Champions League:Müller rettet Bayern in der 91. Minute

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Thomas Müller (re.): Nun noch ein bisschen unsterblicher (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Aus einem 0:2 - und dem vermeintlichen Aus in der Champions League - macht der FC Bayern noch ein 4:2.
  • Thomas Müller trifft in der 91. Minute zum Ausgleich - danach geht es in die Verlängerung.
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Aus dem Stadion von Claudio Catuogno, München

Es lief schon die Nachspielzeit im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Juventus Turin - und rechnerisch war der FC Bayern ausgeschieden. Seit 84 Minuten. 1:2 lagen sie zurück, als Kingsley Coman zu einer letzten Flanke ansetzte, als Thomas Müller ein letztes Mal zum Kopfball in die Luft sprang . . .

Ein Aus im Achtelfinale: Das gab es seit 2011 nicht mehr, seit dem 2:3 gegen Inter Mailand unter dem Trainer Louis van Gaal. Damals hießen die Münchner Spieler allerdings noch nicht Neuer, Costa und Lewandowski. Sondern Kraft, Pranjic und Breno. Es waren andere Zeiten. Diesmal lag das ganz große Scheitern in der Luft, auch das des Trainers Pep Guardiola.

Doch dann erzwang Müller tatsächlich die Verlängerung mit seinem Kopfball zum 2:2 - und in dieser schossen die eingewechselten Thiago und Coman einen fast komfortablen Vorsprung heraus. 4:2 also, die Bayern stehen im Viertelfinale. Dank Glück und Willenskraft. Dank Spielkunst und taktischer Stabilität eher weniger.

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Erstaunlich war das durchaus. War das Hinspiel vor drei Wochen in Turin nicht noch ein fast frivoles Versprechen gewesen? In Ermangelung gelernter Innenverteidiger zwangen die Münchner das Spiel so tief in die Hälfte der Italiener, dass sie gar keine Innenverteidiger mehr brauchten. Ein Coup - weil es funktionierte. Das Fehlen von Jérôme Boateng, Holger Badstuber und Javi Martínez fiel so nicht weiter ins Gewicht. Gut, zwar fielen nach der 2:0-Führung noch zwei lästige Gegentore. Aber wer hat ernsthaft damit gerechnet, dass dies beinahe die letzte Sternstunde in Guardiolas Amtszeit gewesen wäre?

Der erste signifikante Unterschied zum Hinspiel war diesmal: Thiago saß lange auf der Bank. Auf seinen Platz als Lenker im Offensivzentrum rückte Arturo Vidal. Dahinter kam Xabi Alonso zum Einsatz, der das Spiel lieber gemächlich von hinten gestaltet. Der erste Hinweis, dass mit Harakiri-Pressing diesmal nicht zu rechnen sein würde. Aber diese Umstellung allein taugt noch nicht als Erklärung für das, was nun seinen Lauf nahm. Angefangen mit einer Taktik der Turiner, die Guardiola so vermutlich auch nicht erwartet hatte: Diesmal war es der Vorjahresfinalist Juventus, der den Münchnern durch aggressives Pressing kaum Platz zum Atmen ließ.

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Aus dem Stadion von Christof Kneer und Benedikt Warmbrunn

Dann lag es aber auch an individuellen Fehlern, dass diesmal die Italiener mit einer 2:0-Führung in die Pause gingen. In der 6. Minute versuchte David Alaba einen weiten Pass auf Stephan Lichtsteiner zu unterbinden - mit der Hacke. Er traf den Ball nicht, Neuer kam zu spät, Lichtsteiner konnte quer legen auf Paul Pogba, der zum 1:0 einschoss. So ging es weiter: Juve drückte, Juve ließ den Ball laufen. Und zur Fassungslosigkeit der Münchner kamen Missverständnisse - und Vorwürfe: Nach einem Rückpass von Alaba spielte Neuer den Ball in die Füße von Khedira, von dort prallte er zu Alvaro Morata - und dessen Lupfer bedeutete nur deshalb nicht das 0:2, weil der Schiedsrichter - wohl zu Unrecht - auf Abseits entschied (22.). Neuer stauchte daraufhin Alonso zusammen.

Es dauerte nur sechs weitere Minuten bis zum 0:2: Alaba verlor den Ball am gegnerischen Strafraum, Morata spazierte an allen Roten vorbei bis fast an den Münchner Sechzehner, legte zu Juan Cuadrado, der schlenzte den Ball in die rechte Ecke (28.). Es war die Art von demütigendem Gegentor, die man nicht so leicht verarbeitet. Franz Beckenbauer, der immer noch eine kaiserlich-radikale Art hat, wenn es darum geht, bei Sky die Elf zu kritisieren, deren Ehrenpräsident er ist, befand in der Halbzeit: "ein Hühnerhaufen".

Die verunsicherten Bayern hatten zunächst allenfalls Viertel-Chancen. Erst in der 42. Minute wäre der Ball beinahe an Gianluigi Buffon vorbei ins Juve-Tor gehoppelt, doch weder Müller noch Lewandowski brachten das Spielgerät unter Kontrolle. Gelegenheiten, die dem Publikum den Atem stocken ließen, erspielten sich weiter die Italiener. Etwa als Benatia ein Laufduell gegen Pogba verlor, der Ball wieder durch die Bayern-Abwehr zu Cuadrado trudelte - und von Neuers Rücken eher zufällig an den Pfosten prallte (43.).

Mit Boateng, Badstuber und Martínez wäre es womöglich anders gelaufen, aber so fand sich erst mal niemand, der durch Körperspannung die rasche Wende erzwungen hätte. Dabei war in der Offensive lediglich Arjen Robben nicht zu Verfügung gestanden, wegen einer Erkältung und Adduktorenproblemen. Juventus hatte es da nominell schlimmer getroffen: Claudio Marchisio hatte sich eine Wadenprellung zugezogen, Paulo Dybala, Torschütze im Hinspiel, war auch an der Wade verletzt, und Giorgio Chiellini, eine Instanz in der Verteidigung, war auch nicht rechtzeitig fit geworden.

In der zweiten Halbzeit versuchten es die Bayern dann mit Juan Bernat für Benatia und Coman für Alonso - vor allem war es aber der Kämpfer Arturo Vidal, der das Spiel mit Ballgewinnen zunehmend auf seine Seite zwang. In der 73. Minute flankte Costa, Lewandowski traf per Kopf zum Anschlusstreffer. Es lief bereits die Nachspielzeit, als Thomas Müller sich ebenfalls im Fünfmeterraum in die Luft schraubte. 2:2, gerade noch mal gut gegangen.

Erst in der 101. Minute kam dann Thiago - in der 108. Minute traf er nach feinem Doppelpass mit Müller. Zwei Minuten später markierte Coman mit einem Lupfer den Endstand. Und auf der Ehrentribüne, Reihe 22, jubelte unter einer schwarzen Wollmütze auch der verletzte Innenverteidiger Jérôme Boateng. Vielleicht erlebt er jetzt ja doch noch das eine oder andere Champions-League-Spiel in dieser Saison. Helfen würde es.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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