Champions League:Talent für 100 Millionen Euro

  • Borussia Dortmund trifft in der Champions League am Dienstagabend auf AS Monaco.
  • Bei den Franzosen schaut derzeit alles auf Offensivspieler Kylian Mbappé.
  • Der 18-Jährige gilt als großes Talent und könnte auf absehbare Zeit einen hohen Transfererlös einbringen.

Von Oliver Meiler

Seine Mitspieler rufen ihn "Razmoket", Hosenscheißer. Unter diesem Namen lief in den frühen Neunzigern in Frankreich die amerikanische Zeichentrickserie "Rugrats". Da war Kylian Mbappé noch gar nicht geboren. Und ein Hosenscheißer ist der junge Mann eher auch nicht. Seine Kollegen aber finden, dass er ein bisschen so aussieht wie eine Figur aus der Serie, mit diesen großen Augen und den kurz geschnittenen Haaren. "Sogar auf dem Platz rufen sie mich so", erzählte Mbappé unlängst, "man muss nur genau hinhören." Solche Dinge will man von ihm wissen. Eigentlich will man ja jetzt alles wissen von Kylian Mbappé.

Selten hat die Fußballwelt dem Aufstieg eines jungen Spielers mit so viel einhelliger Aufregung und Überzeugung beigewohnt wie bei diesem erst 18 Jahre alten Stürmer der AS Monaco, Gegner Dortmunds im Viertelfinale der Champions League. Kylian Mbappé ist, wie die spanische Sportzeitung Marca titelte, das "Juwel des Transfermarkts". Und, muss man sagen, schon recht fein geschliffen für sein Alter. Unter 100 Millionen Euro wird man in Monaco nicht verhandeln wollen.

In den sozialen Medien werden Mbappés Likes analysiert, um daraus eine Vorliebe für den einen oder anderen spanischen oder englischen Verein zu filtern, was ein Hinweis dafür sein könnte, wo es ihn hinzieht. Vielleicht im Sommer schon. Auf Instagram setzte er jüngst gleich zwei Herzchen auf Posts von Real Madrid. Dort macht man sich nun am meisten Hoffnungen. In England aber will man ein Foto aus zartester Kindheit gefunden haben, auf dem Mbappé ein Shirt vom FC Arsenal trug.

In seiner Heimat wird er mit Thierry Henry verglichen

Um ihn herum ist es gerade etwas hysterisch, und das nach einer Dreiviertelsaison, 35 Spiele total, 19 Tore. Nur Mbappé selber scheint sich nicht verrückt machen zu lassen, er hat ja Zeit. Und dass alle aufgeregt sind wegen seines Talents, seiner frischen Sorglosigkeit beim Dribbling, dieser beachtlichen Leichtigkeit im Umgang mit dem Ball bei hohem Tempo - das kennt er. Mbappé entspringt nämlich nicht dem Nichts, obschon er erst kürzlich die Poster seiner Idole von der Zimmerwand löste, wie er dem Magazin der Équipe sagte. Wenigstens in Frankreich hatte man schon vor seinen Auftritten gegen Manchester City von ihm gehört. Auch akustisch, in Interviews nach den Spielen. Mbappé hat eine markant nasale Stimme, eine wie aus einem Zeichentrickfilm. Das freut die vielen Imitatoren im Land.

Zur Welt kam er 1998 in Bondy, einer Vorstadt im Norden von Paris, jenseits der Ringstraße, Département 93. Oder "Neuf-trois", wie sie dort sagen. 93 ist die Chiffre für vieles, was schief läuft in den französischen Banlieues: für mangelnde Integration der Zuwanderer aus den ehemaligen Kolonien und für eine rasende Ghettoisierung, für staatliche Vernachlässigung, für eine hohe Quote an Schulabbrechern und an Arbeitslosen. Sogar die Fälle seltener Krankheiten sind da draußen, am Rand der Republik, viel zahlreicher als anderswo. Und dennoch ist 93 für viele Bewohner des "Neuf-trois" auch die Chiffre für trotzigen Stolz, für den Willen zum Aufstieg wider alle gesellschaftlichen Konventionen.

Kylian Mbappé ist der Sohn eines Einwanderers aus Kamerun, der als Jugendtrainer bei der AS Bondy arbeitet, und einer Algerierin, die einst Handball spielte. Sport war alles, und vom Kleinen filmte man schon die Anfänge beim Lokalverein, so begabt war er. Die etwas wackligen Bilder seiner vielen Finten und Beinschüsse, als der Ball noch bis zum Knie reichte, auf Sandplätzen oder schlecht gemähten Feldern gibt es jetzt mit Musik unterlegt auf Youtube. Kylian wurde schon früh in die Fußballakademie in Clairefontaine berufen, im etwas vornehmeren Süden von Paris gelegen, wo Frankreichs Verband seiner hoffnungsfrohen Jugend einen schönen Rahmen im Grünen bietet.

Auch Real Madrid schaute schon vorbei

Als er elf war, lud ihn der FC Chelsea für einige Tage zu einem Probetraining nach London ein. Im Jahr darauf rief Zinédine Zidane aus Madrid an, und auch bei Real schaute Mbappé vorbei. Mit vierzehn wechselte er dann aber zu Monaco, weil er dort sein "Bac", sein Abitur, fertig machen konnte, und weil die Monegassen für ihre behutsame Nachwuchsarbeit bekannt sind. Das Klima ist gut, der Ort ist klein und überschaubar, Geld ist genug da. Im Fürstentum wurde auch jener Stürmer groß, mit dem man ihn gern vergleicht: Thierry Henry, ebenfalls ein Kind der Pariser Banlieue. Man nennt Mbappé nun "den neuen Henry", was beide ungefähr gleichermaßen nervt. Doch die stilistische Ähnlichkeit ist nun mal verblüffend, dieser reißende Drang zur Mitte, diese Flüge über die Flügel, dahin, wo es zählt.

Manchmal übertreibt er es mit den Tricks und bleibt hängen. Doch das ist egal, ihm gehört ja die Zukunft. Man habe ihn nie verbiegen wollen, sagt Mbappé, kein missratenes Dribbling werde ihm nachgetragen. Im offensiven Spiel Monacos gibt es ständig Möglichkeiten, Fehler vergessen zu machen. Didier Deschamps, der Trainer von Frankreichs Nationalteam, hat ihn nun schon zwei Mal mitspielen lassen. Gegen Spanien stand Mbappé in der Startelf. Der spanische Verteidiger Gerard Piqué, so erzählt man es sich wenigstens in Frankreich, bat den Jungstar zur Pause um dessen Trikot. Piqué, kein Mann mit großen Selbstzweifeln, dementierte die Geschichte. Es sei vielmehr umgekehrt gewesen, Mbappé habe um sein Shirt gebeten. Worauf Mbappé erzählte, Piqué habe zuerst gefragt, das habe ihn ja auch überrascht, so ein großer Spieler!

Es ist halt gerade viel Hysterie im Leben von "Razmoket". Im Interview mit L' Équipe erzählt Mbappé, seine vielen jungen, kaum älteren Kameraden seien ihm wie Brüder, für die er alles tun würde. Sein größter Trumpf in der Gruppe seien nicht die Dinge, die er im Spiel auf dem Platz aufführe, sondern jene beim virtuellen Fußball an der Konsole: "Auf der Playstation", sagt er, "das wird jeder Redliche bezeugen können, bin ich der Beste, ob ich nun mit Real oder mit Barça spiele." Real oder Barça - was sie wohl in England denken?

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