Champions-League:Gegner aus dem Lexikon

Aalborg, Cluj, Famagusta: In der Champions League spielen so viele unbekannte Teams wie noch nie. Doch deren Mitstreiter sollten sie nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Philipp Selldorf

Aalborg steht in Meyers Lexikon zwischen "aalartige Fische" (Ordnung schlangenförmiger Knochenfische) und "Aalbricke" (kleiner gebratener und marinierter Aal), jedoch mit Verweis auf den Eintrag Ålborg. Dort wird berichtet: Hauptstadt des dänischen Verwaltungsgebietes Nordjütland; am Limfjord, 155.000 Einwohner, im elften Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Was nicht im alten Lexikon steht: dass Ålborg die Heimat des aktuellen dänischen Fußballmeisters Aalborg BK ist, und dass der Klub zum zweiten Mal nach 1995 den Sprung in die Champions-League-Gruppenrunde geschafft hat. Auch über Aalborgs bekanntesten Spieler, den aus Southhampton zugewanderten polnischen Stürmer und EM-Teilnehmer Marek Saganowski, teilt das Buch nichts mit.

Champions-League: Famagusta-Torwart Arian Bequal schultert einen Teamkollegen nach geschaffter Champions-League-Qualifikation.

Famagusta-Torwart Arian Bequal schultert einen Teamkollegen nach geschaffter Champions-League-Qualifikation.

(Foto: Foto: imago)

Lange hat man nicht mehr ins Lexikon gucken müssen, um die Herkunft von Teilnehmern der Champions League-Hauptrunde zu ermitteln. In dieser Saison aber wird es wieder dringend gebraucht. Welcher Anhänger des FC Chelsea und des AS Rom weiß schon auf Anhieb, dass das Stadion des Gruppengegners CFR Cluj im rumänischen Siebenbürgen liegt?

"Wir müssen sie respektieren"

Cluj, zu deutsch Klausenburg, ist für kulturhistorisch interessierte Fans auf jeden Fall eine Reise wert: Die Urgründung erfolgte als Legionslager schon zu römischer Zeit, im dritten Jahrhundert war der Ort bereits Mittelpunkt der Provinz Dakien. Kirchen und Barockbauten heben das Bild der 300.000-Einwohner-Stadt, die zum ersten Mal die Champions League aus der Nähe erlebt. Auf rumänisch heißt Siebenbürgen übrigens Transsilvanien, was in England unter Verweis auf die Geschichte des blutsaugenden Fürsten Vlad III Draculea sicher ein großes Thema sein wird.

Außer Aalborg und Cluj verzeichnet die Teilnehmerliste der Eliteliga auch noch die Namen der Debütanten Anorthosis Famagusta aus Zypern, Zenit St.Petersburg aus Russland und Bate Borissow aus Weißrussland. Während St.Petersburg überall (und nicht nur dem geschlagenen FC Bayern München) als Uefa-Cup-Sieger bestens bekannt ist, weiß das Fußball-Establishment über Bate Borissow: Quasi nichts. Nach der Auslosung der Hauptrunde in Monaco erklärte Real Madrids Manager Predrag Mijatovic über den Gruppengegner: "Wir müssen sie respektieren." Juventus Turins Trainer Claudio Ranieri kommentierte fachmännisch: "Eine gute Mannschaft." Mit anderen Worten: Beide hatten nicht die geringste Ahnung, was sie erwartet, höchstens, dass der Kompass nach Osten weist.

Darüber hinaus wecken vier Neulinge den Verdacht, dass sich Europas Fußball wieder mal wandelt. Zunächst ist es jedoch eher Zufall, dass in dieser Saison so viele Unbekannte und Außenseiter wie noch nie in die Eliteliga einfallen. Die amtliche Revolution steht erst im Sommer 2009 bevor: Dann tritt die von Uefa-Präsident Michel Platini angestrengte Reform der Europacups in Kraft, und es werden wohl noch ganz andere Namen in den Wettbewerb eingeführt werden. So wird es unter anderem fünf Startplätze für Klubs aus Ländern geben, die in der Uefa-Rangliste die Plätze 13 (derzeit die Schweiz) bis 53 (derzeit San Marino) belegen.

Neue Konkurrenz aus dem Osten

Was diese Klubs im Wettbewerb gegen die etablierten Herrscher der großen Profi-Ligen anzurichten vermögen, steht zwar auf einem anderen Blatt. Das jahrelang solide regierende Kartell der Reichen und Berühmten mit den großen Ms aus Mailand/Manchester/Madrid und München im Zentrum ist jedoch vor neuer Konkurrenz nicht mehr sicher: An den mit russischem Geld alimentierten FC Chelsea hat man sich längst gewöhnt, aber bald schon steht wohl auch der zweite Klub aus Manchester an der Schwelle zur Champions League, und aus dem Osten des Kontinents drängen womöglich ähnliche Herausforderungen heran.

Was die arabischen Investoren für Manchester City sind, das sind für Klubs wie Steaua Bukarest oder Schachtjor Donezk die örtlichen Magnaten. Neues Geld fließt eben nicht nur in Russlands Fußball, sondern auch in der ukrainischen, rumänischen oder bulgarischen Liga. In der ab 2009 verschärften Qualifikation für die Champions League bedeutet das zunehmende Gefahren für die Bundesliga und ihre Qualifikanten - abgesehen von der unwägbaren Dynamik der Uefa-Fünfjahreswertung, in der die Deutschen zur Zeit Vierter sind.

Auch CFR Cluj hat einen interessanten Geldgeber. Präsident Arpad Aszkany wird als Tycoon von Transsilvanien bezeichnet, er möchte "das stärkste Team, das es jemals in Rumänien gab", zusammenstellen. Binnen sechs Jahren führte der Finanzier den Verein aus der dritten rumänischen Liga zur Meisterschaft. Angeblich beschränkten sich die Investitionen in dieser Zeit nicht nur auf den Spielerkader - auch die Schiedsrichter sollen zuweilen etwas abbekommen haben, aber das ist ein Problem, an dem die gesamte rumänische Liga krankt. Sechs Argentinier stehen im Kader des früheren Eisenbahnerklubs, ferner einige Brasilianer und Portugiesen und sogar der eine oder andere Rumäne. In Draculas Heimat wird vermutlich noch öfter der große Fußball rollen als in Nordjütland.

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