Champions League für U19-Mannschaften:Nach der Schule schnell nach Borissow

Reisen mit den Profi-Mannschaften, viel zu hohe Belastung: Die geplante Champions League für U19-Teams stößt in der Bundesliga auf Ablehnung. Die Uefa-Exekutive hat das Projekt trotzdem durchgewunken - DFB-Sportdirektor Dutt forciert jetzt ein Alternativmodell.

Von Johannes Aumüller und Christof Kneer

B-Juniors - Borussia Dortmund v Preussen Muenster

Die neue Jugend-Champions-League wäre eine große Belastung für den Nachwuchs der Bundesliga-Teams, hier Marvin Duksch von Borussia Dortmund.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Legende nach dürfte ungefähr jede zweite Fußballkarriere im Sindelfinger Glaspalast begonnen haben. Clarence Seedorf wird gerne als Prototyp genannt, er kam vor vielen Jahren mit Ajax Amsterdam zu diesem alljährlichen Hallenturnier für U19-Auswahlteams, die damals noch gut bürgerlich "A-Jugendmannschaften" hießen. Auch Mesut Özil, Sami Khedira und Mario Gomez wurden einst in Sindelfingen gesichtet, und auch ein paar damals völlig unbekannte Trainer haben sich im Glaspalast schon auf größere Karrieren vorbereitet, Thomas Tuchel etwa, Christian Streich oder Sascha Lewandowski.

Jahrelang hat das Sindelfinger Turnier einen vorzüglichen Ruf als geheime Nachwuchsmesse genossen, aber von diesem Ruf wird sich das Turnier mit seiner aktuellen Ausgabe verabschieden. Wenn am Freitag und Samstag die U19-Teams von Manchester United, FC Kopenhagen, VfB Stuttgart, Schalke 04 (Gruppe A), Lazio Rom, Dinamo Zagreb, Mainz 05 und Borussia Dortmund (Gruppe B) aufeinander treffen, ist nichts mehr geheim.

Erstmals in der Geschichte des Turniers überträgt Sport1 alle Partien live - was schön ist für den Veranstalter, für den deutschen Jugendfußball aber ein eher zwiespältiges Vergnügen. Niemand hat etwas dagegen, dass dieses verdienstvolle Turnier prominent ins Bild gesetzt wird; allerdings lenkt das Turnier den Blick schon Richtung Sommer, der dem Nachwuchsfußball mehr Öffentlichkeit einbringen wird als je zuvor. Aber es wird eine Art von Öffentlichkeit sein, die vielen im deutschen Fußball missfällt.

Mit einigem Stolz startet der europäische Fußball-Verband (Uefa) ja in diesem Sommer eine Champions League für U19-Teams. Qualifiziert sind die Juniorenteams jener Vereine, die auch für die Gruppenphase der Erwachsenen-Champions-League startberechtigt sind, nach derzeitigem Planungsstand sollen sie sich einfach dem Spielplan der ersten Mannschaft anschließen. Das heißt: Wenn der FC Bayern nach Weißrussland muss, fliegt die U19 halt mit und spielt schon am Vorabend gegen die U19 von Bate Borissow. Es ist schon ein erstaunlicher Modus, dass sich nicht die besten Jugendmannschaften, sondern die Jugendmannschaften der besten Erwachsenenteams qualifizieren - doch das stört die Kritiker aus Deutschland nur am Rande. Sie haben mit diesem Wettbewerb ein viel grundsätzlicheres Problem.

"Gerade Spieler dieser Altersklasse darf man auf keinen Fall zu hoch belasten", sagt DFB-Sportdirektor Robin Dutt und verweist darauf, dass die besten Juniorenspieler neben dem Spiel- und Trainingsbetrieb im Verein auch noch bei DFB-Lehrgängen und Länderspielen sowie in der Schule gefordert sind. "Und der alte Stammtisch-Spruch, wonach Spielen das beste Training sei, ist halt leider auch völlig falsch", sagt Dutt. "Üben, üben, üben und dann anwenden, anwenden, anwenden, das ist die Grundregel in diesem Alter und eben nicht: spielen, reisen, regenerieren, spielen, reisen, regenerieren."

Schon jetzt beginnen für viele Talente die Tage morgens um 6.30 Uhr und enden abends um 22 Uhr; schon jetzt fällt es ihnen schwer, das ausdrücklich gewollte straffe Doppelprogramm aus sportlicher und schulischer Ausbildung zu absolvieren. "Wenn man sieht, wie eingespannt die Jugendspieler heute schon sind, dann wäre mit einem zusätzlichen Wettbewerb die schulische Belastung gar nicht mehr zu stemmen. Die Jungs haben heute schon Probleme, den Stoff aufzuarbeiten", sagt Volker Kersting, der Jugendleiter von Mainz 05. "Ich empfinde es als Katastrophe, so einen Wettbewerb einzuführen."

Schräger Wettbewerb

Bei einem Treffen der Leiter der Nachwuchsleistungszentren im Oktober fand sich keiner, der das Uefa-Konzept guthieß, doch mit diesen Bedenken drangen sie international nicht durch. Am 6. Dezember beschloss die Uefa-Exekutive, in der als DFB-Vertreter der frühere Präsident Theo Zwanziger sitzt, das Projekt. Auf der Hierarchie-Ebene oberhalb des Sportdirektors Dutt ist der DFB zurzeit nicht sehr an einem Knatsch mit der Uefa interessiert: Schließlich soll Wolfgang Niersbach im Mai anstelle von Zwanziger in die Exekutive einrücken, und bald stehen auch Entscheidungen für die Austragungsorte der europaweit veranstalteten EM 2020 an, wofür sich auch Deutschland bewerben wird. Auch die Interessenvertretung der europäische Fußballvereine (ECA), der Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge vorsteht, stimmte für den Wettbewerb.

Die Motivationslage ist vielfältig. So schaut die Uefa mit einigem Unmut auf das seit zwei Jahren existierende private Projekt NextGen Series, in dem 32 Teams der U19-Klasse in einem Champions-League-ähnlichen Modus einen Sieger ermitteln; aus Deutschland sind Dortmund und Wolfsburg dabei. Das Turnier entwickelt sich nicht schlecht, das Fernsehen überträgt live - womit sich aus Uefa-Sicht der verlockende Gedanke aufdrängt, das Turnier gleich selbst zu veranstalten und zu vermarkten. Und Vertreter mancher kleineren Verbände können sich für eine offizielle U19-Königsklasse ohnehin erwärmen, weil ihre Juniorenteams so regelmäßig zu Wettbewerbsspielen auf gutem Niveau kämen. Und die Kosten übernimmt die Uefa.

Der Mainzer Jugendleiter Volker Kersting sagt: "Für mich haben die Entscheidungen für diesen Wettbewerb viel mit sportpolitischen Gründen zu tun. Ich finde das sehr bedenklich, dass man sportpolitische Gründe über das Wohl des Nachwuchses stellt. Und ich bin gespannt, ob diese Herren auch hinterher die Verantwortung übernehmen, wenn es schief geht."

Die Hoffnung, dass dieser schräge Wettbewerb noch verhindert werden kann, ist wenig ausgeprägt, weder bei den Klubs noch bei Robin Dutt, dem obersten Jugendwächter im Land. Dutt versucht nun kraft Amtes zu retten, was noch zu retten ist. "Ich betrachte es als meine Aufgabe, nicht nur ,nein' zu sagen, sondern mir konstruktive Gedanken zu machen." Dutt hat jetzt einen Alternativvorschlag entwickelt, den auch die Vereine unterstützen. Dutts Plan sieht vor, die Altersgrenze für diesen Wettbewerb anzuheben und auch 21- oder 22-Jährige zuzulassen. "Bei diesen Spielern fallen die schulischen Belastungen ja schon mal weg", sagt Dutt. Und anders als 19-Jährige, die vielleicht noch eine Junioren-EM vor Augen haben, könnten 22-Jährige, die im Klub selten zum Einsatz kommen, vielleicht ganz froh sein über ein bisschen Spielpraxis, selbst wenn es Spielpraxis in einem seltsamen Wettbewerb ist.

Dieser Vorschlag ist neu und noch weit davon entfernt, den Gremien zur Prüfung vorgelegt zu werden. Im schlimmsten Fall bliebe den deutschen Klubs höchstens noch eine Art Notwehr. "Man kann die Klubs zwingen teilzunehmen", sagt Dutt, "aber man kann ihnen nicht vorschreiben, wie ernst sie den Wettbewerb nehmen." Heißt: Die Klubs könnten die besten A-Junioren zu Hause lassen und statt dessen ein paar B-Jugendliche auf Reisen schicken.

Die Uefa will den alternativen Ansatz nicht kommentieren. Nur so viel: Man könne sich vorstellen, dass es eine neue Debatte gebe, wenn ein Mitgliedsland das Thema aufbringen würde.

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