Champions League:Juve kippt einen Farbeimer auf Bayerns Gemälde

Von Martin Schneider, Turin

Als Karl-Heinz Rummenigge eingriff, war es zu spät. "Wir sollten nicht den Fehler machen, jetzt mit dem Ergebnis zu hadern", sagte der Vorstandvorsitzende nach dem Spiel auf der Bankett-Rede des FC Bayern. Da hatten aber schon mehrere seine Spieler laut mit dem Ergebnis gehadert - Philipp Lahm, Thomas Müller, am meisten Arjen Robben.

"In Turin muss man erst mal so auftreten, wie wir aufgetreten sind, vor allem in der ersten Halbzeit, das war wirklich guter Fußball", sagte Philipp Lahm. Er sprach von einem "bisschen Ärger." "Eine gute Leistung mit einem ärgerlichen Ergebnis", sagte Thomas Müller etwas konkreter. Manuel Neuer redete von einem "mulmigen Gefühl", mit dem man nun nach Hause fahre, und Arjen Robben monierte am deutlichsten: "Wenn man 2:0 führt, dann muss man das Spiel zumachen. Das darf nicht passieren."

Vor dem Spiel, hätten die Münchner ein 2:2 bei Juventus Turin tatsächlich für ein tolles Ergebnis gehalten. Zwei Auswärtstore, nicht verloren, mehr wäre im Achtelfinale der Champions League vermessen gewesen gegen eine Mannschaft, die unlängst 15 Spiele in Serie gewonnen hatte. Nach dem Spiel redeten die Spieler so, als hätten sie ein beeindruckendes Gemälde geschaffen, aber kurz vor seiner Vollendung, vor dem letzten Strich, hätte Juventus Turin einfach einen Eimer Farbe drübergekippt.

"Die Performance war Wahnsinn", sagte Bayern-Trainer Pep Guardiola. "Das war eins der Spiele meiner Karriere, an das ich mich am liebsten erinnern werde. Manchmal darf man nicht nur auf das Ergebnis schauen." Sein Plan war: Er hat keine kopfballstarken Abwehrspieler, also verschiebt er das Spiel eben so weit nach vorne, dass niemand aufs Tor köpfen kann. Der Plan ging lange auf.

Denn in der ersten Halbzeit, eigentlich in den ersten 60 Minuten, hatte der FC Bayern den Finalisten des Vorjahres zu einer durchschnittlichen Bundesliga-Mannschaft degradiert. Das Spiel fand in der Juventus-Hälfte statt, und wenn die Turiner je ernsthaft vorgehabt haben sollten, im eigenen Stadion auch aktiv am Spiel teilzunehmen, dann gelang ihnen das nicht. Juventus versuchte teils so hilflos aus der eigenen Hälfte herauszuspielen wie sonst Werder Bremen.

Müller egalisiert Müllers Torrekord im Europacup

Thomas Müller verschluderte früh die Führung, weil er den Ball aus fünf Metern Entfernung nicht über die Linie gedrückt bekam. "Das hat sich komisch angefühlt, ich dachte eigentlich: Jetzt scheppert's", sagte Müller, der offenbar zuweilen von seinen eigenen Bewegungen überrascht wird. In der 43. Minute traf er dann doch noch und hat nun genau so viele Tore in der Champions League (34) wie der andere große Müller des FC Bayern, der die Treffer noch im Europacup der Landesmeister erzielte.

"Sie haben uns in der ersten Halbzeit in die eigene Hälfte gedrückt", sagte Juve-Trainer Massimo Allegri. "Wir haben zu viele Fehler gemacht und die Räume nicht genutzt." In der Halbzeit wechselte er offensiv, Hernanes für Marchisio, aber auch das brachte zunächst nichts, weil Bayern konterte und Robben mit einem Robben-Tor (außen, innen, Linksschuss) nachlegte. Das Spiel drohte zu einem historischen Debakel für die Italiener zu werden.

Warum es das nicht wurde, bleibt eines der großen Rätsel dieses Spiels. Juventus befreite sich in der 63. Minute auf der rechen Seite, Juan Cuadrado spielte einen Verzweiflungs-Pass, der in 19 von 20 Fällen nicht ankommt, allerdings tat ihm Joshua Kimmich den Gefallen, ihn auf Mario Mandzukic abzulegen. Der legte quer, und Paulo Dybala schob ein (63.). Danach war das Spiel ein anderes. "Nach der ersten Halbzeit sind wir phänomenal zurückgekommen", sagte ein im Spiel unauffälliger Sami Khedira. Allegri brachte Alvaro Morata und so noch mehr Power im Angriff. Cuadrado hätte schon in der 67. Minute einschießen können, genau wie Paul Pogba eine Minute später. Am Ende traf dann der eingewechselte Stefano Sturaro zum Ausgleich in der 73. Minute, weil Kimmichs Bein nicht lang genug war. So überraschend der Anschlusstreffer war, so vorhersehbar war dieses Tor.

Wie schon beim 1:3 gegen Gladbach in der Bundesliga oder auch vergangene Saison beim 0:3 in Barcelona war der FC Bayern nicht in der Lage, den Lauf des Gegners zu stoppen, das Spiel zu verzögern und ein 2:1 vielleicht auch mal schmutzig über die Zeit zu bringen.

"Es wäre aber auch seltsam gewesen, wenn wir Juve 90 Minuten an die Wand gespielt hätten", sagte Thomas Müller. Am Ende waren es 60 Minuten Dominanz und 30 Minuten Kapitulation vor dem Willen Turins, nach denen Allegri nicht völlig zu Unrecht sagte: "Wir hätten auch gewinnen können." Immerhin, so die Ausgangslage, muss Juventus nun im Rückspiel in drei Wochen mindestens ein Tor schießen, um weiterzukommen. Nur Mauern geht also nicht

Und Rummenigge, der nicht hadern wollte? Hat in seinem Leben ja schon so manchen Champions-League-Abend erlebt und sagte: "Es war eines der besten Champions-League-Spiele, die ich je gesehen habe."

Alles war gut. Jedenfalls, wenn man sich aus Bayern-Sicht das Spiel und nicht nur das Ergebnis anschaute.

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