Champions League:Vorsicht vor diesem BVB

Von Felix Meininghaus, Dortmund

Kurz vor dem Abpfiff wurde es im Strafraum von Real Madrid noch mal richtig hektisch: Die unübersichtliche, aber eigentlich harmlose Szene gipfelte in einer Rudelbildung mit der dazugehörigen Schubserei, mittendrin Reals Kapitän Sergio Ramos. Der hat schon Hunderte von Fußballschlachten für seinen Verein geschlagen, nun hielt er es für angebracht, sich vehement Respekt zu verschaffen.

Für Borussia Dortmund war diese Szene so etwas wie ein Ritterschlag: Der Revierklub wird von den Königlichen als ernstzunehmender Konkurrent wahrgenommen.

Real Madrid, Titelverteidiger, Champions-League-Rekordsieger oder - um es mit den Worten von BVB-Trainer Thomas Tuchel zu formulieren: "Der größte Name im Weltfußball." So weit ist der Herausforderer aus dem Ruhrgebiet also schon mit seiner neuen Mannschaft.

Der europäische Geldadel weiß spätestens seit diesem lauen Spätsommerabend in Dortmund: Da wächst etwas heran. Tatsächlich war dieses äußerst unterhaltsame 2:2 (1:1) eine wunderbare Bestandsaufnahme für das, was das Team von Trainer Thomas Tuchel schon zu leisten imstande ist. Aber auch für das, was ihm noch fehlt. Der BVB hatte seinem königlichen Widersacher nach zweimaligem Rückstand noch ein Remis abgetrotzt.

Es sei "extrem, einem Rückstand gegen diese Qualität und diese Ballsicherheit hinterherzulaufen", weiß Tuchel. Dass dieses Kunststück gleich zwei Mal gelang, bestätigt ihn im Gesamteindruck, den er von seinem Ensemble hat: "Diese Mannschaft strahlt eine sehr positive Energie aus und entwickelt dabei eine große Lust."

Unübersehbar allerdings auch, dass es bei allem Elan noch viele Defizite aufzuarbeiten gibt. Zum Beispiel in der Rückwärtsbewegung, wo die Dortmunder immer wieder taktische Schwachpunkte zeigten, wenn Real Madrid seine Angriffe mit einfachen Mitteln ins Ziel brachte. Der erste Gegentreffer fiel nach einem Einwurf, der zweite nach einem Eckball. Zwei Standardsituationen, bei denen eine Abwehr eigentlich gut sortiert sein sollte.

Verbesserungsbedarf gibt es auch in der Offensive. Der BVB berannte seinen Gegner mit so viel Leidenschaft und ungebremster Spielfreude, dass er darüber bisweilen das originäre Ziel des Fußballspiels vergaß. "Wir haben gesehen, wo unsere Defizite liegen", sagte der enorm starke Mittelfeldspieler Gonzalo Castro: "Zum Beispiel, wenn man seine Angriffe nicht konsequent zu Ende spielt. Das macht Real einfach besser." Vor allem in der dominant geführten ersten Halbzeit gab es gute Ansätze, die durch einen Schlenker zu viel vertändelt wurden.

Schürrles krachender Linksschuss

"Oft haben wir im letzten Drittel die falschen Entscheidungen getroffen, weil wir den richtigen Laufweg nicht gefunden haben", monierte André Schürrle, der aber auch weiß: "Wir haben eine sehr junge Mannschaft, für viele von uns war es das erste Spiel auf einem solchen Niveau gegen einen solchen Gegner. Das wird uns helfen, zusammenzuwachsen."

Immerhin können die Dortmunder für sich verbuchen, ihren edlen Widersacher schon in dieser frühen Phase beeindruckt zu haben. Es wird auf diesem Globus nicht viele Mannschaften geben, die den Mut haben, gegen Real Madrid so dominant aufzutreten. Normalerweise richtet sich der Gegner nach den Galaktischen, doch der BVB fühlte sich stark genug, selbst zu agieren und Ballbesitz-Fußball zu spielen. Tuchel war "weit davon entfernt, das nicht wertschätzen zu können", weiß aber auch, "dass wir vieles hätten besser machen können". So viel Kritik und dennoch Remis, "das hinterlässt bei uns ein gutes Gefühl", weiß Tuchel.

Dass es mit der Punkteteilung noch geklappt hatte, war André Schürrle zu verdanken. Der Nationalspieler war in der letzten halben Stunde für den entkräfteten Mario Götze ins Spiel gekommen und sorgte kurz vor Schluss mit einem krachenden Linksschuss in den Winkel für einen fulminanten Schlussakkord. Für solche Momente haben die Dortmunder mehr als 30 Millionen Euro nach Wolfsburg überwiesen.

Offenbar blüht Schürrle im Ruhrgebiet richtig auf, der 25-Jährige betont stets, wie wohl er sich im neuen Umfeld fühlt: "Ich fahre jeden Tag mit einem Lächeln zum Training, weil ich weiß, was für eine tolle Mannschaft wir haben, und was für ein Geist in dieser Truppe herrscht."

Sein Mentor Tuchel wird ähnlich empfinden, weil er weiß, wie unbegrenzt die Möglichkeiten seines Kaders an Hochbegabten sind. Der 43-Jährige hatte davon gesprochen, er wolle das Erlebnis Champions-League-Heimspiel gegen Real Madrid mit seinem Trainerteam unbedingt genießen. Nach dem Abpfiff gab er Einblicke in sein Seelenleben. "Wenn du als Jugendtrainer deine Passion gefunden hast, träumst du nicht einmal davon, auf dieser Bühne zu landen." Dass es nun so weit sei, empfinde er "als großes Geschenk". Nach Lage der Dinge wird Thomas Tuchel, der europaweit zu den angesagtesten Trainern gehört, noch viele von diesen Abenden erleben.

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