Champions League:Magier Houdini trägt ein Real-Trikot

Karim Benzema, Stefan Savic, Diego Godin

Leitete gegen Atlético das 1:2 ein: Reals Angreifer Karim Benzema.

(Foto: AP)
  • Dank eines magischen Moments von Angreifer Karim Benzema gegen Atlético erreicht Real Madrid das Finale der Champions League.
  • Der Franzose setzt sich vor dem Anschlusstreffer zum 1:2 gegen drei Verteidiger durch - und weiß selbst nicht, wie ihm das gelang.
  • Real kann nun erstmals seit 1958 wieder Champions-League-Titel und Meisterschaft im selben Jahr gewinnen.

Von Javier Cáceres, Madrid

Und dann blitzte und donnerte es über Madrid, so laut und heftig, dass man hätte meinen können, Neptun und Kybele hätten sich irgendwo noch in die Haare bekommen - die beiden Gottheiten, denen die Anhänger von Atlético und Real Madrid huldigen. "Te quiero Atleti, lololololooooo ...", sangen die Atlético-Fans zu diesem Zeitpunkt. Und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ihnen bei ihrer Liebesbekundung nachgerade egal war, dass ihre Mannschaft das Halbfinal-Rückspiel gegen Real Madrid auf unnütze Weise mit 2:1 gewonnen hatte. Weil man damit ja doch nicht das 0:3 aus dem Hinspiel bei Real wettmachen konnte. Aber darum ging es längst nicht mehr.

55 000 Menschen waren ins Stadion Vicente Calderón gekommen, um zu zeigen, dass sie "stolz" waren, "nicht zu sein wie ihr", wie es auf einer gigantischen Choreografie auf der Gegentribüne zu lesen war. Mit "ihr" waren natürlich die Real-Fans gemeint, die nun zum 15. Mal für ein Königsklassen-Finale packen dürfen. Elf Mal haben sie den Pokal schon gewonnen, nun werden sie am 3. Juni in Cardiff/Wales dem italienischen Serienmeister Juventus Turin gegenüberstehen, wie schon 1998 (1:0).

Es lässt sich nur erahnen, was etwas weiter nördlich losgewesen wäre, im Bernabéu-Stadion von Real Madrid, wenn Real dieses Halbfinale noch entglitten wäre. Es ist jedenfalls nur schwerlich vorstellbar, dass die Menschen dort nach dem Ende der Partie ausgeharrt hätten wie Atléticos Anhänger: Die waren durchnässt bis auf die Knochen, verlassen von ihrer ohnehin nur noch zarten Hoffnung, und standen mit Gänsehaut auf ihren Stühlen. Gänsehaut wegen ihrer selbst, beziehungsweise: wegen der Atmosphäre, die sie über 90 Minuten hinweg an diesem kalten, windigen Abend erschaffen hatten.

Benzema allein gegen drei Verteidiger

"Das war eine Demonstration des besten Anhangs der Welt", sagte Gabi, der Mannschaftskapitän nach der Partie. Und der eine oder andere wird sich bereits gefragt haben, auf dem Heimweg, der sie über den Paseo de los Melancólicos führte, ob sich diese flirrende Stimmung einfach so transplantieren lässt wie ein Herz. In ein paar Monaten steht der Umzug ins Metropolitano an, das Vicente Calderón wird abgerissen, niemand wird mehr am Horizont die Almudena-Kathedrale sehen, oder die Iglesia de San Francisco, und auch der Himmel wird wohl anders aussehen dort, am anderen Ende der Stadt.

"Emotionen werden übertragen, die gleichen Leute, die hier waren, werden auch im Metropolitano sein. Der Enthusiasmus der Menschen ist nicht verhandelbar", sagte Atléticos Trainer Diego Simeone, "es wird unser Zuhause sein." Wer weiß. Was sie in jedem Fall mitnehmen werden, weil sie unauslöschlich ist, ist die Erinnerung an einen Traum, der in der 42. Minuten erstarb.

Das war der Moment, als sich Real Madrids Stürmer Karim Benzema in einen Wiedergänger des Magiers Houdini verwandelte. Er hatte nahe der Eckfahne den Ball erhalten, zur Linken eingeengt von der Grundlinie, zur Rechten von den drei Innenverteidigern Atléticos: Savic, Giménez, Godín. "Karim hat mir gesagt, dass er nicht weiß, wie er da rausgekommen ist", erzählte Reals Trainer Zinédine Zidane später.

Aber er kam heraus, weil er durch seine drei Widersacher hindurchtänzelte, als wären sie Geister. Dann passte Benzema zurück auf Toni Kross, der hart aufs Tor schoss, aber in dem fantastischen Torwart Jan Oblak seinen Meister fand. Der Abpraller fiel Isco zu Füßen, der jagte den Ball ins Netz. Damit pulverisierte er das, was Atlético in einer frenetischen Anfangsviertelstunde aufgebaut hatte: die Hoffnung.

Real bleibt ruhig - auch dank Toni Kroos

Erst hatte Saúl Ñíguez (12. Minute) getroffen, dann verwandelte Antoine Griezmann (16.) einen Foulelfmeter. "Es ist schade, dass wir zwei Gegentreffer brauchten, um das Spiel zu verstehen", sagte Isco. Wobei Real Madrid in die Hände spielte, dass Atlético nach dem zweiten Tor seinen Tatendrang drosselte. Das Tempo der ersten 25 Minuten wäre niemals durchzuhalten gewesen, argumentierte Trainer Simeone später, "für Anstrengungen zahlt man".

Doch man dürfe nicht vergessen, dass Atlético sich einem "allmächtigen Gegner" gegenübergesehen habe, "einer Mannschaft von großer Hierarchie". Sie war auch nicht wirklich zu erschüttern. "Ruhig bleiben, unser Spiel machen", sei der Gedanke gewesen, der Real durch den Kopf geschossen sei, sagte Toni Kroos. Er trug mit 94 Prozent gelungener Pässe dazu bei, dass Real vor allem in der zweiten Hälfte das Spiel kontrollierte. "Wenn man die 180 Minuten sieht, haben wir es verdient weiterzukommen", sagte er.

Real kann Geschichte schreiben

Damit steht Real Madrid vor der alles andere als alltäglichen Chance, Geschichte zu schreiben. Seit 1958 haben sie es nicht mehr geschafft, im selben Jahr sowohl die spanische Meisterschaft und die Champions League zu gewinnen - zurzeit ist Real bei drei verbleibenden Spielen Tabellenführer in der Primera División. Und noch nie hat es eine Mannschaft vollbracht, den wichtigsten Pokal des europäischen Vereinsfußballs zu verteidigen. "Wer Juventus in dieser Saison gesehen hat, weiß, dass es schwierig werden wird. Es ist ein 50:50-Spiel", sagte Kroos.

Es wird für einige Beteiligte auch ein Spiel mit besonderen Konnotationen. Juves deutscher Nationalspieler Sami Khedira (der nach seiner Verletzung aus dem Halbfinale gegen den AS Monaco Entwarnung gab) hat bei Real Madrid gespielt, Madrids Stürmer Álvaro Morata war bis zum Sommer bei Juventus aktiv.

Und Reals Trainer Zinédine Zidane wirkte ebenfalls bei Juventus - unter anderem im Finale von 1998, das Real unter dem Trainer Jupp Heynckes 1:0 gewann. "Es war ein sehr wichtiger Klub in meiner Karriere, und ich habe ihn als einen Verein in Erinnerung, der mir alles gegeben hat", sagte Zidane am Mittwoch über Juventus, "aber nun bin ich bei Real Madrid, dem Verein meines Lebens. Es wird ein schönes Finale werden", sagte er noch, ehe er lächelnd von dannen zog und in den Mannschaftsbus stieg.

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