Champions League:Guardiolas gewagter Plan geht schief

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  • "Man muss eine Party feiern, wenn die Party beginnt. Nicht vier Wochen vorher", sagt Jürgen Klopp nach dem 3:0 vom FC Liverpool gegen Manchester City - von einem Halbfinaleinzug in der Champions League will er vor dem Rückspiel noch nicht sprechen.
  • Dass Liverpool so deutlich gewinnt, hängt auch mit einer Strategie zusammen, die Pep Guardiola gewählt hat - und die er erst korrigiert, als es schon fast zu spät ist.
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Von Sven Haist, Liverpool

Das Chaos hatte die Kontrolle übernommen. Die Begegnung geriet aus der Bahn, weil die Fußballer auf dem Platz verrückt spielten und die Zuschauer im Stadion taten, was sie für richtig hielten. Sogar der Himmel über der Anfield Road hatte sich eine Zeitlang in Rot getaucht, in die Vereinsfarbe des FC Liverpool. Nur der Initiator des Abends, der sonst immer der Erste ist, der im Überschwang die Beherrschung verliert, bewahrte die Ruhe.

Als ob er nicht glauben konnte, dass seinem Team drei Tore binnen 19 Minuten gelungen waren, unterdrückte Jürgen Klopp seine Empfindungen. In der Trainerzone lief er ein paar Schritte umher, mal versteckte er die Hände in der Hosentasche, mal verschränkte er die Arme hinter dem Rücken. Den bei besonderen Anlässen üblichen Tempolauf - querfeldein über den Platz - sparte er sich für später auf. "Man muss eine Party feiern, wenn die Party beginnt. Nicht vier Wochen vorher", sagte Klopp.

Es gibt ja noch ein Rückspiel nach diesem 3:0, nicht in einem Monat, sondern bereits am Dienstag in Manchester. Und wenn der Kollege Pep Guardiola dort ein ähnliches Angriffsspektakel inszenieren kann, wie es Klopp in der ersten Halbzeit in Liverpool gelang, dann wäre alles offen. Vorstellbar ist ja Folgendes: Manchester City, Englands offensiv-begabter Tabellenführer, schafft ebenfalls ein 3:0 in regulärer Spielzeit - Verlängerung, Ausgang unvorhersehbar. Auch deshalb richtete Klopp, der Triumphator des Abends, den Blick auf den Rasen und ließ sich nicht anmerken, dass ihm seine Elf durch die Tore von Salah (12.), Oxlade-Chamberlain (20.) und Mané (31.) das schönste Erlebnis seit seinem Amtsantritt im Oktober 2015 beschert hatte: Der Einzug ins Halbfinale der Champions League ist jetzt in Reichweite.

Zumindest aber Klopps Publikum wähnte sich bereits wieder einmal im Fußball-Paradies - wie am 25. Mai 2005. Damals holte Liverpool im Duell mit dem AC Mailand in sechs Minuten drei Tore auf und sicherte sich im Elfmeterschießen den fünften Europacup-Triumph.

Klopp wird von der Presse gefeiert

Jetzt wurde es wieder so eine "Night to remember", eine Nacht, an die sie sich ewig erinnern wollen. Vorausgesetzt, man erlebt so eine Nacht im Rückspiel nicht in umgekehrter Weise. "Das war kurz vor der Perfektion. Wir haben das beste Team der Welt besiegt", sagte Klopp, aber deshalb durfte noch lange keiner seiner Spieler in der Kabine tanzen: "Wir sind noch nicht in der nächsten Runde, es ist nichts entschieden."

Die englische Presse ließ es sich dagegen nicht nehmen, Klopp schon jetzt zu feiern, nach seinem siebten Erfolg im Trainerduell mit Pep Guardiola, der gegen keinen anderen Coach häufiger verloren hat. "Weltweit unübertroffen" sei Klopp, schrieb das Massenblatt Sun, wieder einmal habe er bewiesen, "wie man eine technisch überlegene Mannschaft wie City mundtot macht".

Als würde die Unterstützung der 50 685 Zuschauer den Spielern ihre Verwundbarkeit nehmen, ging Liverpool auf Manchester City los. Auf den allmächtig erscheinenden Spitzenreiter der Premier League, der am kommenden Samstag im Stadtderby gegen Manchester United sechs Spiele vor Schluss schon Meister werden kann. Im Wissen, dass auch City den Ball nicht an eine andere Stelle auf dem Platz zaubern kann, attackierte Klopps Team den ballführenden Gegenspieler. Die Tore besaßen eine Dynamik, die sich kaum unterbinden lässt, sobald man Liverpool erst einmal ins Rollen kommen lässt.

Guardiolas gewagter Plan, den sein Team am Wochenende erfolgreich in der Liga ausprobiert hatte, sah im Spielaufbau vor, einen Verteidiger zu opfern, um im Mittelfeld einen Mann mehr zu haben. Durch diese Maßnahme standen die Abwehrspieler Vincent Kompany, Nicolas Otamendi und Aymeric Laporte jedoch bei Ballverlust mit Liverpools 77-Tore-Angriffstrio alleine da. Ein Fehler, den Guardiola erst korrigierte, als es in der Halbzeit zu spät war.

Beim FC Bayern ließ er sich einst im Halbfinale der Königsklasse gegen Real Madrid von seinen Spielern in die taktische Idee reinreden. In diesem Fall gibt es nun Indizien, dass Guardiola die Fähigkeiten seiner Mannschaft überschätzte. Vor dem Tempo der gegnerischen Angreifer hatte er ja vorab gewarnt. Zur Charakteristik seines auf Dominanz ausgelegten Stils gehört: Geht die Kontrolle einmal verloren, kann sie sein Team kaum mehr zurückgewinnen.

Selbst nach der Pause brachte City erneut keinen Schuss aufs Tor zustande, obwohl der Klub den Kader seit Sommer 2015 für rund 670 Millionen Euro auf jeder einzelnen Position überarbeitet hat. In der infernalischen Atmosphäre, die durch Böller furchteinflößend wurde, offenbarte sich bei City der Mangel an Führungspersönlichkeiten. Außer Vincent Kompany ist keine Leitfigur vorhanden, die während eines Spiels korrigierend einwirken könnte.

Auf den Zufahrtsstraßen zur Anfield Road hatte sich die Stimmung aufgeheizt wie im Stadion. Die Kulttribüne The Kop belebte mit ihrer akustischen Unterstützung den Mythos, der an der Anfield Road gerne beschworen wird. A cappella sangen die Zuschauer vor Anpfiff die Vereinshymne "You'll never walk alone". Den Refrain wiederholten sie in Dauerschleife, bis sich jenes Gefühl einstellte, das im Kabinentrakt auf einem Plakat schriftlich fixiert ist: This is Anfield!

Auf eine solche Aura kann das neureiche Manchester City nicht zurückgreifen. Der Klub hat bei der Restaurierung des eigenen Stadions zuletzt jede Ecke geglättet. Das könnte immerhin den Vorteil mit sich bringen, dass Guardiola mit seinem Team am Dienstag im Rückspiel nicht noch einmal die Kontrolle verliert.

© SZ vom 06.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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