Champions League:Ronaldo setzt die letzte Pointe

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Ronaldo, natürlich Ronaldo - Reals Muskel-Enthusiast lässt sich feiern.

(Foto: AFP)
  • Drama, Verfehlungen und ein Held, der vorher kaum zu sehen war: Reals elfter Champions-League-Erfolg kommt auf spektakuläre Art zustande.
  • Toni Kroos erlebt einen weiteren Triumph.

Von Javier Cáceres und René Hofmann, Mailand

Zinedine Zidane hat viel erlebt in seiner Karriere im Profi-Fußball. 2002 gewann der Franzose mit Real Madrid die Champions League. 2014 holte er den begehrten Titel als Assistent des damaligen Real-Trainers Carlo Ancelotti. An diesem Samstag nun feierte er seinen bisher größten Erfolg als Trainer: Er führte Real Madrid in Mailand zum Triumph gegen den Stadtrivalen Atlético.

5:3 im Elfmeterschießen, nachdem es zum Ende der Verlängerung wie zum Ende der regulären Spielzeit 1:1 geheißen hatte: Es war kein Triumphzug, den Zidane anführte. Der Erfolg war hart erarbeitet, ausdauernd erkämpft und sogar ein wenig glücklich. Hätte Cristiano Ronaldo den entscheidenden Schuss im Elfmeterschießen nicht verwandelt - Zidane hätte sich in den nächsten Tagen einigen heftigen Debatten über seine Taktik, seine Auswechslungen und die Physis seines Teams stellen müssen. So aber war er die umjubelte Figur, als er die Seinen die Treppe zur Siegerehrung hinauflenkte.

"Flugzeugträger gegen Fischkutter": Auf diesen Vergleich hatte die einstige Trainer-Größe Arrigo Sacchi das Duell gebracht. Das Kriegsschiff in diesem Bild war, natürlich, Real. Und es dauerte auch nicht lange, bis das Dickschiff seine gewaltige Feuerkraft vorführte. Knapp fünf Minuten waren vorüber, als der 100-Millionen-Euro-Mann Gareth Bale auf der rechten Seite elegant an zahlreichen Gegnern vorbei kreuzte, bis zur Strafraumgrenze, wo er von Gabi abrupt gestoppt wurde. Den fälligen Freistoß trat der Gefoulte selbst; der Ball segelte halbhoch vors Tor, wo Karim Benzema lauerte. Atlético-Keeper Oblak verhinderte den frühen Rückstand mit einem tollen Reflex.

Streit um die Bewässerung des Rasens

Vor dem Spiel hatte es Streit darüber gegeben, wie oft das Spielfeld gewässert werden sollte. Real wünschte drei Duschen für das Grün. Atlético wollte es lediglich bei einem künstlichen Schauer belassen. Der stumpfe Ansatz setzte sich durch, aber das half Atlético zunächst auch wenig. Je länger die erste Hälfte lief, desto besser stellte sich Real auf die ungeliebten Umstände ein, desto mehr gestalteten die Weißen die Partie. Und bei der Szene, die sich in der 15. Minute ereignete und nach der es 1:0 stand, spielte die Frage "stumpf oder glitschig?" überhaupt keine Rolle.

Ausgangspunkt war ein Freistoß von Toni Kroos auf der linken Seite. Hoch segelte der Ball in den Strafraum, wo ihn Bale mit dem Kopf verlängerte - genau vors Atlético-Tor, genau dorthin, wo Sergio Ramos wartete, in die Flugbahn der Kugel sprang und diese zwischen Oblaks Beine hindurch in die Maschen bugsierte. Ausgerechnet Sergio Ramos!

Der Führungstreffer von Ramos hätte nicht zählen dürfen

Welch eine Pointe: Ramos hatte Real vor zwei Jahren im Champions-League-Finale gegen Atlético mit einem Treffer in der dritten Nachspiel-Minute in die Verlängerung gerettet, in der die Königlichen dann zu einem 4:1-Triumph gekommen waren. Ramos, der Schrecken von Atlético - so sah es aus. Beim gewissenhaften Studium der Zeitlupen aber zeigte sich: Der Treffer hätte gar nicht zählen dürfen. Als Bale zur Kopfball-Verlängerung aufgestiegen war, hatte Ramos seinen rechten Fuß ins Abseits gereckt.

Vor dem Anpfiff hatten die Atlético-Anhänger ein großes Banner entrollt: "Deine Werte lassen uns glauben." Die Fans auf der anderen Seite hatten mit der Inschrift geantwortet: "Bis zum Ende, vamos Real." Optimismus gegen Beharrungsvermögen: Auch auf dem Spielfeld rangen diese Kräfte miteinander. Dank Toni Kroos und Luka Modric lief der Ball zunächst präzise durch die Reihen der Königlichen, je näher die Halbzeitpause heranrückte, desto weiter aber ließ sich Real zurückfallen. Zweimal ließ Antoine Griezmann seine Torgefahr erahnen. Das hielt den Glauben der Atlético-Fans am Leben.

Zur zweiten Hälfte rochierte Diego Simeone im Mittelfeld. Für den argentinischen Routinier Augusto Fernandez durfte der junge belgische Nationalspieler Yannick Ferreira-Carrasco, 22, ran. Jugendlicher Elan für eine engagiertere Spielgestaltung gegen das weit zurückgezogene Real - so war das wohl gemeint. Und tatsächlich hätte die Partie in diesem Moment eine neue Richtung nehmen können, allerdings aus einem ganz anderen Grund.

Griezmann verschießt vom Punkt

Der Wiederanpfiff des unaufgeregten Schiedsrichters Mark Clattenburg aus England war kaum verklungen, als Pepe sich im eigenen Strafraum auf äußerst ungeschickte Art von hinten Fernando Torres bei der Ballannahme näherte. Strafstoß. Die große Chance für Atlético zum Ausgleich. Die Möglichkeit, die Uhr noch einmal auf null zu stellen. Antoine Griezmann vergab sie. Nachdem Real-Torsteher Keylor Navas für allerlei verzögernde Faxen Gelb gesehen hatte, hämmerte Griezmann den Ball mittig gegen die Querlatte.

42 Minuten waren anschließend noch zu spielen. Atlético-Coach Simeone wusste: Da geht noch was. Mit ausladenden Gesten versuchte er, seine Spieler und die Fans daran zu erinnern. Und es ging wirklich noch einiges, vor allem weil Real viel zuließ. Der Flugzeugträger - er schwankte. Cristiano Ronaldo war anzusehen, dass er nach seinen Verletzungen noch nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte ist.

Zidane holt Kroos vorzeitig vom Feld

Erst nachdem Zinedine Zidane in der 72. Minute den zuverlässigen Toni Kroos, der gegen Mitte der zweiten Halbzeit allerdings schon leicht angeschlagen war, für Isco vom Feld holte und in einem zweiten nicht leicht nachvollziehbaren Zug Benzema durch Lucas Vazquez ersetzte, bot sich Ronaldo eine wirklich große Chance. Kurz darauf bot sich auch Gareth Bale eine solche. Das 2:0 - es wäre sicher die Entscheidung gewesen. Doch statt Ronaldo und Bale zog plötzlich ein anderer die Blicke auf sich: der zur Halbzeit eingewechselte Yannick Ferreira-Carrasco.

Er trägt die Nummer 21 bei Atlético. Und just diese leuchtete bereits auf der Wechseltafel des vierten Offiziellen, als Gabi in der 79. Minute den Ball auf der rechten Außenbahn zu Juanfran chippte, der direkt vors Real-Tor flankte, wo der mitgelaufene Carrasco am zweiten Pfosten wenig Mühe hatte, aus kurzer Distanz auszugleichen. 1:1 - und der eingewechselte Torschütze sollte eigentlich schon wieder ausgewechselt sein: auch das eine hübsche Pointe.

Derbi madrileño, 2. Teil: Vor zwei Jahren hatte sich Real im letzten Spiel der Champions-League-Saison gegen Atlético in die Verlängerung gerettet. Nun hatte Atlético spät aufgeholt. Bevor es die Zugabe von zweimal 15 Minuten gab, holte Sergio Ramos bei einem Tempogegenstoß Ferreira-Carrasco im Anstoßkreis rüde von hinten von den Beinen. Dass die Real-Größe dafür lediglich Gelb sah, war außerordentlich milde.

Juanfran vergibt, Ronaldo trifft und posiert

Atlético bemüht, Real krampfig: Dieser Eindruck verfestigte sich in der ersten Hälfte der Verlängerung. Bale, Modric, Ronaldo: Viele waren offenbar am Ende ihrer Kräfte. Real wirkte wie ein angeknockter Boxer, der auf einen Lucky Punch hofft, Atlético wie ein ambitionierter Herausforderer, dem das Zeug zum K.o.-Schlag fehlt. Am Ende schien es, als würden alle flehentlich aufs Elfmeterschießen warten. Das fand vor der Real-Kurve und Atlético hatte noch einen Nachteil: Es musste immer nachziehen. 1:0 Vazquez, 1:1 Griezmann, 2:1 Marcelo, 2:2 Gabi, 3:2 Bale, 3:3 Saul, 4:3 Ramos - bis Juanfran sich versuchte, verwandelten alle sicher. Der Abwehrspieler setzte seinen Schuss gegen den Pfosten.

Cristiano Ronaldo war als nächster an der Reihe. Ausgerechnet Cristiano Ronaldo, der vor zwei Jahre im Finale den Schlusspunkt zum 4:1 gesetzt hatte. Der dreimalige Weltfußballer, der sonst so Leichtfüßige, der sich über weite Strecken so schwerfüßig durch diese Partie geschleppt hatte. Ronaldo stellte sich in Positur. Er lief an. Er verwandelte sicher. 5:3 im Elfmeterschießen: Real Madrid ist damit zum elften Mal Champions-League-Sieger. Ronaldo zog sein Dress aus - und posierte.

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