Champions League: FC Bayern:Mehr Hirn als Leidenschaft

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In der bisher undefinierbaren Saison des FC Bayern ist das Spiel gegen Girondins Bordeaux die nächste Bewährungsprobe - auch für Trainer Louis van Gaal.

Moritz Kielbassa

Man muss sich keine Sorgen machen um Louis van Gaal, er wirkt kerngesund, besonders mental, der Trainer des FC Bayern scheint auf Erden nichts zu fürchten. Eine Alarmschlagzeile zur Schweinegrippe-Impfung belustigte ihn am Dienstag bei der Bordlektüre: "Unglaublich! Alles Panik!", sagte er. Auch sein Manager gab sich entkrampft vor der Champions-League-Reise nach Bordeaux.

Uli Hoeneß nutzte in der Abflughalle - sichtlich amüsiert - einen Schuhputz-Dienst und plauderte nebenher mit demselben Reporter, den er vor Tagen noch angeblafft hatte wegen dessen Frage zu Thomas Müller und der Nationalelf. Wie Hoeneß da saß und Auskunft gab, während ein freundlicher Herr seinen Schuhen Glanz verlieh, das erinnerte an einen erhabenen Altkanzler, der gerne beim Zigarettenrauchen Interviews gibt.

Im Video: Karl-Heinz Rummenigge über die Zukunft von Luca Toni, Louis van Gaal, Mario Gomez und Thomas Müller.

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Eine Lustreise ist es allerdings nicht, das zweite Auswärtsspiel der Münchner in der europäischen Königsklasse beim französischen Meister - in der Region des guten Weines, wo man 1996 den Uefa-Cup gewann. Verlieren ist für die Bayern bis Weihnachten fast verboten, zu wechselhaft war ihr erstes Saisonviertel, noch befinden sie sich auf einer Reise ins Ungewisse: "Wir brauchen Stabilität", sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge am Dienstag, "wir müssen jetzt beweisen, dass wir in keine Schwächephase geraten."

Für den nationalen Spielbetrieb heißt das: aufholen. Für die Champions League: die guten ersten Spiele (gegen Haifa und Juventus) bestätigen. Jetzt geht es zweimal nacheinander gegen Girondins Bordeaux: "Die muss man auswärts erst mal schlagen", warnte Verteidiger Philipp Lahm bei der Gepäckabgabe.

Auch Probleme flogen mit über die Alpen, die Gemengelage bei den Bayern ist derzeit schwer definierbar. Der Sieg gegen Freiburg (2:1) war gut fürs Gemüt, doch die Besten der Gruppe, Ribéry und Robben, werden international noch mehr vermisst als zu Hause in der Liga. Auch Olic ist verletzt, so fehlen im Angriff drei Dribbler, die in engen Partien der feine Unterschied sein können. Van Gaal kompensierte das zuletzt mit Routine, sechs Spieler über 30 begannen in Freiburg, darunter van Bommel und Toni, beide zuvor lange im Krankenstand.

Zum Trend zum Senior würde ein Comeback des erfahrenen Martin Demichelis passen. Der seit August verletzte argentinische Verteidiger zählt zum Kader. Seine Eingliederung ist jedoch nicht frei von Komplikationen, van Buyten und der junge Badstuber versahen den Innendienst in der Abwehr zuletzt ohne Anlass zu Beanstandungen.

Noch härter ist der Verdrängungswettbewerb im Sturm. Das hat auch positive Aspekte, "der Hamburger SV wäre gerade froh über dieses Luxusproblem", frotzelte Rummenigge, und die Rückkehr Luca Tonis zeigte, dass auch mit angeblich Abgemeldeten jederzeit zu rechnen ist - bei van Gaal ohnehin, der von Reservisten erwartet, angestauten Frust in Energie umzuwandeln. Sensible aber tun sich schwer mit dieser Umwandlung, bestens zu sehen am prominentesten Ersatzmann, dem verunsicherten Mario Gomez.

Im Video: Stimmen zum Spiel gegen Bordeaux. Die Mannschaft zeigt sich selbstbewusst.

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Der Nationalstürmer, mit dessen Laufwegen der Trainer trotz guter Torquote nicht zufrieden war, beschwert sich zwar nicht mehr, doch man sieht Gomez an, wie sehr er hadert. "Er tut mir etwas leid", gesteht Rummenigge, Hoeneß fühlt vermutlich ähnlich. In Freiburg stürmte das Bayern-Paar alter Tage, Klose und Toni, nicht Gomez, der teure Neue, der das Titelseitengesicht der Champions-League-Sonderhefte war und auf dem so viel mehr Druck lastet als auf Olic, der ablösefrei kam, oder auf Müller, dem jungen Unbeschwerten. Tröstend für Gomez ist: Man weiß vor keinem Spiel, was van Gaal vorhat, nur das System für Bordeaux steht fest: Es bleibt bei zwei Stürmern.

Menschlich wechselt van Gaal mit Wonne zwischen sonnigen und schattigen Seiten. Einerseits fördert er Talente wie Müller, den auch Rummenigge "lieber erst im März" bei der Nationalelf sähe. Andererseits straft er auch Topspieler mit Missachtung, und so las er im Charterflieger auch weniger Belustigendes. Bixente Lizarazu, früherer Bayern-Profi, erzählte in einem Interview, er höre "Leute wie Gomez, Ribéry, Toni" hätten ihre Probleme mit der Strenge des Trainers. An anderer Stelle mokierte sich Aufsichtsrat Helmut Markwort über die fußballerischen Defizite von van Gaals Wunschspieler Edson Braafheid, der diesmal verletzt fehlt.

Um absolute Anerkennung muss van Gaal noch kämpfen in München. Seine Fachkompetenz und intellektuelle Schärfe stehen im Klub außer Frage, doch er hat bisher Mühe, auch die Herzen zu wärmen. Er schult vor allem die Köpfe der Spieler, sein Fußballstil entspricht diesem Ansatz: mehr Hirn als Leidenschaft, mehr Strategie als Vorwärts mit Gebrüll; erst Ordnung und Spielhoheit - und dann, in ausgesuchten Momenten, das Spektakel.

Die Spieler übernehmen dieses Denken bereits: Bastian Schweinsteiger fände, in Bordeaux wäre "auch 0:0 ein gutes Ergebnis". Irgendwann, am Ende der weiten Reise, soll der neue Trainerfußball richtig schön aussehen, wie beim FC Barcelona, das ist van Gaals Ideal. Und wenn es jemanden gibt, der an diesem Ziel nicht zweifelt, dann er.

© SZ vom 21.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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