Chelsea-Stürmer Didier Drogba:Desperado und Gentleman

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Wer Chelsea stoppen will, muss Didier Drogba stoppen - das wissen auch die Bayern. Der 34-jährige Stürmer ist bereits jetzt eine historische Figur beim FC Chelsea, das Duell mit dem FC Bayern soll seine Karriere abrunden.

Raphael Honigstein, London

Sir Alex Ferguson, die lebende Trainerlegende von Manchester United, hat das Erfolgsrezept gegen die Blauen aus London schon vor vier Jahren auf eine schlichte Formel gebracht: "Wer den FC Chelsea stoppen will, der muss Didier Drogba stoppen." Den Mann also, der das Herzstück des Münchner Endspiel-Gegners am Samstag bildet, jenen Torjäger, der so unberechenbar ist wie kaum ein zweiter - schon, weil er noch eine andere Rolle beherrscht.

Der Mann, des es zu stoppen gilt: Didier Drogba (Foto: dapd)

Wie im Halbfinalrückspiel des FC Chelsea gegen Barcelona: Da stemmte sich Drogba als grätschender Verteidiger den katalanischen Angriffswellen entgegen. So, wie er es früher tat, als Didier Drogba 16 Jahre alt war und beim Pariser Vorstadtklub SC Levallois im Sportkomplex Louison-Bobet die Ausbildung zum Profi begann.

Der Teenager Drogba, ein langer, eher schmächtiger Typ, war schnell, aber kein großer Techniker; nicht übermäßig kräftig, nicht sehr torgefährlich. Jacques Loncar, sein erster Trainer, wusste nicht, wohin mit ihm - also erst einmal raus auf die Außenposition in der Abwehrkette. Dort stellte man früher Spieler hin, für die sich mangels spezifischer Talente kein geeignetes Betätigungsfeld fand. Heute ist das anders, Außenverteidiger sind meist mit dem Spielaufbau befasst.

Gegen Barcelona aber war Konstruktives nicht gefragt, und so dichtete Drogba, mit 34 Jahren ältester Mann auf dem Platz, unermüdlich die eigene rechte Strafraumkante ab. Chelsea war durch den Platzverweis von Kapitän John Terry in der Unterzahl und verbarrikadierte das Tor, wütend wie eine Herde Nashörner. Drogbas zerstörerische Kraft war dabei so enorm, dass Barcelona, um ihm aus dem Weg zu gehen, das Spiel auf die andere Seite verlagerte.

Chelseas Trainer Roberto Di Matteo reagierte: Drogba half fortan als linker Verteidiger aus. Doch kurz bevor er die Position wechselte, hämmerte er noch einen selbst eroberten Ball von Höhe der Mittellinie auf das gegnerische Tor - Barcelonas überraschter Keeper Victor Valdés hatte Mühe, den Schuss zu fangen. Es war der einzig nennenswerte Torversuch der Blauen nach der Pause. Doch es reichte: die Londoner "Mauer des Starrsinns" ( Daily Telegraph) hielt, Chelsea zog ins Finale ein.

Beim internationalen Pressetag des FC Bayern an der Säbener Straße wurde viel über die Gegner, am meisten aber über Drogba geredet. "Er ist äußerst gefährlich", sagte Bastian Schweinsteiger, "ein großartiger Stürmer", sagte Philipp Lahm. Sie haben Respekt vor dem Mann, der am Samstag seine wohl letzte Chance nutzen will, die Champions League zu gewinnen.

Den Ivorer zieht es nach Shanghai, wo ein lukrativer Zweijahresvertrag lockt, Chelsea hat die Verlängerung des Arbeitspapiers um nur ein Jahr angeboten. Und so zeigte Drogba jüngst, dass es im Fußball mitunter zugeht wie im Western: Männern ohne Zukunft ist alles zuzutrauen. "Bei Chelsea sind viele um die 30, und manche schon darüber, diese Situation ist gefährlich", sagt Lahm, 28.

Der Stürmer-Desperado Drogba prägt mit seinem wuchtigen, sperrigen Spiel noch immer sein Team - im nun achten Jahr an der Themse. Das mag auf Anhieb kein Kompliment sein für die Milliardärstruppe, ist aber Tatsache, besonders für gegnerische Verteidiger.

Drogba ist Chelsea, mehr als je zuvor. Man hatte ihn schon vor seiner Elf abgeschrieben, mit ihr kam er zurück. "Er ist eine Maschine", sagt Kollege Frank Lampard. "Er ist ein Held und wird seine Karriere als Chelsea-Legende beenden. Seine vielen wichtigen Tore machen ihn zur Ikone. Er ist eine historische Figur, ohne Zweifel."

Oft hat sich Klub-Eigentümer Roman Abramowitsch nach mehr Kunst und Finesse gesehnt. Deshalb setzte der Russe dem Ivorer 2006 seinen persönlichen Lieblingsstürmer Andreij Schewtschenko für 44 Millionen Euro vor die Nase. Im Januar 2011 kam der nächste Lieblingsstürmer, der Spanier Fernando Torres, für 60 Millionen Euro. Trainer kamen und gingen, weil sie die teuren Granden nicht erfolgreich ins blaue System einbinden konnten; Drogba überdauerte sie alle, unverrückbar wie ein Monolith. In 337 Spielen erzielte er 156 Tore.

Er ist einzigartig", sagte Lampard, nachdem Drogba im FA-Pokalfinale gegen den FC Liverpool (2:1) vor zwei Wochen wieder das entscheidende Tor markiert hatte. In acht Auftritten im Wembley-Stadion traf Drogba acht Mal. In der Liga ließ er in den letzten Jahren die Konstanz etwas vermissen, doch wenn es darauf ankommt, ist er da.

"Wie Spatzen im Luftkampf mit einer Boeing"

Seine Präsenz genügt, um Chelsea im Spiel zu halten, auch gegen überlegene Teams. "Mit ihm kann man in jeden Krieg ziehen", sagte José Mourinho, der den Spätstarter 2004 für 37 Millionen Euro von Olympique Marseille in die Premier League holte und zum Weltstar formte.

Auch der FC Bayern sammelte schon leidvolle Erfahrungen, 2005 im Champions-League-Viertelfinale. Drogba erzielte beim 4:2-Sieg der Briten an der Stamford Bridge und beim 2:3 in München insgesamt zwei Treffer - und gewann jedes Kopfballduell. "Wie Spatzen im Luftkampf mit einer Boeing" hätten die Münchner Abwehrspieler gegen ihn gewirkt, stand damals in der SZ.

Und Uli Hoeneß, der ein Faible für kantige "Neuner" und Strafraummonster hat, schwärmte, so einen Stürmer hätte er "seit Jahren nicht mehr erlebt". Lampard sagt: "Er ist ein Bulldozer, aber er kann den Ball auch wunderbar annehmen und vor dem Tor verwandeln. Dazu ist er ein echter Gentleman."

Endspiele des FC Bayern in der Königsklasse
:Dusel, Holzpfosten und Nachspielzeit-Albträume

Acht Endspiele in der europäischen Königsklasse bestritt der FC Bayern in seiner Geschichte - vier Mal hoben die Münchner Spieler den Silberpokal in den Himmel. Die Siege waren mitunter glücklich, die Niederlagen dafür teilweise an Bitterkeit nicht zu überbieten. Vor allem gegen Außenseiter taten sich die Bayern schwer.

Die Endspiele im Überblick

Wenn er den Rasen verlassen hat, leitet der Familienvater (zwei Söhne, eine Tochter) selbst nach gewaltigen Schlachten mit leiser Stimme jedes Lob an die Mannschaft weiter. Im September 2010 kämpfte er mit den Tränen, als der Viertligist Levallois seinen neuen Platz in Stade Didier Drogba umbenannte: die moderne Anlage wurde mit den 700 000 Euro errichtet, die der Pariser Verein nach Drogbas Transfer zu Chelsea als Ausbildungsentschädigung erhielt.

"Meine vier Jahre hier waren die wichtigste Zeit für mich", sagte er, umringt von begeisterten Fans. "In einem Amateurverein lernt man die richtigen Werte im Fußball kennen. Man teilt Dinge, man reist zusammen, weil kein Geld da ist. Man spielt um des Spieles willen, nicht für Geld."

Das stimmt nicht ganz. Drogba sammelt seit Jahren für ein Krankenhaus, das er in Abidjan bauen will, viele Sponsoren- und Werbegelder verwendet er für das Projekt. Drei Millionen Euro hat er schon zusammen. Zuvor hatte er vergeblich versucht, seinen an Leukämie erkrankten Cousin Stéphane und ein anderes Kind auf eigene Kosten zu retten. "Wir brauchen bessere Einrichtungen hier", sagte er.

Seine Popularität an der Elfenbeinküste ist kaum zu beschreiben, er bewegt das ganze Land. Nach der erfolgreichen Qualifikation für die WM 2006 in Deutschland, die erste Teilnahme seines Landes an einer Endrunde, sank Drogba vor laufender Kamera auf die Knie und bat die verfeindeten Parteien, den Bürgerkrieg zu beenden. Die Waffen ruhten. Ein ganzes Dorf, Drogbakro, hat sich nach ihm benannt; wenn er wollte, könnte er auch Präsident werden. Aber der Fußballer Drogba hat mehr Macht: "Wäre ich Politiker, würde mir ja nur die Hälfte des Landes zuhören", sagt er.

Seine Eltern, Bankangestellte aus der Hauptstadt, hatten ihn als fünfjähriges Kind zu Onkel Michel Goba geschickt, der den Lebensunterhalt als Zweitligaprofi in Nordfrankreich verdiente. Eine Fußballkarriere war für "Tito", wie ihn Freunde riefen, aber nicht vorgesehen. Als er mit 15 eine Klasse wiederholen musste, zwangen ihn die Eltern gar, dem Sport ein Jahr abzuschwören.

Sein erster Trainer Loncar und Onkel Michel ("Du musst vorne spielen, wer schaut auf rechte Verteidiger?") behaupten heute beide, Drogba zum Stürmer umfunktioniert zu haben; aufklären lässt sich das nicht mehr. Fest steht, dass er über Le Mans und Guingamp zu Marseille kam und dort rasch Volkshelden-Status erlangte. Gegen seinen Willen wurde er nach London verkauft, "mir wurde schlecht, als ich es erfuhr", gab er einst zu.

Der Mann, der von der Liebe seiner Fans lebt, zeigt auf dem Platz oft ein anderes Gesicht. Im verlorenen Champions-League-Finale gegen Manchester United in Moskau 2008 flog er nach einer Ohrfeige gegen Nemanja Vidic vom Platz. John Terry setzte im Elfmeterschießen den Ball, den eigentlich Drogba treten sollte, an den Pfosten. 2009, als Chelsea nach unglücklichen Schiedsrichterentscheidungen im Halbfinale an Barcelona scheiterte, stürmte er nach dem Schlusspfiff auf dem Rasen und beschimpfte den norwegischen Referee Tom Henning Övrebo. Die Uefa sperrte ihn für drei Partien.

Drogba bestreitet am Samstag sein persönliches Endspiel. Nach drei englischen Meisterschaften und vier Pokalsiegen soll der Champions-Titel seine Karriere abrunden. Auch deshalb dürfte der Weg zum Silberpokal nur über ihn führen. Oder, falls er als Verteidiger aushilft: nur an ihm vorbei.

© SZ vom 16.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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