Champions League: Milan - ManU:"Der Mensch stammt von Gattuso ab"

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Harter Hund, wilder Wüterich oder doch Stratege? Pünktlich zum Spiel gegen ManU hat der Mittelfeld-Terrier des AC Mailand ein Buch veröffentlicht.

Birgit Schönau

Gattuso sagt, der Unterschied zwischen ihm und David Beckham sei, ,,dass ich mir noch nie eine Creme ins Gesicht geschmiert habe''. Victoria Beckham wird aber kaum Kalorienbomben wie Tiramisu unter der sorglosen Dreingabe von Schokoriegeln zubereiten - wie Monica Gattuso. ,,Die zerkrümelt sie und rührt sie dann unter den Mascarpone: ein Gedicht!''

Man könnte sagen, Gennaro Gattuso, genannt Rino, sei die Inkarnation jenes Calcio all'italiana, der Trophäen weniger mit entfesselter Spielfreude erringt als mit Zähigkeit und Leidensbereitschaft. Gattuso ist einer, der im Spiel austeilen kann und einstecken, der in Manchester vom Platz gehumpelt ist und an diesem Mittwoch in Mailand natürlich dabei sein wird, beim Rückspiel seines vierten Champions-League-Halbfinals in den letzten fünf Jahren - die 2:3-Niederlage aus der vergangenen Woche auswetzen. Nicht nur wegen seiner Physiognomie wirkt er wie ein Mann von gestern. Er spielt auch so. Rackern, rennen, grätschen, immer dran an Ball und Gegner, immer den Terrier machen für die Artisten weiter vorne oder die Maldinis und Nestas weiter hinten. ,,Kalabrisch spielen'', nennt das Gattuso: ,,Kalabrisch spielen heißt, sich die Gage erschwitzen, erkämpfen, sich nie zurückfallen lassen, nie aufgeben, sich immer wieder mit derselben Wut in den Ball verbeißen, auch wenn der schon verloren scheint.'' Für sich selbst hat der Profi des AC Mailand eine Berufsbezeichnung erfunden: Ladro di palloni, der Bälledieb.

Gattuso hat pünktlich zum Halbfinale seine Autobiografie herausgebracht, erstaunlicherweise nicht in einem Verlagshaus von Klub-Patron Silvio Berlusconi. Das Buch trägt den schrägen Titel ,,Wenn einer quadratisch auf die Welt kommt, stirbt er nicht ohne Ecken''. Gattuso entwirft darin die Saga vom arbeitssamen Süditaliener, der in den Norden emigriert, es dort zu Ansehen, Geld und Ruhm bringt - aber seine Wurzeln nie vergisst. Eine Lebensgeschichte wie aus einer anderen Zeit. Geschichten wie die des 28-jährigen Gattuso gab es gestern, heute ziehen zwar erneut Tausende von jungen Kalabriern in den Norden, aber statt einer Karriere bietet man ihnen nur noch prekäre Jobs. Wer zu Hause bleibt, muss mit der 'Ndrangheta leben, einer Mafia-Organisation, die längst auch den Fußball infiltriert hat. Die 'Ndrangheta aber ist für Gattuso kein Thema.

Er schreibt über Kalabrien, wie er für Milan spielt: im defensiven Mittelfeld. ,,Terrone'' werde er von seinem lombardischen Mitspieler Andrea Pirlo genannt, erzählt Gattuso, zum Scherz natürlich. ,,Terrone'' ist das Schimpfwort der Norditaliener für die aus dem Süden: Erdfresser. ,,Terrone sein, heißt profunde Wurzeln zu haben'', stellt Gattuso klar, ,,heißt die Tradition zu pflegen, die eigene Kultur niemals zu verleugnen, dem eigenen Sohn den Vornamen des Großvaters zu geben und einen heiligen Respekt vor der Familie zu haben.''

Als Mann von gestern hat Gattuso sein Geld in den Heimatort Schiavonea investiert - in zwei Sportartikelgeschäfte. Er fährt oft nach Kalabrien, er ist der Stolz seiner Heimat. ,,Mein Vater arbeitete als Tischler, aber er war auch Fußballer. Einmal machte er 14 Tore in einem Match. Er verließ dann den Klub in Schiavonea und wechselte zum Lokalrivalen Corigliano. Beim ersten Derby stellte sich mein Großvater Gennaro hinters Tor und brüllte 90 Minuten lang: Verkauftes Fleisch, verkauftes Fleisch!''

Der Vater sorgte dann dafür, dass Gennaro aus Perugia, wo er nichts verdiente und immer wieder seinen Kollegen Marco Materazzi anpumpen musste, 1997 für ein Jahr zu den Glasgow Rangers ging. Seither wird in Italien behauptet, Gattuso spiele ,,schottischen Fußball''.

Vor dem Spiel gegen ManU hat Gattuso einen offenen Brief an den Corriere della Sera geschrieben. Darin strickt er sich seine Milan-Saga: ,,Wenn man bedenkt, welch' unglückliches Jahr wir hinter uns haben, ist es ein Wunder, dass wir es so weit gebracht haben. Milan wurde gezwungen, sich die Champions-League-Qualifikation zu erspielen. Wir Weltmeister mussten dafür unsere Ferien abbrechen. Wir haben für Vergehen bezahlt, die wir gar nicht begangen haben, wir waren Opfer einer Ungerechtigkeit." Schottischer Fußball klingt irgendwie anders. Aber immerhin: ,,Wenn Manchester stärker ist, sollten wir sportlich eine Niederlage akzeptieren.''

Gattuso würde in diesem Fall nachts allein in die Küche gehen und wie wild ein Brötchen in kleine Fetzen beißen. Wie er das immer tut, wenn er verliert. Wahrscheinlich unterscheidet ihn auch das von Beckham, dem Inbegriff des Cyber-Fußballers. Über Gattuso haben die Fans des Lokalrivalen Inter einst gedichtet: ,,Der Mensch stammt von Gattuso ab.'' Er fand das so passend, dass er es jetzt für sein Buch verwendet hat. Als Überschrift fürs erste Kapitel.

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