Champions League:Marco Reus infiziert den BVB

Von Javier Cáceres, Madrid

Der letzte Clásico zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid hinterließ unter anderem eine spitze Bemerkung der Sorte, die sich nur der argentinische Fußballphilosoph Jorge Valdano ausdenken kann. Er sage immer, dass es "keine Mannschaft gibt, die besser schlecht spiele als Real Madrid", sagte Valdano am Wochenende. Denn auch wenn Real schlecht spiele, gewinne es. Das kommt tatsächlich erstaunlich oft vor. Manchmal aber spielt Real Madrid auch überaus gut, mit bemitleidenswerten Folgen für den jeweiligen Gegner.

Am Mittwochabend erfuhr dies in Madrid über weite Strecken des Spiels die Dortmunder Borussia - und dennoch vermochte sie es mit einer brillanten Leistung in der zweiten Halbzeit, das Spiel zu drehen und die Vorrunde der Champions League als Sieger der Gruppe F zu beenden - vor Real. Denn nach einem 0:2-Rückstand glich Dortmund noch aus, durch Tore von Pierre-Emerick Aubameyang (60. Minute) sowie Marco Reus (88.). "Wir hätten gewinnen müssen", haderte Benzema und kritisierte: "Die Konzentration hat nachgelassen, auch wenn es insgesamt ein wirklich tolles Spiel war."

Real-Coach Zinedine Zidane zeigte sich vor allem von den Gästen beeindruckt: "Dortmund hat diesen ersten Platz einfach verdient. Sie haben bewiesen, warum sie so stark sind", bekannte der Weltmeister von 1998. Mit den Toren 20 und 21 im sechsten Vorrundenspiel stellte Tuchels BVB-Team obendrein einen neuen Rekord in der Königsklassen-Gruppenphase auf und egalisierte die 20-Tore-Marken von Manchester United (1998/99), des FC Barcelona (2011/12) und von Real Madrid (2013/14). Schwacher Trost für Real: Es stellte einen Vereinsrekord aus der Saison 1988/89 ein: Das Team von Zinédine Zidane, derzeit Tabellenführer in der spanischen Primera División, ist seit 34 Spielen ungeschlagen. Gute Nachricht an alle Gruppenzweiten der Vorrunde, darunter bekanntermaßen der FC Bayern München: Sie können im Achtelfinale nicht auf Real treffen.

Das Niveau der Partie war über 90 Minuten hinweg spektakulär, was unter anderem daran lag, dass die Dortmunder von Beginn an keinen Zweifel daran ließen, in Madrid mit Wagemut agieren zu wollen - ungeachtet der Tatsache, dass die Spielgestaltung vor allem Spätpubertierenden wie Julian Weigl, 21, und Ousmane Dembelé, 19, anvertraut war. Als André Schürrle sich dann traute, den ersten Torschuss der Partie abzugeben, fühlte sich Real definitiv herausgefordert, mit der flachen Hand auf den Tisch zu schlagen und zu zeigen, wer der Herr im Hause ist. Der defensive Mittelfeldspieler Casemiro grätschte Gonzalo Castro im Mittelfeld den Ball weg; als dieser dann am Dortmunder Strafraum angekommen war, legte Ronaldo seinem Sturmkollegen Karim Benzema die Kugel mit der Hacke auf. Torwart Roman Weidenfeller parierte (10. Minute).

Diese Szene war wie ein Fanal für den spanischen Rekordmeister, der fortan das Spiel kontrollierte, durch den starken James Rodríguez (19./20.) zu guten Chancen kam und durchaus verdient, aber eine Spur zu leicht zum Führungstreffer kam. Nach einem langen Ball von Casemiro fand Reals Rechtsverteidiger weniger Gegenverkehr als auf spanischen Provinzautobahnen um halb sechs Uhr morgens und passte präzise auf Benzema, der aus kurzer Distanz einschoss. Dortmund versteckte sich auch nach dem 0:1 nicht und war durch den auffälligen Christian Pulisic (32.), vor allem aber durch einen direkten Freistoß von André Schürrle (39.) dem Ausgleich durchaus nahe. Schürrle zirkelte den Ball durch die löchrige Mauer, doch Keylor Navas lenkte den Ball mit einer Weltklasseparade zur Ecke. Auf der anderen Seite hätte Cristiano Ronaldo kurz vor der Pause noch fast das 2:0 erzielt. Doch er rutschte nach einer Eingabe von Benzema knapp am Ball vorbei.

Nach der Pause wiederholten sich die Geschehnisse insofern, als die Dortmunder die Madrilenen wieder reizten. Erst spitzelte Dembelé nach einem Solo den Ball nur knapp vorbei (49.). Eine Minute später bekam Gonzalo Castro nicht genug Druck auf das Spielgerät, als Pulisic den Ball von der Torauslinie zurück an den Fünfmeterraum gespielt hatte. In der 53. Minute zeigte Real Madrid dann seinen gefürchteten Punch: James zirkelte eine Flanke auf den von Dortmunds Innenverteidiger Marc Bartra vernachlässigten Benzema, der aus sechs Metern mit einem wuchtigen Kopfball traf. Doch Dortmund stand wieder auf: Dem frisch toupierten Pierre-Emerick Aubameyang gelang der Anschlusstreffer. Nach glänzendem Weigel-Pass hatte Schmelzer dem gabunischen Nationalspieler den Ball von links fein aufgelegt.

Hernach wurde das Duell fieberhaft; als hätte es der durch grippale Infekte geschwächte Marco Reus infiziert, als er nach 60 Minuten eingewechselt wurde. Das Spiel wogte hin und her, mit besseren Chancen für Real. Weidenfeller parierte brillant gegen Ronaldo und Sergio Ramos, Marco Reus wehrte nach einer Ecke auf der Linie einen Benzema-Kopfball ab. In der 78. Minute traf Ronaldo nur den Pfosten. Doch der letzte Punch gehörte dem BVB: Emre Mor eroberte am Strafraum den Ball, über Aubameyang kam der Ball zu Reus, der ein 2:2 erzielte, das den BVB hoffen lassen kann, in der K.-o.-Runde einen machbaren Gegner zugelost zu bekommen, immerhin kann es weder Barça noch Atlético sein.

"Sie werden keinen Wunschgegner von mir hören, das ist alles gleich kompliziert", sagte Trainer Thomas Tuchel und erfreute sich lieber an dem Spiel: "Es war ein Topabend mit einem Topende."

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