Champions League:So verblüffte Juve das Bayern-Kollektiv

Champions League: Verdiente Torjubel: Juves Juan Cuadrado.

Verdiente Torjubel: Juves Juan Cuadrado.

(Foto: AP)
  • Juventus Turin presst ungemein früh, die Bayern sind davon überrascht.
  • Dann führt ein Konzept aus der Steinzeit zum Ziel.
  • Die Taktikanalyse zeigt: Guardiola hat sich fast verzockt.

Von Martin Schneider

Pep Guardiola sagte nach dem Spiel, er sei nicht überrascht gewesen von der Juventus-Taktik, und diese Aussage kam dann doch etwas überraschend. "Sie spielen Angriffspressing", befand der Bayern-Coach und natürlich glaubt man ihm, dass er das wusste. Er ließ sich schließlich auch Video-Material vom FC Nöttingen schicken, dem ersten Gegner der Bayern im DFB-Pokal. Guardiola analysierte damals deren Spiel im Badischen Pokal gegen Birkenfeld - kein Witz.

So einem getriebenen Taktiker ist also auch zuzutrauen, jedes Kleinstdetail über Juventus Turin zu kennen. Aber irgendwo in der Kette Trainerwissen/Spielerwissen/Umsetzung klaffte eine Lücke - und das führte beinahe zum Aus der Bayern im Achtelfinale der Champions League. Am Ende rettete Guardiola ausgerechnet ein Konzept aus der Steinzeit des Fußballs.

Was das Hinspiel lehrte

Man kann diese wilde Schlacht in taktischer Hinsicht nicht ohne das 2:2 aus Turin betrachten. Nach dem Hinspiel nämlich sprach Philipp Lahm fast schon manisch von einer "Schablone" des FC Bayern, die gepasst hätte. Die sah so aus: Mit den Innenverteidigern hinter der Mittellinie stehen, den Gegner ins Zentrum zwingen und dann über Außen kommen. Juventus ließ dies damals in der ersten Halbzeit mit sich machen. In der zweiten Hälfte erzielten die Italiener mit einer offensiveren Taktik zwei Tore.

Diesmal dachte sich Juve-Trainer Massimo Allegri wohl: Warum nicht sofort so wie im Hinspiel?

Wie Juve agierte

Der Versuch der alten Dame sah so aus: Aggressiv und sehr mannorientiert draufgehen, teilweise weit in der Bayern-Häfte. Paul Pogba, in Turin noch effektivst von Philipp Lahm beackert, mied diesmal den Bayern-Kapitän und orientierte sich mehr an Joshua Kimmich. Alvaro Morata lief Medhi Benatia an und Sami Khedira spielte viel offensiver als bei seinem wirkungslosen Auftritt im Hinspiel. Der deutsche Weltmeister attackierte häufig Xabi Alonso und besetzte durch seine enorme Präsenz weitere Räume. Juve presste zuweilen unmittelbar vor Manuel Neuer.

Gegen spielerisch starke Mannschaften eine Art Manndeckung über das ganze Feld zu spielen ist übrigens keine neue Strategie. Der Gedanke dahinter: Das Kollektiv des Gegners sprengen. Nicht elf gegen elf spielen, sondern Pogba gegen Kimmich. Dafür muss man die Ballzirkulation am frühest möglichen Zeitpunkt beim gegnerischen Innenverteidiger verhindern. Vor dem 0:1 sieht man, wie Pogba aktiv den Kontakt zu Kimmich sucht. Stephan Lichtsteiner, eigentlich Rechtsverteidiger bei Turin, ist in dieser Situation Außenstürmer und setzt David Alaba und Manuel Neuer so unter Druck, dass der Ball bei Pogba landet und der einschießt. Auch nach diesem Treffer spielten die Gäste so weiter.

Warum die Bayern-DNA ein Problem war

Das fälschlich aberkannte Tor von Morata wenig später war eine direkte Folge der Juve-Biestigkeit und der Unfähigkeit der Münchner, mit diesem hohen Pressing klarzukommen. Bayern schaffte es nicht, sich zu befreien. Benatia agierte im Spielaufbau ungenau, der große David Alaba taumelte umher und die Mannschaft sah sich nicht in der Lage, auch mal unorthodoxe Mittel anzuwenden: Lange Bälle gehören eben nicht zur Bayern-DNA.

Italienische Perfektion vs Bayern-Wucht

Nach dem 0:2 - ein Kontertor mit hinterherpurzelnden Bayern - änderte Juventus die Taktik und zog sich zurück. Allegri ließ seine gefürchtete Mauer errichten. Ein 5-4-1 mit zwei massiven Ketten, die sich mit italienischer Perfektion verschoben und verdichteten. Die Folge: Bayern erstarrte insbesondere mit Vidal und Alonso im Stau des Mittelfeldes - und auch Douglas Costa zog in die Mitte, um mit seinem starken linken Fuß abschließen zu können.

Der letzte verbliebene Außenspieler, Franck Ribéry, zog das Spiel nicht in die Breite, sondern dribbelte ebenfalls ins Zentrum - damit wurde es eng wie samstags in der Fußgängerzone. Juventus erwartete die anrennenden Münchner teilweise mit sieben Mann am eigenen Elfmeterpunkt. Bayern versuchte, mit Anlauf durch eine Stahltür zu brechen.

Was Guardiolas Wechsel brachten

Erst die Wechsel von Guardiola gaben dem Spiel schließlich eine andere Statik. Mit Juan Bernat für Benatia und Kingsley Coman für Xabi Alonso entrümpelte der Bayern-Coach das Zentrum. Vidal beackerte diese Zone nun alleine und vor allem viel intensiver - so krallte sich der Chilene viele Bälle. Der wichtigste Ballgewinn war natürlich jener vor dem 2:2 durch Müller. Durch den Wechsel von Coman auf Rechtsaußen gab es nun im Spiel der Bayern endlich einen Flügelspieler, der mit seinem starken Fuß die nötigen Flanken schlug. Nach langem Rütteln ging es endlich mal um die Stahltür herum.

Fazit: Auf die alte Art

Dass dann zwei Flanken (Einmal von Costa nach Vorlage Coman, einmal von Coman direkt) und zwei Kopfbälle zum Erfolg führten: Einerseits ein Resultat der Taktik, andererseits aber ein Anzeichen für klassischen Brechstangen-Fußball. Unguardiolischer geht es kaum. In der Verlängerung belebte schließlich die Einwechslung Thiagos die Partie und Costa konnte endlich auf seine Lieblingsposition nach links. Erst jetzt waren die Münchner wieder im Guardiola-Mode angekommen: Kreiseln, drücken, explodieren.

Der Bayern-Trainer muss sich vorwerfen lassen, dass er diesmal taktisch überrumpelt wurde. Sowas passiert dem Katalanen sonst kaum. Aber Juventus ist vielleicht auch etwas cleverer als Nöttingen.

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