänomenal coolen Gegner Atlético Madrid. Wie Guardiola dürstet auch Chelseas Mourinho nach der totalen Kontrolle - allerdings mit vollkommen anderen Mitteln.

Von Raphael Honigstein, London

Der laue Frühlingsabend hatte Tränen für Chelsea-Kapitän John Terry und die höchste Heimniederlage in der dreieinhalbjährigen Amtszeit von José Mourinhos bei den Blues gebracht. Doch der Portugiese beschrieb nach dem 1:3 (1:1) gegen Atlético Madrid den Unterschied zwischen den Mannschaften als so klein, dass dieser in einer einzigen Zeigerumdrehung zu messen gewesen sei.

"Eine Minute hat das Spiel entschieden", klagte Mourinho nach seinem vierten Halbfinal-Aus in Serie, "auf der einen Seite macht Atlético-Keeper Thibaut Courtois eine unmögliche Parade nach Terrys Kopfball, und ein paar Momente später bekommen die anderen Elfmeter, und Diego Costa schießt das 1:2. Damit war das Spiel vorbei."

Chelseas Coach verdichtete die Schlüsselsekunden dieses Halbfinales leicht dramaturgisch - Courtois, der von den Londonern ausgeliehene Torwart, ordnete seine Tat aus der 59. Minute ungerührt in der Kategorie "nichts Besonderes" ein -, aber was die Wirkung des zweiten Gästetreffers anging, lag Mourinho im Wesentlichen richtig.

Chelsea hatte sich nach dem 0:0 im Hinspiel auf ein enges, umkämpftes Duell eingestellt; die Startelf mit sechs Verteidigern war programmatisch. Als dann plötzlich zwei Tore für den Einzug ins Endspiel fehlten, fielen die Engländer erst vom Glauben ab und dann ziemlich auseinander. Die letzte halbe Stunde lang machte Atlético es sich auf dem Rasen an der Stamford Bridge regelrecht gemütlich. Die Gäste traten ohnehin mit intelligenter Kraft und einer phänomenalen Coolness auf. An der Seitenlinie freute sich Trainer Diego Simeone wie ein kleines Kind, das mit einem großen, ferngesteuerten Militärjeep vor neidischen Spielkameraden den Sandkasten umpflügt.

José Mourinhos 60-Sekunden-Analyse transportierte auch eine tiefere Botschaft: Gegen die Unwägbarkeiten dieses Sports, wollte er sagen, sind nicht einmal erwiesene Meistertrainer vollständig gefeit. Seine Mannschaft hatte ja lange Vieles richtig gemacht und trotz des defensiven Personals sehr couragiert auf das Tor der Spanier gedrängt; Fernando Torres' 1:0 (36.) gegen seinen ehemaligen Klub entsprach den Machtverhältnissen. Ein Fehler von Eden Hazard, der beste der Blauen und zugleich auch ihre größte Schwachstelle, brachte acht Minuten später Adrián López in Position. Mit dem Ausgleich nahmen die Spanier den Vorteil mit in die Kabine.

Simeones clevere Gruppe nützt die Überzahl aus

Mourinho reagierte, er brachte Samuel Eto'o als zweiten Stürmer, um das immer souveräner spielende Atlético zurückzudrängen. Diese nachvollziehbare Entscheidung erwies sich letztlich als fatal. Der Kameruner holte nur fünf Minuten später Diego Costa im Chelsea-Strafraum plump von den Beinen, und nach dessen verwandeltem Strafstoß nützte Simeones clevere Gruppe die Überzahl im Mittelfeld gekonnt aus. Man habe von Chelseas taktischer Umstellung "enorm profitiert", erklärte Simeone erst schmunzelnd, und bedankte sich danach bei den Müttern seiner Kicker: "Sie haben ihnen die Cojones gegeben, um gegen einen Gegner wie Chelsea zu bestehen."

Mut gehört sicherlich dazu, aber Mourinho hat schon während seiner ersten, international erfolglosen Amtszeit an der Fulham Road (2004-2007) gerne betont, dass für den Gewinn der Königsklasse eben auch eine Portion Glück von Nöten sei. Er sagt das aus Überzeugung, nicht als Ausrede: Detailversessene Trainer wie er oder Pep Guardiola sehen es als ihre konkrete Aufgabe an, nicht nur gegen den Gegner, sondern auch gegen die im Fußball unbestritten große Macht des Zufalls anzucoachen.

"Mou", der passionierte Raumzerstörer, und Ballbesitz-Fetischist Pep wollen beide die absolute Kontrolle, nur eben mit vollkommen gegensätzlichen Mitteln. Dribbelfuß Hazard, der beim dritten Tor (Arda Turan, 72.) wieder seinen Gegner ziehen ließ, räumte ein, dass Chelsea "nicht dafür gemacht" sei, "Fußball zu spielen"; ein Konterspiel à la Real Madrid würde dem Team mehr liegen. Der Spielverlauf zwang den Spielern eine andere Rolle auf.

Mourinho wird Hazards Einlassung nicht goutieren, ihm in der Sache aber kaum widersprechen. Als der Coach die "solide, reife" Vorstellung des Gegners lobte - "sie sind ein echtes Team" -, schwang der Wunsch mit, den Kader den eigenen Vorstellungen stärker anzupassen. Nicht mehr, sondern eher weniger Fußball lautet Mourinhos Ziel, und das Aus spielt ihm hierbei paradoxerweise in die Karten. Für den großen Wurf, kann er nun argumentieren, braucht er die sportliche Entscheidungsgewalt im Verein. Anders gesagt: noch mehr Kontrolle.

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