Champions League:Nächster Halt: Cardiff

Ein glänzender Toni Kroos und ein unerbittlicher Torjäger Ronaldo: Der Wucht und Präzision von Real Madrid hat Stadtrivale Atlético beim 3:0-Sieg der Königlichen nicht viel entgegenzusetzen.

Von Javier Cáceres, Madrid

Am Mittwoch war ganz Madrid in Verhandlungen begriffen, und sie waren grausamer Natur: Der Nachbar aus dem zweiten Stock schacherte mit dem Nachbarn aus dem vierten, der verschuldete Hypothekenbesitzer mit seinem Banker, der Koch mit dem Kellner, der Taxifahrer mit dem Stammgast - und, und, und. Denn seit Dienstagabend steht wohl fest, dass Reservierungen von Hotelzimmern in der heillos ausgebuchten walisischen Stadt Cardiff übertragen werden können - von Atlético-Fans an Pilger von Real Madrid. Mit 3:0 hatten die Madridistas das Halbfinal-Hinspiel gegen den Stadtrivalen Atlético gewonnen - und damit dessen ewig gehegten Wunsch, jenen Pokal, der Europas beste Fußballmannschaft auszeichnet, einmal, nur ein einziges Mal, in den Händen zu halten, aufs Neue zertrümmert.

Sein 400. Treffer für Real: "Ronaldo hat in seinem Kopf immer nur Tore, Tore, Tore."

Atlético wandelt einmal mehr "auf dem Boulevard der kaputten Träume", dichtete die Zeitung AS. Nur einer wagte zu behaupten, dass alles doch noch anders kommen könne: Trainer Diego Simeone. "Fußball ist wundervoll, weil manchmal unerwartete Dinge geschehen. Es ist sehr schwierig. Aber ich glaube weiterhin, dass wir eine Option haben. Weil wir Atlético Madrid heißen, sind wir imstande, es zu schaffen", sagte der Argentinier, genannt "El Cholo".

Doch im Grunde wusste auch Simeone, dass er auf Herzen einredete, die nicht mehr schlugen, und dass er ein Team aufrichten muss, das an nichts mehr glaubt. Als Simeone in der Kabine vor seiner Mannschaft stand, muss er gespürt haben, dass der Raum vor Defätismus zu platzen drohte. "Wer das Rückspiel nicht spielen will, solle es sagen, hat uns Cholo gesagt", berichtete Mittelfeldspieler Koke.

Was Atlético widerfuhr, war einerseits das Übliche. Drei Mal hatte sich der Klub in den drei vergangenen Jahren der Champions League mit dem Nachbarn messen müssen, jedes Mal setzte es Niederlagen, unter anderem in den Endspielen von Lissabon (2014) und Mailand (2016), an die das Publikum im Bernabéu-Stadion mit hämischen Gesängen erinnerte.

Und doch fühlte sich diesmal alles anders an. Es gab keinen Fatalismus der Schlussminute wie im Finale 2014, als Sergio Ramos mit dem 1:1 für Real in der 93. Minute die Verlängerung erzwang. Und auch keinen Wink der Dämonen wie im Finale 2016, als Juanfran im Elferschießen versagte. Es gab nur die zerstörerische Wucht der Präzisionsmaschine Real und seines Stürmers Cristiano Ronaldo. Der Portugiese, der bereits im Viertelfinale gegen den FC Bayern fünf Tore erzielt hatte, schoss gegen Atlético alle drei Treffer, die das Finale von Cardiff (3. Juni) so nah erscheinen lassen wie die nächste Metrostation. In dieser Champions-League-Saison hat Ronaldo bereits zehn Tore erzielt (eins weniger als Lionel Messi vom FC Barcelona), seine Treffer aus der 10., 73. und 86. Minute waren sein siebter Europa-Hattrick, in europäischen Wettbewerben hat er sagenhafte 106 Tore erzielt.

Nach offizieller Lesart hat Ronaldo nun 400 Tore für Real geschossen, allerdings ist in dieser 2009 begonnenen Rechnung ein Treffer gegen San Sebastián dabei, der auf dem Spielberichtsbogen Innenverteidiger Pepe zugeschrieben wurde - jener hatte den Ball abgefälscht. Doch soll man angesichts solcher Zahlen des Strafraum-Terrors wirklich Erbsen zählen?

"Beneidenswert", entfuhr es Trainer Zinédine Zidane, der auch nicht der schlechteste seiner Zunft war, angesichts der magischen 400 Treffer Ronaldos. "Er hat in seinem Kopf immer Tore, Tore, Tore, anders kriegst du solche Statistiken nicht hin", berichtete Reals mecklenburgischer Mittelfeldspieler Toni Kroos, ehe er zur Dopingprobe und dann nach Hause verschwand: "Er ist da, wenn er gebraucht wird."

Ronaldo selbst gab die Komplimente an seine Kameraden zurück. Seine Tore seien schön und gut, aber auch "das Produkt eines natürlichen Prozesses." Am Dienstag wirkte es tatsächlich so: "Wir haben das totale Spiel abgeliefert", sagte Ronaldo.

Daran hatte auch Kroos einen unermesslichen Anteil. Er war der Generalfeldmarschall, der Regie führte, wie so oft. 96 seiner 97 Pässe landeten bei einem Mitspieler, er stand sinnbildlich für die konzentrierteste und vollkommenste Leistung Reals dieser Saison. "Wir haben schlau gespielt", sagte Kroos. Trainer Zidane bevölkerte das Mittelfeld mit dem Berserker Casemiro und einem Übermaß an Talent - Isco, Modric, Kroos -, und stach damit Simeone an der Taktiktafel aus.

Atlético war zweigeteilt, ohne Verbindungen zwischen den Reihen, ohne Ideen, ohne Durchschlagskraft. Noch nie in der nun auch schon seit 2011 währenden Amtszeit Simeones war die Übermacht Reals an individueller Klasse so spürbar wie diesmal. In 90 Minuten schoss Atlético nicht ein einziges Mal aufs Tor, und wenn der wunderbare Torwart Jan Oblak nicht überragend gehalten hätte, so hätte sich das 0:3 wohl nicht nur so angefühlt wie ein 0:7.

Mit verschränkten Armen und gesenkten Köpfen standen drei-, viertausend Atlético-Fans da, als die Partie vorbei war, und manch einer wird sich gefragt haben, ob der Diskurs eine Rolle spielte, den Simeone vor der Partie angeschlagen hatte.

Champions League

Halbfinale, Hinspiele

Real Madrid - Atlético Madrid 3:0 (1:0)

Real: Navas - Carvajal (46. Nacho), Ramos, Varane, Marcelo - Modric, Casemiro, Kroos - Isco (68. Asensio), Benzema (77. Vasquez), C. Ronaldo. - Trainer: Zidane.

Atlético: Oblak - Lucas, Savic, Godin, Filipe Luis - Koke, Gabi, Saúl Ñiguez (58. Gaitan), Ferreira-Carrasco (68. Correa) - Griezmann, Gameiro (57. F. Torres). - Trainer: Simeone.

Tore: 1:0 C. Ronaldo (10.), 2:0 C. Ronaldo (73.), 3:0 C. Ronaldo (86.). - Schiedsrichter: Atkinson (England). - Gelbe Karten: Isco - Koke (2), Saúl Ñiguez (2), Savic. - Zuschauer: 81 044 (ausverkauft).

AS Monaco - Juventus Turin Mi. 20.45

Rückspiele:

Juventus Turin - AS Monaco Di., 9.5.

Atlético Madrid - Real Madrid Mi., 10.5.

Finale: Samstag, 3. Juni, 20.45 Uhr in Cardiff.

Denn während Zidane gemahnt hatte, so zu spielen, "als gäbe es kein Rückspiel", waren Simeones Gedanken schon um eine etwaige Verlängerung gekreist. Er hatte in den Raum geworfen, dass die Auswärtstorregel, wonach Treffer auf fremdem Platz in europäischen Wettbewerben mehr zählen, ungerecht sei. Zumindest in Verlängerungen gehöre die Regel abgeschafft, denn dann habe das Team, das im Rückspiel Heimrecht habe, nach einem Gegentreffer keine Zeit mehr, um doppelt so viele Treffer zu erzielen: "Ein Tor darf nicht mehr wert sein als ein anderes." Doch damit hatte Simeone den zweiten Schritt vor dem ersten getan. Mit Folgen.

Zidane dürfte bereits überlegen, ob es nicht besser wäre, im Triumph zu gehen

Denn dass Real den Finaleinzug noch aus der Hand gibt, ist so wahrscheinlich wie ein Verbleib von Darmstadt in der Bundesliga. In 59 Spielen in Serie hat Real mindestens ein Tor erzielt. Zudem haben die Madridistas noch nie in ihrer 115-jährigen Geschichte einen 3:0-Vorsprung aus dem Hinspiel aus der Hand gegeben, weder in nationalen noch internationalen Wettbewerben. Und so wird die Frage der nächsten Wochen sein, ob vielleicht sogar zwei Trainerplanstellen in Madrid frei werden. Simeone hat zwar versprochen, Atlético beim bevorstehenden Umzug in ein neues Stadion zu begleiten, doch das drohende Aus wird als Katastrophe empfunden. Zidane wiederum dürfte im Falle eines neuerlichen Champions-League-Siegs mit Real überlegen, ob es nicht besser wäre, im Triumph zu gehen. Schon seit Tagen wird er gefragt, ob er bleiben werde. "Wir werden sehen, ob ich durch das Haupttor hinausgehe", sagte er, und bemühte damit ein Bild aus dem Stierkampf: Wenn dort ein Matador zwei Stierohren erhalten hat, wird er auf den Schultern seiner Helfer durchs größte Tor der Arena getragen.

Der Anlass könnte angemessen sein. Noch nie hat ein Trainer den größten Klubfußball-Titel Europas verteidigen können.

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