Champions League:Spektakulärer Schnupperkurs

Mit einem 2:2 bei Real Madrid wird Borussia Dortmund Gruppenerster. Zur Belohnung gibt's einen Rekord.

Von Freddie Röckenhaus, Madrid

Marcel Schmelzer traute sich in Madrids schmuckloser Interview-Zone als Erster aus der Deckung. "Wir würden im Achtelfinale am liebsten Richtung Portugal fahren", gestand Borussia Dortmunds Kapitän schmunzelnd. Manchester City müsse nicht sein, und der FC Sevilla sei in K.o-Duellen bekanntlich auch nicht leicht zu schlagen. Nach dem größtenteils spektakulären 2:2 bei Real Madrid wollte Schmelzer lieber nicht auftrumpfen, sondern sich und seinem BVB für die Auslosung am Montag unter den möglichen nächsten Gegnern die mittelschweren Brocken Benfica Lissabon oder FC Porto wünschen - wenn es schon kein Freilos gibt.

Nach dem Auftritt im Bernabéu-Stadion am Mittwochabend hätte Dortmund auch größere Töne spucken können. Das spanische Sportblatt AS titelte, Borussias jugendliche Spielweise sei "ein Geschenk für die Augen". Vor allem aber rockte der BVB die Real-Stars in der zweiten Halbzeit mit solcher Wucht, dass Reals Supermacht einen sicheren 2:0-Vorsprung im eigenen Stadion hergeben musste und Dortmund durch zwei exzellent herausgespielte Treffer zum 2:2 ausglich und den Spaniern den Gruppensieg entriss. Außerdem gelang dem BVB ein Champions-League-Rekord, denn noch nie hat eine Mannschaft in der Gruppenphase 21 Treffer erzielt. Vor allem aber dürfte der mutige Schlagabtausch mit Real im Team selbst für frisches Selbstbewusstsein gesorgt haben.

"Wir sind überglücklich mit dem Ergebnis", sagte Dortmunds Trainer Thomas Tuchel, "weil es sich verdient anfühlt." Dabei hatte Real durchaus mit allem zum Angriff geblasen, was der amtierende Champions-League-Sieger und souveräne spanische Tabellenführer an eigener Angriffswucht zu bieten hat. Viele sprachen von Reals bester Saisonleistung, zu der die Dortmunder die Madrilenen mit ihrem forschen Stil angestachelt hatten. Vor allem Karim Benzema glänzte mit zwei Treffern zum zwischenzeitlichen 2:0 nach 52 Minuten. Während Real in der ersten Halbzeit die besonders jungen BVB-Spieler wie Ousmane Dembélé, Julian Weigl oder Christian Pulisic noch ein wenig einzuschüchtern schien, drehte sich der Wind nach der Pause.

Real Madrid CF v Borussia Dortmund - UEFA Champions League

So sehen Sieger aus? Irgendwie schon: Dortmunds Profis feiern den Treffer zum 2:2, der ihnen den Gruppensieg einbringt.

(Foto: Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

"Die Spieler haben selbst geschnuppert, was hier heute möglich ist", beschrieb Tuchel später die Wende. Erst recht drehte der BVB nach der Einwechslung von Marco Reus und Emre Mor auf; Reus, ohnehin gerade erst aus langer Verletzungspause zurückgekehrt, sollte wegen einer Erkältung kein 90-Minuten-Spiel zugemutet werden. Als Schmelzer in der 60. Minute den bis dahin abgemeldeten Pierre-Emerick Aubameyang zum Anschlusstreffer bediente, brach in dem schon bis dahin ereignisreichen Spiel ein Kampf auf Biegen und Brechen los. "Roman Weidenfeller hat uns in der Phase im Spiel gehalten", pries nachher Marco Reus seinen Torwart, "in der zweiten Halbzeit hat er einfach Weltklasse gehalten." Weidenfeller, der nur wegen eines Handbruchs des Kollegen Roman Bürki derzeit wieder im BVB-Tor steht, feierte später vor dem schwarz-gelben Fanblock sein kolossales Comeback. "Ich habe immer für solche Spiele trainiert, für diese Atmosphäre, diese besonderen Herausforderungen. Das war heute wie ein Weihnachtsgeschenk für mich", sagte der 36-Jährige.

In den letzten 15 Minuten allerdings kippte das Spiel so sehr zugunsten der Dortmunder, dass auf einmal nicht mehr Weidenfeller im Fokus stand, sondern sein Gegenüber Keylor Navas. Als kurz vor Schluss der BVB-Teenager Mor dem Brasilianer Marcelo den Ball abluchste, dann an der Linie Aubameyang entlang schickte, der einen seiner Schallgeschwindigkeits-Sprints ansetzte und den ebenfalls in Höchsttempo aufs Real-Tor zustürzenden Reus anspielte, war das an Rasanz nicht mehr zu überbieten. Das 2:2 von Reus sicherte somit einen gefühlten Sieg des BVB, der auch schon im Hinspiel in Dortmund ein 2:2 ertrotzt hatte.

Im Fokus der Spanier schienen später aber vor allem Aubameyang und Weigl zu stehen, die viele in Spanien offenbar gerne künftig bei Real sehen würden. Dass beide nicht zum Verkauf stehen, hat der BVB zwar wiederholt betont, aber Spiele wie diese beinhalten für Dortmund traditionell die Gefahr, dass die Begehrlichkeiten anderswo wachsen. Obwohl der BVB inzwischen auch Spitzengehälter zahlen kann.

Der BVB wird nun versuchen, das Tempo des feierlichen Abends ins Wochenende zu retten

Auslosung Achtelfinale

Topf 1

Borussia Dortmund, FC Barcelona, Atlético Madrid, AS Monaco, Leicester City, FC Arsenal, SSC Neapel, Juventus Turin.

Topf 2

FC Bayern München, Bayer Leverkusen, Paris St. Germain, Manchester City, Benfica Lissabon, Real Madrid, FC Sevilla, FC Porto.

Auslosungsmodus

Teams aus Topf 1 spielen gegen Teams aus Topf 2. Ausgeschlossen sind dabei allerdings im Achtelfinale Duelle von Mannschaften aus demselben Land. Ebenfalls ausgeschlossen sind Spiele, die es bereits in der Gruppenphase gab.

Termine

Auslosung: Montag, 12. Dezember, 12 Uhr, Nyon. Achtelfinal-Hinspiele: 14./15. und 21./22. Februar 2017 - Rückspiele: 7./8. und 14./15. März.

Bei allem Überschwang über das Offensiv-Spektakel beider Mannschaften offenbarten beide Teams auch ihre bekannten Schwächen. "Wir können stolz darauf sein, dass wir Real in der Gruppe geschlagen haben", sagte Reus, "aber wir müssen auch wieder defensiv kompakter werden und dafür noch mehr arbeiten." Madrids Spielanlage sieht nicht viel anders aus. Trotz der herausragend besetzten Viererkette, unter anderem mit Raphael Varane und Sergio Ramos, erwies sich Real als anfällig gegen den Speed der Dortmunder.

Dem BVB wird es nun gelingen müssen, das Tempo dieses feierlichen Abends ins Wochenende hinüber zu retten. Manager Michael Zorc gab schon bei der Ankunft am Flughafen in Dortmund die Parole aus: "Das war ein schönes Erlebnis, aber in der Bundesliga haben wir noch Nachholbedarf. Da steht jetzt Köln als Gegner an, und da will ich etwas sehen."

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