Champions-League-Finale:England glaubt nicht an die Wachablösung

SL Benfica vs Chelsea FC

Der FC Chelsea beim Gewinn der Europa League.

(Foto: dpa)

Ehrlich beeindruckt registriert England den Aufschwung der Bundesliga - und lehnt sie zugleich als Vorbild ab. Trotz des deutsch-deutschen Finals und des frühen Ausscheidens englischer Teams finden die Premier-League-Macher, dass bei ihnen alles in Ordnung ist.

Von Raphael Honigstein, London

Die Briten sind im Tiefsten ihres Wesens recht genügsame Menschen. Sie wissen, dass man sich die Siege mitunter ebenso wenig aussuchen kann wie die Niederlagen und freuen sich konsequent auch über eher moderate Erfolge wie Platz 19 bei der Europameisterschaft des Irrsinns, dem sogenannten Eurovision Song Contest.

Wohlwollend wurde insbesondere registriert, dass die walisische Kraft-Balladistin Bonnie Tyler immerhin Cascada aus Deutschland hinter sich ließ. "Die Deutschen werden jetzt eine Untersuchungskommission einleiten, gefolgt von einer grundlegenden Strukturreform des Musikindustrie", schrieb Fußball-Autor Ian Ridley schadenfroh.

Die Pointe zündet, weil sie sich neben der teutonischen Gründlichkeit in allen Dingen auch über britische Trägheit lustig macht. Seit zwei Bundesligisten ins Champions-League-Finale eingezogen sind, wurden die erstmals 2010 nach Deutschlands 4:1 gegen England angefertigten Artikel über die DFB-Nachwuchsreformen zwar neu aufgelegt, Experten wie Michael Ballack und Christian Ziege zu Radio-Spezialsendungen über die deutsche Fußballrenaissance eingeladen, gefühlt Hunderte von Interviews mit Liga-Chef Christian Seifert geführt.

Zudem schickten die Qualitätsblätter ihre Reporter auf Erkundungsreisen durch das Land der Stehtribünen, Bratwürste und "50+1"-Regel. Die durchweg schmeichelhaften Stücke lesen sich wie anthropologische Erlebnisberichte aus einer fernen Welt, der Subtext aber lautet: Bei uns wäre das alles unmöglich - weil bei uns ja alles anders ist.

Stellvertretend für diese Denkweise steht die Einlassung von West-Ham-United-Besitzer David Gold, der mit Blick auf die billigeren Kartenpreise in der Bundesliga gleich abwiegelte. "Das funktioniert in Deutschland, das ist Problem ist nur, dass die Leute auf der Welt nicht die Bundesliga schauen, weil sie nicht aufregend ist", sagte er im Februar der Huffington Post. "Und das hat mit den billigeren Eintrittspreisen zu tun - dadurch können sich die Vereine dort keinen Messi leisten, anders als Chelsea, Manchester United oder Man City. Die Bundesliga ist ein Modell, dass wir, die Fans, alle als vorbildlich empfinden, aber nicht wirklich wollen. Die Fans sollten mit ihren Wünschen vorsichtig sein."

Bis auf Arsenal-Trainer Arsène Wenger, der nach dem Aus der englischen Teams im Viertelfinale der Königsklasse ganz vorsichtig den Verlust der Vormachtstellung einräumte, sieht kein Entscheidungsträger auf der Insel ein grundsätzliches Problem. Der englische Fußball reflektiert den deutschen Erfolg im Gegensatz zu den Medien kaum, weil er die eigene Schwäche als reine Momentaufnahme abtut. "Keep calm und carry on", Ruhe bewahren und so weiter machen, lautet das unausgesprochene Motto in der Premier League.

Augen zu und weitermachen

"Die vorherrschende Meinung ist, dass alles in Ordnung ist", sagt Jonathan Wilson, der Autor des Buches "Revolutionen auf dem Rasen: Eine Geschichte der Fußballtaktik" - "und in gewisser Weise stimmt das ja auch: Seit 2005 hat es nur ein Champions-League-Endspiel ohne englische Beteiligung gegeben und mit Chelsea kam bis zu diesem Wochenende der aktuelle Europapokalsieger aus England. Ich tendiere auch dazu, das frühe K.o. der Premier-League-Teams als Ausrutscher einzuschätzen."

Wilson, 36, verweist auf die um mehr als 60 Prozent steigenden Fernsehrechte-Einnahmen in der kommenden Saison, die allein dem englischen Meister mehr als 100 Millionen Euro garantieren werde: "Die finanzielle Kraft der Liga ist so groß, dass eine dauerhafte Krise undenkbar ist." Rafael Benítez, der scheidende Interimstrainer von Chelsea, eröffnete den Fans, dass Eigentümer Roman Abramowitsch "um die 100 Millionen Pfund" für drei, vier neue Spieler zu investieren gedenke. Mit José Mourinho kehrt außerdem ein ausgewiesener Erfolgstrainer zurück, der die Blauen wieder zum europäischen Spitzenteam drillen dürfte.

Scheich-Klub Manchester City wird - trotz der Financial-Fairplay-Auflagen - kaum weniger Geld für Verstärkungen ausgeben. Das Diven-Team wird nach dem Abschied von Trainer Roberto Mancini gründlich umgebaut. In Manuel Pellegrini (derzeit noch beim FC Malaga beschäftigt) hat sich Klub-Besitzer Mansour bin Zayed Al Nahyan einen exzellenten Nachfolger ausgesucht. Der Chilene, 59, vereint taktisches Geschick mit Motivationskunst und stand dem Vernehmen nach als Alternative zu Pep Guardiola auch beim FC Bayern auf dem Zettel. Zumindest die Gruppenphase dürfte der erfahrene Coach im Gegensatz zu seinem Vorgänger überstehen.

Wenger hat nach dem Erreichen des vierten Platzes angekündigt, für seine Verhältnisse ungewohnt viel für Neuverpflichtungen ausgeben zu wollen, die Nachbarn aus Tottenham (Platz fünf) sitzen ihm im Nacken. Und David Moyes, der bei Branchenführer Manchester United Alex Ferguson beerbt, wird ebenfalls nicht untätig auf dem Transfermarkt bleiben.

Pellegrini und Mourinho werden wohl auf Gegenpressing setzen - jenes Stilmittel, das den englischen Klubs zuletzt im europäischen Vergleich schmerzlich fehlte. Dass das voraussichtliche Comeback der Briten fast gänzlich ohne einheimische Trainer und Spieler auskommt, stört zwar den Fußball-Patrioten Wilson ("Wir müssen unser sämtliches Know-how importieren, das ist nicht gut für die Fußballkultur"), aber nicht die Anhängerschaft: "Jeder will nur, dass sein Klub erfolgreich ist, die Pässe der Protagonisten sind den Leuten völlig egal."

Geld macht bequem, deswegen müssen die Engländer erst gar nicht, wie die von Klopp erwähnten Chinesen, die Besten kopieren. Sie sind es gewohnt, gleich die Original-Ware zu kaufen. Das erklärt auch, warum die Mehrzahl der Inselbewohner die deutschen Duellanten im Wembley nicht als ungebetene Eindringlinge, sondern als potenzielle Gastarbeiter empfängt. Den einen oder anderen - vor allem aber den mit seinen leicht durchgedrehten Englisch-Interviews extrem gut ankommenden Klopp - würde man nur all zu gerne hierbehalten.

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